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Diabetes in der Schwangerschaft: Zulassungserweiterung für Metformin in der Schwangerschaft

Neben Insulin kann nun auch Metformin bei Schwangerschaftsdiabetes angewendet werden. | Bild: artursfoto / AdobeStock

Schwangeren mit Diabetes steht künftig eine orale Option zur Behandlung erhöhter Blutzuckerwerte zur Verfügung: Metformin. Merck hat die Zulassungserweiterung für Glucophage®, Glucophage XR® und Stagid® erhalten, sodass ab sofort Frauen die Metformin-haltigen Präparate während der gesamten Schwangerschaft – also vom Zeitpunkt der Empfängnis bis zur Geburt – anwenden können. 

Vorteil für Schwangere

Schwangeren mit diabetischen Stoffwechsellagen kommt die neue Therapieoption sicherlich entgegen, denn Metformin kann oral eingenommen werden und muss nicht wie Insulin gespritzt werden. Glucophage® und Stagid® setzen Metformin sofort frei, während Glucophage XR® den Wirkstoff verzögert abgibt. 

Sollte eine alleinige Gabe von Metformin den Blutzucker der werdenden Mutter nicht ausreichend kontrollieren, kann Metformin auch mit Insulin kombiniert werden – oder es wird auf eine reine Insulintherapie umgestellt. 

Metformin: Keine erhöhte Rate an Fehlgeburten

Für die Zulassungserweiterung hat Merck Daten vorgelegt – aus der Kohortenstudie CLUE und aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Metformin bei Schwangeren –, die zeigen, dass Metformin auch in der Schwangerschaft sicher und wirksam ist, und zwar für das Baby und die werdende Mutter. Es bestehe kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen oder Fetotoxizität. 

Kinder von über 4.000 Frauen, die während ihrer Schwangerschaft Metformin eingenommen hatten, waren für bis zu elf Jahre nachbeobachtet worden. Auch konnten keine Spätfolgen – bezogen auf das Körpergewicht oder die geistige Entwicklung der Kinder – bestätigt werden. 

Metformin senkt Blutzucker vergleichbar gut wie Insulin

Merck zufolge kontrollierte die Metformintherapie den Blutzucker der Schwangeren vergleichbar gut wie Insulin und war Insulin sogar hinsichtlich der Gewichtszunahme der Schwangeren überlegen. Auch hatten die Schwangeren ein geringeres Risiko für Bluthochdruck und Präeklampsie (Schwangerschaftskomplikation mit erhöhtem Blutdruck und Eiweiß im Urin). 

Wurde Metformin mit Insulin kombiniert, gelang es, die Insulindosis zu verringern und das Risiko für schwere Unterzuckerungen (Hypoglykämien) bei der Schwangeren zu senken. Beim Baby machte sich die Metforminbehandlung ebenfalls positiv bemerkbar: Bei mit Metformin behandelten Schwangeren wogen die Babys bei der Geburt weniger als bei mit Insulin behandelten.

Schwangerschaftsdiabetes – ein häufiges Problem?

Die orale Therapieoption für Schwangere mit Diabetes dürfte durchaus auf Anwenderinnen stoßen: Einen Schwangerschaftsdiabetes entwickeln in Europa zwischen 3 und 7 Prozent der Schwangeren. Laut dem IDF Diabetes Atlas (10. Edition, 2021) lag bei 21,1 Millionen Lebendgeburten weltweit bei jeder sechsten Geburt (16,7 Prozent) eine Hyperglykämie während der Schwangerschaft vor. 

In Deutschland soll deswegen jede Schwangere zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche einen oralen Glukosetoleranztest (oGTT) durchführen: Dafür trinkt die Schwangere eine standardisierte Glukoselösung (75 g wasserfreie Glukose in 300 ml Wasser) innerhalb von drei bis fünf Minuten, um danach die Blutzuckerwerte nach einer und nach zwei Stunden zu bestimmen. 

