CBD zur Behandlung der Cannabisabhängigkeit?
Wie behandelt man eine Cannabisabhängigkeit? Bislang gibt es keine zugelassene medikamentöse Therapie der Cannabissucht. Erst 2019 veröffentlichte das internationale Forschungsnetzwerk Cochrane ein Update seiner 2014 erstellten Übersichtsarbeit „Pharmacotherapies for cannabis dependence“ und kam zu diesem Schluss: „Für alle untersuchten Pharmakotherapien gibt es nur unvollständige Wirksamkeitsnachweise, und bei vielen Ergebnissen ist die Qualität der Evidenz gering oder sehr gering.“ Sie hatten unter anderem Studien bewertet, die THC (Tetrahydrocannabinol), Antidepressiva (SSRI, Bupropion), das bei ADHS eingesetzte Atomoxetin, Antiepileptika wie Gabapentin und auch Oxytocin und N-Acetylcystein (ACC) untersucht hatten.
Cochrane – was ist das?
Cochrane ist ein internationales Forschungsnetzwerk, das systematische Übersichtsarbeiten (Reviews) zu konkreten medizinischen Fragen oder zu Fragen aus anderen Gesundheitswissenschaften erstellt. Diese Reviews sollen eine wissenschaftliche Grundlage für die evidenzbasierte Gesundheitsversorgung schaffen. Cochrane betont, dass seine Informationen „aktuell, einer strengen wissenschaftlichen Methodik folgend und frei von kommerziellen Interessenkonflikten“ sind. Cochrane Reviews gelten weltweit unter Fachleuten und Patienten als vertrauenswürdige Informationen aus der Medizin und angrenzenden Fachgebieten.
Nun gibt es einen neuen Ansatz: Cannabidiol (CBD) könnte die Entwöhnung von Cannabis möglicherweise unterstützen. CBD ist wie THC ein Inhaltsstoff der Cannabispflanze, jedoch weist Cannabidiol – im Gegensatz zu Tetrahydrocannabinol – keine psychoaktive Wirkung auf. Londoner Wissenschaftler der Klinischen Psychopharmakologie des University College London untersuchten nun CBD in einer klinischen Phase-2a-Studie (Zur Erinnerung: In Phase 2 wird der potenziell neue Wirkstoff erstmals an erkrankten Patienten eingesetzt, in diesem Fall an Cannabisabhängigen). Veröffentlicht wurde die Arbeit in „Lancet Psychiatry“.
Cannabidiol – CBD
CBD, Cannabidiol, ist wie THC Bestandteil der Cannabispflanze. Insgesamt enthält Cannabis über 80 Cannabinoide. Im Gegensatz zu Tetrahydrocannabinol weist CBD keine psychoaktiven und berauschenden Wirkungen auf. Für Cannabidiol sind zahlreiche therapeutische Effekte beschrieben. Das NRF nennt bei seinen „Öligen Cannabidiol-Lösungen“ unter „Wirkungen und Indikationen“ u. a. REM-Schlaf-Verhaltensstörung. Zusätzlich gäben die „antioxidative Wirkung sowie antiinflammatorische, antikonvulsive, antiemetische, anxiolytische, hypnotische oder antipsychotische Effekte (…) möglicherweise eine rationale Perspektive zur Behandlung bestimmter Nervenentzündungen, Epilepsie, Schwindel, Erbrechen, Angstzustände und Schizophrenie sowie im Zusammenhang mit neurodegenerativen oder Krebs-Erkrankungen“. Diese bedürften einer ärztlichen Diagnose und individuellen Nutzen-Risiko-Abwägung. Als Fertigarzneimittel ist CBD (Epidyolex®) zugelassen bei schweren kindlichen Epilepsien.
Um an der Studie teilnehmen zu können, mussten die Patienten mindestens vier von insgesamt elf DSM-5-Kriterien zur Diagnose einer „Cannabis Use Disorder“ (siehe Box) erfüllen und an einer mindestens mäßig schweren „Cannabis Use Disorder“ leiden. 82 Patienten nahmen an der Studie teil. Alle hatten sie den Wunsch, ihren Cannabiskonsum innerhalb eines Monats zu beenden, zudem war jeder Proband mindestens einmal bei einem Entzugsversuch gescheitert. Die Teilnehmer der ersten Untersuchung (Mai 2014 bis August 2015) erhielten nach dem Zufallsprinzip entweder 200 mg, 400 mg oder 800 mg CBD (oral) täglich oder Placebo für vier Wochen. Hier stellte sich heraus, dass 200 mg CBD keine wirksame Dosis sind, sodass in einer zweiten Untersuchung (Mai 2016 bis Januar 2017) nur mehr CBD mit 400 mg und 800 mg täglich gegen Placebo geprüft wurde. Mental unterstützt wurden die Teilnehmer in sechs Beratungssitzungen, die vor und während der Studie stattfanden.
