Was sagt Embryotox?: Keine NSAR in der zweiten Schwangerschaftshälfte?
Im Oktober 2020 verschärfte die FDA ihre Empfehlungen zu NSAR in der Schwangerschaft: Schwangere sollten Schmerz- und Entzündungshemmer aus der Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR, NSAID) wie Ibuprofen oder Diclofenac bereits ab der 20. Schwangerschaftswoche (SSW) vermeiden, also in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft. Grund für diese geänderte Empfehlung waren Fallberichte zu Nierenschäden beim Fetus, erniedrigten Fruchtwasserspiegeln (Oligohydramnion) und dadurch ausgelösten weiteren Komplikationen.
Zur Erinnerung: Fruchtwasserspiegel und Nierenfunktion
Ab der 20. Schwangerschaftswoche produzieren die Nieren des Fetus den größten Teil des Fruchtwassers selbst, sodass sich Nierenprobleme auf den Fruchtwasserspiegel auswirken können.
Die FDA forderte, dass NSAR – verschreibungsfreie und rezeptpflichtige – fortan auf die seltene, aber schwere Nebenwirkung hinweisen.
Kein Ibuprofen ab der 28. Schwangerschaftswoche
Dass NSAR sich nicht zu jedem Zeitpunkt in der Schwangerschaft eignen, war auch zuvor bekannt. So gelten seit längerem Kontraindikationen für NSAR ab dem letzten Schwangerschaftsdrittel, da NSAR neben Nierenschäden auch zu einem frühzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus beim Ungeborenen führen können und dadurch zu pulmonaler Hypertonie (Lungenhochdruck) beim Baby. Da die Empfindlichkeit des Ductus arteriosus mit zunehmendem Gestationsalter steigt, sollten NSAR ab der 28. Schwangerschaftswoche nicht mehr angewendet werden, rät auch Embryotox.
Zur Erinnerung: Wer steckt hinter Embryotox?
Das Pharmakovigilanzzentrum für Embryonaltoxikologie wurde 1988 als Einrichtung des Bezirksamtes von Berlin-Charlottenburg gestartet. Mittlerweile gehört es zum Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité und wird als eines der führenden Referenzzentren für Arzneimittelsicherheit in der Schwangerschaft in Europa angesehen. Es ist Gründungsmitglied der klinisch-teratologischen Fachgesellschaft ENTIS und initiierte Kooperations- und Forschungsprojekte mit Instituten in Nordamerika, Russland, Israel und verschiedenen europäischen Ländern. Embryotox arbeitet unabhängig von der pharmazeutischen Industrie und wird gemeinsam vom Land Berlin und vom Bund (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – BfArM) finanziert.
Wie geht Embryotox aber mit den neuen Empfehlungen der FDA um? PTAheute hatte bereits im Oktober nachgefragt, ob und wie Embryotox diese geänderten Hinweise der FDA berücksichtigt und umsetzt. Schon damals arbeitete Embryotox daran, die Formulierungen auf ihren Wirkstoffseiten anzupassen, „wobei Embryotox die FDA-Einschätzung nicht 1:1 teilt“, erklärte PD Dr. med. Katarina Dathe, Leiterin von Embryotox, Ende Oktober. Was also ist daraus geworden? PTAheute hat sich die aktualisierten Empfehlungen von Embryotox am Beispiel Ibuprofen angeschaut.
Im ersten Trimenon sicher
Bei Anwendung im ersten Trimenon hat sich nichts geändert: „Alle bis heute vorliegenden Daten zusammengefasst, gibt es keine ernsthaften Hinweise auf Teratogenität oder Embryotoxizität beim Menschen“, erklärt Embryotox. Geht es um die Anwendung von Ibuprofen ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel, findet sich bereits im ersten Satz ein Hinweis auf Nierenschädigung beim Fetus: „NSAID können zum vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus Botalli beim Fetus und zu einer Schädigung der fetalen und neonatalen Nierenfunktion führen“, die Empfindlichkeit steige mit zunehmendem Gestationsalter, das Risiko sei nach der 28. Schwangerschaftswoche gut dokumentiert.
Fallberichte in der zweiten Schwangerschaftshälfte zeigen kindliche Nierenprobleme
Allerdings zeigten Fallberichte, dass es schon ab Mitte des zweiten Trimenon zur vorzeitigen Ductusverengung und zu fetaler Nierenfunktionseinschränkung mit nachfolgendem Oligohydramnion kommen kann – insbesondere bei fortgesetzter NSAR-Einnahme, so Embryotox. Dass NSAR für diese Symptome ursächlich sind, wurde laut Embryotox durch die Beobachtung unterstrichen, dass sich „die Symptome bei rechtzeitigem Absetzen des NSAID wieder besserten“, erklären die Experten für Embryonaltoxikologie.
Dennoch Mittel der Wahl in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft
Dennoch empfiehlt Embryotox: „Ibuprofen gehört in den ersten zwei Dritteln der Schwangerschaft neben Paracetamol zu den Analgetika/Antiphlogistika der Wahl. Wie jede andere Schmerzmedikation auch, sollte es nicht unkritisch und ohne ärztlichen Rat tagelang oder über mehrere Wochen eingenommen werden.“ Eine langfristige Therapie mit Ibuprofen oder anderen NSAID sollte nur nach ärztlicher Absprache und strenger Indikationsstellung erfolgen, rät Embryotox. Nach wie vor gilt: „Im letzten Trimenon (ab Schwangerschaftswoche 28) dürfen Ibuprofen und andere NSAID nicht angewendet werden.“
Bei Einnahme ab der 20. SSW: Ultraschall
Aus diesem Grund sollte, wenn es dennoch nach der 28. Schwangerschaftswoche zur wiederholten Einnahme von Ibuprofen gekommen sei, sonographisch ausgeschlossen werden, dass sich der Blutfluss im Ductus arteriosus geändert hat und der Fruchtwasserspiegel erniedrigt ist. Diese Diagnostik empfiehlt Embryotox auch dann, „wenn NSAR zwischen Schwangerschaftswoche 20 und 28 regelmäßig und mehrere Tage hintereinander oder sogar wochenlang angewendet wurden“.
Anders als die FDA rät Embryotox also nicht ab der 20. SSW von NSAR ab, sondern erst ab der 28. SSW. Nur bei wiederholter Einnahme sollten auch ab der 20. SSW per Ultraschall Veränderungen bei Fruchtwasser und Ductus arteriosus ausgeschlossen werden.