Von einem Gestationsdiabetes spricht man dann, wenn mindestens einer von drei Grenzwerten (Blutzucker vor Trinken der Glukoselösung, Blutzucker nach einer Stunde, Blutzucker nach zwei Stunden) erreicht oder überschritten wird.

Zeitpunkt 24+0 bis 27+6 SSWGrenzwerte IADPSG/WHO venöses Plasma (mg/dl)(mmol/l)
nüchtern> 92> 5,1
nach einer Stunde> 180> 10,0
nach zwei Stunden> 153> 8,5

Quelle: S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge, 2. Auflage

1 Prozent der Schwangeren waren schon Typ-2-Diabetikerinnen

Nicht vergessen werden darf außerdem, dass 1 Prozent der Schwangeren bereits vor Empfängnis Typ-2-Diabetikerinnen sind – und in der Behandlung des Typ-2-Diabetes spielt Metformin eine zentrale Rolle. Diese Frauen könnten künftig, wenn sie auf Metformin eingestellt waren, ihre Behandlung fortführen (unter Umständen in Kombination mit Insulin). 

Wichtig: Andere orale Antidiabetika sind für Schwangere weiterhin nicht zugelassen.

Schwangerschaftsdiabetes: Folgen für Mutter und Baby

Schwangere mit hyperglykämischer Stoffwechsellage haben ein erhöhtes Risiko, dass ihre Schwangerschaft mit Komplikationen verläuft. Die Gefahr von Hypertonie und Präeklampsie steigt, und auch für das Baby drohen Folgen: Die Kinder kommen in der Regel zu groß für das entsprechende Schwangerschaftsalter zur Welt, was die Geburt erschwert. Zusätzlich haben die Kinder ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Typ-2-Diabetes.

Was rät die Leitlinie zu Schwangerschaftsdiabetes?

Doch sind Arzneimittel nicht die erste Wahl bei erhöhten Blutzuckerwerten in der Schwangerschaft: Die 2018 erschienene und bis 2023 gültige „S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge“ rät in erster Linie zur „Lifestyle-Modifikation“ mit Bewegung und einer adäquaten Ernährung.

Auf körperliche Bewegung und Ernährung achten

Schwangere sollten sich mindestens dreimal pro Woche für 30 Minuten mit leichter bis mittlerer Intensität körperlich bewegen, z. B. zügig spazieren gehen. Studien konnten zeigen, dass körperliche Aktivität sowohl die Insulinresistenz senkt als auch das Risiko für einen Kaiserschnitt sowie für ein für das Schwangerschaftsalter zu großes Neugeborenes (LGA = large for gestational age) verringert. 

Daneben ist es kein Geheimnis, dass auch die Ernährung den Blutzuckerspiegel beeinflusst. Nach Empfehlung der Experten im Bereich Schwangerschaftsdiabetes sollten schwangere Frauen mit diabetischer Stoffwechsellage ihren täglichen Kalorienbedarf mit 40 bis 50 Prozent Kohlenhydraten (nicht weniger als 40 Prozent), 20 Prozent Protein und 30 bis 35 Prozent Fett decken. 

Zudem sollten Schwangere bei kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln solche mit hohem Ballaststoffanteil und niedrigem glykämischem Index bevorzugen. Ziel sind „normnahe“ Blutglukosewerte (Hypoglykämien sollten vermieden werden), ein normales Wachstum des Babys und dass die Mutter nur wie empfohlen zunimmt (siehe Tabelle).

BMI vor Schwangerschaft (kg/m²/WHO)Gewichtszunahme gesamt in der Schwangerschaft (kg)Gewichtszunahme/Woche 2. u. 3. Drittel (kg)
< 18,512,5–180,5–0,6
18,5–24,911,5–160,4–0,5
25,0–29,97–11,50,2–0,3
> 305–90,2–0,3

Quelle: S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge, 2. Auflage

Insulin bei Nichtausreichen von Bewegung und Ernährungstherapie

Erst wenn die Stoffwechselziele durch Lebensstilmodifikation nicht erreicht werden, ist eine Insulintherapie angezeigt. Dies ist bei 20 bis 30 Prozent der Schwangeren mit Gestationsdiabetes der Fall. 

