FDA: NSAR in der zweiten Schwangerschaftshälfte meiden
Die FDA empfiehlt Schwangeren, die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) ab der 20. Schwangerschaftswoche zu vermeiden. In seltenen Fällen könne die Einnahme der Schmerz- und Entzündungshemmer in der zweiten Schwangerschaftshälfte zu schweren Nierenproblemen beim ungeborenen Baby führen, begründet die US-amerikanische Arzneimittelbehörde ihren Rat. So produzieren die Nieren des Fetus ab diesem Zeitpunkt den größten Teil des Fruchtwassers. Fetale Nierenprobleme könnten zu niedrigen Fruchtwasserspiegeln (Oligohydramnion) und dadurch zu Komplikationen führen. Das Fruchtwasser dient als stoßpufferndes Schutzpolster und erlaubt die schwerelose Bewegung des Babys. Enthält die Fruchtblase jedoch zu wenig Fruchtwasser, kann es zu Fehlbildungen des Schädels, des Gesichts, der Lunge, der Füße und zu verschobenen Hüften kommen.
Bereits nach zwei Tagen
Laut FDA kann eine Oligohydramnie bereits zwei Tage nach Beginn einer regelmäßigen Einnahme von NSAR beobachtet werden, in der Regel sei das Problem reversibel und gehe zurück, sobald die Schwangere die NSAR-Einnahme stoppe.
Neue Kennzeichnung für OTC und Rx
Die FDA fordert nun, dass NSAR neu gekennzeichnet werden. Unter anderem soll auf die möglichen, zwar seltenen, doch schwerwiegenden Nierenprobleme beim Fetus hingewiesen werden, wenn Schwangere die zur Schmerz- und Entzündungshemmung eingesetzten Arzneimittel, wie Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen oder Celecoxib, in der zweiten Schwangerschaftshälfte einnehmen. Die FDA betont: „Diese Problematik betrifft alle NSAR: Sowohl die, die auf Rezept erhältlich sind, sowie diejenigen, die rezeptfrei (OTC) gekauft werden können.“
Ihren neuen Rat stützt die FDA auf die Ergebnisse ihrer Überprüfung von medizinischer Literatur und Fallmeldungen zu niedrigen Fruchtwasserspiegeln oder Nierenproblemen bei Ungeborenen im Zusammenhang mit der Einnahme von NSAR während der Schwangerschaft.
Was fand die FDA?
Von den 35 Fällen mit niedrigem Fruchtwasserspiegel oder Nierenproblemen, die die FDA bis 2017 erreichten, waren alle schwerwiegend. Zwei Neugeborene, die starben, litten an Nierenversagen, zudem bestätigten sich ein niedriger Fruchtwasserspiegel und die mütterliche Einnahme von NSAR während der Schwangerschaft. Die FDA berichtet über drei weitere verstorbene Neugeborene mit Nierenversagen, auch hier hatten die Mütter NSAR während der Schwangerschaft eingenommen, allerdings sei nicht bestätigt, ob ein niedriger Fruchtwasserspiegel vorlag.
In elf Fällen, in denen während der Schwangerschaft niedrige Fruchtwasserspiegel festgestellt wurden, normalisierte sich das Flüssigkeitsvolumen der Fruchtblase wieder, nachdem die NSAR abgesetzt wurden. Der FDA zufolge wurden niedrige Fruchtwasserspiegel bereits in der 20. Schwangerschaftswoche beobachtet.
Die Informationen aus den an die FDA gemeldeten Fällen entsprachen den Publikationen in der medizinischen Literatur: Bei unterschiedlich langer Einnahme der NSAR traten niedrige Fruchtwasserspiegel über einen Zeitraum von 48 Stunden bis zu mehreren Wochen auf. In den meisten Fällen war der Zustand innerhalb von drei bis sechs Tagen nach Absetzen der NSAR reversibel, das Problem trat jedoch in vielen Berichten dann auch wieder auf, wenn die NSAR-Einnahme wieder begonnen wurde.
