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Neues Arzneimittel bei Übergewicht: Liraglutid bei Jugendlichen mit Adipositas

In einer Studie mit Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren konnte Liraglutid den BMI um 4,64 Prozent mehr als Placebo senken. | Bild: kwanchaichaiudom / AdobeStock

Bereits 2015 eroberte das ursprünglich zur Behandlung von Diabetes mellitus zugelassene Liraglutid (Handelsname bei Diabetes Victoza®) ein neues Therapiegebiet: Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) empfahl damals im Januar die Zulassung von Liraglutid in Saxenda® zur Behandlung erwachsener Patienten mit Adipositas, die Zulassung folgte im März 2015. Jetzt, sechs Jahre später, konnte Hersteller Novo Nordisk weitere Daten vorlegen, die nach Ansicht der EMA den Einsatz von Liraglutid auch bei adipösen Jugendlichen rechtfertigen. 

Zur Erinnerung: Wie wirkt Liraglutid?

Als Analogon zum humanen Glucagon-like-Peptide (GLP-1) übernimmt Liraglutid die Funktionen von GLP-1 – unter anderem die Regulierung des Appetits und der Nahrungsaufnahme, wobei der genaue Wirkmechanismus noch nicht ganz verstanden ist. Liraglutid scheint aber wichtige Sättigungssignale zu verstärken und Hungersignale abzuschwächen und so zu einem geringeren Körpergewicht beitragen zu können. Kurz gesagt: Das Sättigungsgefühl steigt, das Hungergefühl nimmt ab.

Beim Menschen reduziert Liraglutid der Fachinformation von Saxenda® zufolge das Körpergewicht vorwiegend dadurch, dass die Fettmasse abnimmt. Hierbei reduziert Liraglutid das viszerale Fett stärker als das subcutane. Den Energieverbrauch steigert Liraglutid nicht. Bezogen auf den Blutzuckerspiegel stimuliert Liraglutid die Insulinsekretion und senkt die Glucagonsekretion, was sowohl den postprandialen (nach Nahrungsaufnahme) als auch den Nüchternblutzucker senkt.

Die Europäische Kommission hat vor kurzem Saxenda® nun als erste medikamentöse Therapie von Adipositas bei Jugendlichen im Alter von 12 bis 17 Jahren in der EU zugelassen. Eingesetzt werden darf es bei adipösen Jugendlichen, deren Ausgangs-BMI (Body-Mass-Index) mindestens einem Erwachsenen-BMI-Wert von 30 kg/m2 entspricht, und bei einem Körpergewicht über 60 kg. Voraussetzung für den Einsatz von Liraglutid zur Gewichtsreduktion bei Jugendlichen ist zudem eine Kombination mit gesunder Ernährung und erhöhter körperlicher Aktivität. Die EMA empfahl außerdem, die Behandlung mit Saxenda® dann neu zu bewerten oder gar abzusetzen, wenn die Patienten nach 12 Wochen mit einer täglichen Dosis von 3,0 mg/Tag oder der maximal verträglichen Dosis ihren BMI oder BMI-Z-Score nicht um mindestens 4 Prozent verringert haben.

Gut zu wissen: Perzentile – der kindliche BMI

Für Kinder ordnet man das Gewicht zur Abschätzung des Körperfettanteils mit BMI-Perzentilen ein. Bei Perzentilen unter 10 liegt Untergewicht vor, bei Perzentilen über 90 hingegen Übergewicht und dazwischen Normalgewicht. Die Perzentilen lassen sich in Z-Scores beziehungsweise Standard Deviation Score (SDS) umrechnen, diese sind für Alter und Geschlecht standardisiert. Dieser Wert gibt an, wie stark der Perzentilenwert über oder unter dem alters- und geschlechtsspezifischen BMI-Medianwert liegt. Das Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie erklärt den Z-Score wie folgt: „Der Z-Score (gibt) an, um wie viel Standardabweichungen ein gemessener Wert von dem für gleichaltrige Kinder gleichen Geschlechts erwarteten Wert der  Referenzpopulation abweicht.“

Wie stark reduziert Liraglutid den BMI?

Die EMA stützte die Empfehlung zum Einsatz von Liraglutid bei Jugendlichen auf die Ergebnisse einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten, multinationalen Phase-3-Studie, die im Mai 2020 im Fachjournal „New England Journal of Medicine“ „A Randomized, Controlled Trial of Liraglutide for Adolescents with Obesity“ veröffentlicht wurden. 251 Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren erhielten neben einer Lebensstilintervention – das heißt: energiereduzierte Diät und Beratungen zur körperlichen Aktivität – entweder täglich 3 mg Liraglutid (subcutan) unterstützend zur Gewichtsreduktion oder Placebo. In der Einführungsphase von 12 Wochen fand zunächst lediglich die Lebensstilintervention statt, erst danach startete zusätzlich die medikamentöse Behandlung mit Liraglutid oder eben einer wirkstofffreien Darreichungsform. 

Insgesamt erhielten die Jugendlichen für etwas mehr als ein Jahr (56 Wochen) sodann Liraglutid oder Placebo, wobei die Dosissteigerungen über einen Zeitraum von vier bis acht Wochen erfolgten. Dieser Phase schloss sich eine Nachbeobachtungszeit von einem halben Jahr (26 Wochen) an, in der die Jugendlichen kein Liraglutid oder Placebo mehr erhielten. Nach dieser Zeit werteten die Studienautoren die Untersuchung aus. 

Sie interessierten sich am meisten dafür, wie sich der BMI-Z-Score nach 56 Wochen Therapie gegenüber dem Ausgangswert verändert hatte. Hier konnte Liraglutid laut einer Mitteilung von Novo Nordisk bessere Ergebnisse erzielen als Placebo. Während Jugendliche in der Placebogruppe nach 56 Wochen einen um 0,35 Prozent höheren BMI hatten, verringerte sich unter Liraglutid der BMI um 4,29 Prozent. Somit senkte Liraglutid den BMI um 4,64 Prozent mehr als Placebo.

4,5 kg abgenommen

Wie sehen solche Zahlen auf der Waage aus? Wie viel Kilogramm hatten die Jugendlichen mit Liraglutid nach etwas mehr als einem Jahr abgenommen? Den Studienautoren zufolge lag das Körpergewicht 4,5 kg unter dem Ausgangsgewicht. Die Wissenschaftler machten aber auch eine andere Beobachtung: Nach dem Absetzen der Behandlung (Liraglutid oder Placebo) stieg der BMI-Z-Score in der ehemaligen Liraglutidgruppe stärker als in der Placebogruppe (Differenz: 0,15). Während der Behandlung hatte sich der Z-Score unter Liraglutid um minus 0,22 verglichen mit Placebo verbessert.