Eine Einstellung auf Insulin erfolgt nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung nach dem ICT-Schema (intensified convential therapy). Bei diesem Schema wird basal ein Verzögerungsinsulin und zusätzlich zu den Mahlzeiten ein kurzwirksames Insulin gespritzt. Auch eine Monotherapie mit lediglich einem Basalinsulin oder einem kurzwirksamen Insulin kann bei manchen Schwangeren ausreichen.

Insulinanaloga in der Schwangerschaft?

Doch welches Insulin sollten Schwangere anwenden? Empfiehlt die Leitlinie ausschließlich Humaninsulin oder hält sie auch Insulinanaloga – wie Insulin lispro (Humalog®) oder Insulin aspart (Novorapid®) – für sicher und wirksam? 

Beide genannten Insuline sind „Mahlzeiteninsuline“, deren blutzuckersenkende Wirkung rasch nach Gabe einsetzt: „Die Insulinanaloga Insulin aspart und Insulin lispro können in der Gravidität angewendet werden und sind aufgrund der raschen Wirkung zur Vermeidung postprandialer Blutzuckerspitzen u. U. von Vorteil, wenn kurzwirksame Humaninsuline das Einstellungsziel nicht erreichen“, lautet die Einschätzung der Leitlinienautoren. In Studien sei es zudem „tendenziell“ zu weniger Hypoglykämien gekommen. 

Auch langwirksame Insulinanaloga „sollten“ eingesetzt werden, wenn NPH-Insulin (Neutrales Protamin Hagedorn-Insulin, ein humanes Verzögerungsinsulin) nicht ausreicht: Insulin detemir (Levemir®) war in randomisierten kontrollierten Studien während der ganzen Schwangerschaft sicher und wirksam (ebenso wie auch das kurzwirksame Insulin aspart). 

Für Insulin glargin in Lantus® sowie auch für Insulin aspart und Insulin lispro gibt es Metaanalysen, die „für die Sicherheit der Insuline sprechen“. Insulinanaloga können auch bereits primär zur Diabetestherapie eingesetzt werden (d. h. nicht erst, wenn Humaninsulin keine ausreichende Blutzuckerkontrolle erzielt).

Auch Tresiba® darf seit kurzem von Schwangeren angewendet werden

Insulin degludec (Tresiba®) erwähnt die 2018 erschienene Leitlinie (noch) nicht – doch auch hier hat sich in den letzten Wochen etwas bewegt: Die Europäische Kommission hat erlaubt, dass der Hersteller Novo Nordisk die Fachinformation von Tresiba® erweitert: „Falls klinisch notwendig, kann eine Behandlung mit Tresiba® während der Schwangerschaft in Betracht gezogen werden“, informiert Novo Nordisk nun. 

In vergleichenden Studien zwischen den Verzögerungsinsulinen degludec und detemir (Levemir®) war degludec nicht unterlegen und für Schwangere und das Baby sicher und wirksam.

Was sagt die Leitlinie (noch) zu Metformin?

Zum Zeitpunkt des Entstehens der Leitlinie war auch Metformin noch nicht zur Therapie von Diabetes in der Schwangerschaft zugelassen. Noch 2018 erklärte die „S3-Leitlinie Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge“, dass für Metformin (z. B. Glucophage®) in der Schwangerschaft eine „strenge Indikationsstellung“ gefordert werde und dass der Wirkstoff „im Rahmen eines Heilversuches verordnet werden“ könne. Sicher werden die Leitlinienautoren bei der nächsten Aktualisierung 2023 die neuen Daten entsprechend berücksichtigen.