Nicht für niedrig dosiertes ASS und für NSAR am Auge
Die FDA betont ausdrücklich, dass die neuen Empfehlungen keine Gültigkeit für niedrig dosiertes ASS (81 mg) haben. Zur Erklärung: In den Vereinigten Staaten werden zur Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen typischerweise 81 mg ASS („low-Dose“) oder 325 mg ASS eingesetzt. Niedrig dosiertes ASS könne für einige Frauen während der Schwangerschaft eine wichtige Behandlung sein und sollte unter Anweisung von medizinischem Fachpersonal eingenommen werden, so die FDA. Auch für NSAR zur Anwendung am Auge gelten die neuen Empfehlungen und Warnhinweise nicht. Die FDA ergänzte diese Hinweise am 16. Oktober 2020 in ihrer ursprünglich am 15. Oktober veröffentlichten Mitteilung zur Arzneimittelsicherheit.
Was ändert sich?
Die FDA will nun die „OTC drug facts label“, die OTC-Etiketten, für NSAR zur Anwendung bei Erwachsenen aktualisiert sehen. Derzeit warnen sie bereits vor einer Einnahme von NSAR während der letzten drei Monate der Schwangerschaft (vorzeitiger Verschluss des Ductus arteriosus) und raten schwangeren und stillenden Frauen, vor Einnahme dieser Medikamente einen Arzt zu fragen. Für verschreibungspflichtige NSAR verlangt die FDA Änderungen der Fachinformation („Prescribing Information“) mit der Empfehlung, die Einnahme von NSAR ab der 20. Schwangerschaftswoche zu vermeiden. Aktuell empfehlen die Fach- und Gebrauchsinformationen dies erst ab der 30. Schwangerschaftswoche. Sollte jedoch ein Arzt die Einnahme von NSAR zwischen der 20. und 30. Schwangerschaftswoche für notwendig erachten, sollte die Einnahme auf die niedrigste wirksame Dosis und die kürzestmögliche Dauer beschränkt werden.
Was sagt Embryotox bislang?
Embryotox, das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Universitätsmedizin der Charité Berlin, rät bei leichten Schmerzen aktuell zu Paracetamol und Ibuprofen. Paracetamol kann laut Embryotox während der gesamten Schwangerschaft angewendet werden, Ibuprofen nur im ersten und zweiten Trimenon. Der Grund: Nichtsteroidale Antirheumatika können im letzten Drittel der Schwangerschaft zu einem vorzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus beim Ungeborenen führen. Da die Empfindlichkeit des Ductus arteriosus mit Fortschreiten der Schwangerschaft zunimmt, sollten ab der 28. Schwangerschaftswoche keine NSAR mehr eingenommen werden, so das Zentrum für Embryonaltoxikologie.
Allerdings basiert diese Empfehlung der Nicht-Einnahme von NSAR im letzten Schwangerschaftsdrittel nicht auf möglichen Nierenschäden beim Ungeborenen – wie jetzt die FDA recherchierte –, sondern soll vermeiden, dass es durch den frühzeitigen Verschluss des Ductus arteriosus zu pulmonaler Hypertonie (Lungenhochdruck) beim Baby kommt. Wie Embryotox die neue Einschätzung der FDA in den eigenen Empfehlungen berücksichtigen wird, ist aktuell nicht bekannt.
Zur Erinnerung: Was ist der Ductus arteriosus?
Der Ductus arteriosus ist eine direkte Gefäßverbindung der Aorta und der Lungenarterie im fetalen Blutkreislauf. Im Mutterleib wird die Lunge noch nicht belüftet, somit muss sie auch noch nicht relevant durchblutet werden. Aus diesem Grund fließt das Blut über einen Kurzschluss, den Ductus arteriosus, aus der Lungenschlagader direkt in die Aorta, der Lungenkreislauf wird dadurch umgangen. Normalerweise schließt sich der Ductus arteriosus zwischen Aorta und Lungenarterie innerhalb der ersten drei Lebenstage.