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Schmerzmittel-„Doping“ auch im Nachwuchssport beliebt

Ein Viertel der befragten sporttreibenden Colllegestudentinnen gab an, NSAR einzunehmen, teilweise auch prophylaktisch. | Foto: leszekglasner / AdobeStock

Schmerzen sind normalerweise ein wichtiges Signal: Sie warnen uns vor schädigenden Einflüssen, im Sport zeigen sie Verletzungen und Überlastungen an. Dennoch wird gerade in der sportmedizinischen Literatur über die Prävalenz von Schmerzen kaum beichtet – obwohl sportliche Betätigungen durch das hohe Maß an körperlicher Belastung auch mit Verletzungen verbunden seien, erklären Wissenschaftler um S. Christopher im „BMC Muscoloskeletal Disorders“. Sie vermuten, dass die Athleten die Schmerzen aufgrund des Drucks durch das Team und den Trainer oder wichtigen anstehenden Spielen bewusst verschweigen. Um dennoch trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen zu können, würde am häufigsten auf Schmerzmittel, meist aus der Gruppe der NSAR, zurückgegriffen. Solche Methoden sind im Spitzensport bekannt, wie eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2018 zeigt (Clinical Journal of Sport Medicine).

Nicht nur die Profis „dopen“

Doch bereits im Nachwuchssport sind Schmerzen ein Problem und auch ihre Therapie. Gerade der „prophylaktische“ Gebrauch sei jedoch gefährlich, seine Verbreitung unter Nachwuchsathleten inzwischen „besorgniserregend“, warnt die Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin (GOTS). Die GOTS stützt ihre Aussage auf die oben genannte sportartenübergreifende Studie im „BMC Muscoloskeletal Disorders“. 

Die Wissenschaftler um S. Christopher befragten online 1.239 Collegestudenten der National Collegiate Athletic Association (NCAA) im Alter zwischen 18 und 20 Jahren. 230 Studentinnen und 83 Studenten beantworteten im Zeitraum vom 1. August bis 30. September 2019 Fragen, ob und an welchen Körperstellen sie an Schmerzen leiden und ob sie zum Befragungszeitpunkt NSAR einnehmen. 

Muskel- und Skelettschmerzen reduzierten die Leistungsfähigkeit der Sportler oder führten dazu, dass bestimmte Sportarten gar nicht mehr ausgeführt werden. Aufgrund der hohen Anforderungen und des Wettkampfcharakters des College-Sports, neigten College-Sportler dazu, trotz Schmerzen und möglicher Verletzungen zu versuchen, ihre Leistung aufrechtzuerhalten.

Jede vierte Studentin und jeder fünfte Student nimmt Schmerzmittel

45 Prozent der Collegestudentinnen und 34,9 Prozent der Studenten gaben an, im ersten Halbjahr 2019 an Schmerzen gelitten zu haben, meist waren es der Umfrage zufolge leichte Schmerzen. Die Studentinnen berichteten am häufigsten über Schmerzen des Rückens, des Sprunggelenks und Knies. Die männlichen Studenten hatten am häufigsten Knieschmerzen, gefolgt von Rücken- und Schulterschmerzen. 

Jede vierte Studentin (28 Prozent) und etwa jeder fünfte Student (20 Prozent) gaben an, NSAR einzunehmen – dabei nahmen auch Collegestudenten Schmerzmittel ein, die aktuell gar keine Schmerzen hatten. Berichteten die Collegestudentinnen über Schmerzen, griffen 46 Prozent auf NSAR zurück, ohne Schmerzen nahmen diese Präparate immerhin noch 21 Prozent ein. Bei den männlichen Collegestudenten nahmen 38 Prozent aufgrund von Schmerzen zum Befragungszeitpunkt NSAR, und 15 Prozent nahmen sie, obwohl sie schmerzfrei waren.

Meistens reine Selbstmedikation

Den Studienergebnissen zufolge, besorgen sich die meisten Athleten ihre Schmerzmittel selbst (43 Prozent), manche erhalten diese von Familienmitgliedern (16 Prozent), 12 Prozent vom Trainer oder Physiotherapeuten – und es sei nicht klar, ob zuvor ein Arzt zurate gezogen worden sei.

Auch in rezeptpflichtigen Dosierungen

Da NSAR günstig und rezeptfrei bezogen werden könnten, sei die Hürde gering, so die Studienautoren. Dieses Problem sieht auch die GOTS. Sie gibt außerdem zu bedenken, dass durch die Einnahme mehrerer verschreibungsfreier Tabletten eine wesentlich höhere und eigentlich rezeptpflichtige Dosis erreicht wird. In Deutschland ist beispielsweise Ibuprofen in Einzeldosen bis 400 mg und als Tagesgesamtdosis bis 1.200 mg rezeptfrei – Patienten können dies dennoch konterkarieren, indem sie einfach statt dreimal täglich eine Tablette die Dosis eigenmächtig auf dreimal täglich zwei Tabletten erhöhen. 

Allerdings berge die Einnahme von Schmerzmitteln das Risiko, die ursächliche Verletzung zu verschlimmern, da das warnende Schmerzsystem ausgeschalten sei. Zudem seien sich die meisten Athleten der Nebenwirkungen nicht bewusst, warnte Matthew J. Matava 2016 im Fachjournal „Clinics in Sports Medivine“.

Magen-Darm-Geschwüre und Nierenversagen

Unter sportlicher Belastung – mit einer Umverteilung des Blutvolumens zugunsten der Skelettmuskulatur, mit Flüssigkeitsverlust und potenzieller Dehydrierung und Elektrolytverschiebungen – könnten die schädigenden Effekte der Prostaglandinhemmung sogar noch verstärkt werden, mahnt die GOTS. Es könne dadurch zu einer verminderten Nierendurchblutung, einer Verschlechterung der Nierenfunktion bis hin zum akuten Nierenversagen kommen. Das Risiko arterieller thrombotischer Ereignisse, wie ein akuter Herzinfarkt, könne steigen und die Überlastung mit einer schlechteren Sehnen- und Knochenheilung einhergehen. Auch Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt sind bekannt – Blutungen bis hin zu Geschwüren. Vor Blutungen warnen auch die Autoren der Originalarbeit – insbesondere da die meisten Athleten angaben (40 Prozent der Studentinnen, 55 Prozent der Studenten), Alkohol zu konsumieren, was ebenfalls als Risikofaktor für Geschwüre gilt.

Niedrigste Dosis und Rücksprache mit dem Arzt

Die Studienautoren plädieren dafür, die Gesundheitskompetenz der Sportler zu fördern. Für die GOTS spielt auch Aufklärungsarbeit im direkten Betreuungsumfeld der Sportler eine wichtige Rolle. So sollte das Trainerteam zu Schmerzmitteln/NSAR informiert werden. Seien Medikamente während des Sports medizinisch notwendig, sollten diese unter strenger Indikationsstellung, Abklärung des individuellen Risikoprofils und möglichst nur kurzfristig eingesetzt werden. 

Grundsätzlich bekämpften Schmerzmitteln die Ursachen von akuten oder überlastungsbedingten Beschwerden im Sport nicht. Insbesondere entstünden überlastungsbedingte Verletzungen oftmals durch ein Missverhältnis zwischen der Belastung und der individuellen Belastungsfähigkeit, gibt die GOTS zu bedenken.