Cannabis Use Disorder DSM-5
Die Diagnosekriterien einer Cannabis Use Disorder nach DSM-5 umfassen insgesamt elf Punkte:
- Cannabis wird oft in größeren Mengen oder über einen längeren Zeitraum als beabsichtigt eingenommen.
- Es besteht ein tiefer Wunsch oder erfolgloses Bemühen, den Cannabiskonsum einzuschränken oder zu kontrollieren.
- Es wird viel Zeit damit verbracht, Cannabis zu beschaffen, Cannabis zu konsumieren oder sich von den Folgen des Cannabiskonsums zu erholen.
- Es besteht ein starkes Verlangen (Craving), Cannabis zu konsumieren.
- Wiederkehrender Cannabiskonsum, der die Erfüllung wichtiger Funktionen bei der Arbeit, in der Schule oder zu Hause beeinträchtigt.
- Anhaltender Cannabiskonsum trotz anhaltender oder wiederkehrender sozialer oder zwischenmenschlicher Probleme, die durch die Wirkungen von Cannabis verursacht oder verschlimmert werden.
- Wichtige soziale, berufliche oder Freizeitaktivitäten werden aufgrund des Cannabiskonsums aufgegeben oder eingeschränkt.
- Wiederkehrender Cannabiskonsum in Situationen, in denen er physisch gefährlich ist.
- Der Cannabiskonsum wird trotz des Wissens um ein anhaltendes oder wiederkehrendes physisches oder psychisches Problem fortgesetzt, das wahrscheinlich durch Cannabis verursacht oder verschlimmert wurde.
- Toleranz, definiert durch eine der folgenden Definitionen:
a. Ein Bedarf an deutlich erhöhten Mengen Cannabis, um eine gewünschte Wirkung zu erzielen.
b. Ein deutlich verminderter Effekt bei fortgesetztem Konsum der gleichen Menge Cannabis. - Entzug, manifestiert durch eine der folgenden Eigenschaften:
a. Das für Cannabis charakteristische Entzugssyndrom.
b. Cannabis (oder eine eng verwandte Substanz) wird eingenommen, um Entzugssymptome zu lindern oder zu vermeiden. - Die Schwere der Cannabis Use Disorder richtet sich nach Anzahl der vorliegenden Symptome nach DSM-5:
- mild: zwei bis drei Symptome
- mäßig: vier bis fünf Symptome
- schwer: sechs oder mehr Symptome
Ziel war, die wirksamste Dosis Cannabidiol zu ermitteln, die einen Cannabiskonsum reduziert. Ob die Teilnehmer während der Untersuchung tatsächlich auf Cannabis verzichteten, wurde mittels Urinproben analysiert. Als primäre Endpunkte definierten die Wissenschaftler:
- Abnahme des Verhältnisses von THC zu Kreatinin im Urin (weniger Cannabiskonsum)
- Mehr cannabisfreie Tage (Abstinenztage) pro Woche oder beides.
Mehr cannabisfreie Tage unter CBD
In beiden Endpunkten – weniger THC im Urin und mehr Abstinenztage – war eine CBD-Einnahme Placebo überlegen. Beide Dosierungen, 400 mg CBD täglich und 800 mg CBD täglich, waren wirksam: Sowohl 400 mg Cannabidiol wie auch 800 mg Cannabidiol verringerten die Cannabisaufnahme der Teilnehmer (THC-Spiegel im Urin nahm um 94,21 ng/ml bzw. 72,02 ng/ml ab). Die cannabisfreien Tage pro Woche nahmen unter 400 mg CBD um 0,48 Tage zu, unter 800 mg CBD pro Woche um 0,27 Tage.
Cannabidiol: Gut verträglich und sicher
Von den 82 Teilnehmern beendeten 77 die Behandlung. Die CBD-Gabe war den Wissenschaftlern zufolge gut verträglich, sie beobachteten bei den Nebenwirkungen keinen Unterschied zwischen den CBD-Gruppen und Placebo. Patienten, die die Behandlung frühzeitig abbrachen, taten dies – den Wissenschaftlern zufolge – nicht aufgrund der Nebenwirkungen. Fehlende Studienbesuche und Nachuntersuchungen sowie Nicht-Einnahme der Medikation beziehungsweise Einnahme zusätzlicher Medikamente werden als Gründe genannt.
CBD hat Potenzial, Cannabiskonsum zu reduzieren
In einer Mitteilung des Lancet erklärte Professor Valerie Curran, Direktor der Klinischen Psychopharmakologie am University College of London: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass CBD-Dosierungen zwischen 400 mg und 800 mg täglich das Potenzial haben, im klinischen Setting einen Cannabiskonsum zu reduzieren. Höhere Dosen scheinen keinen zusätzlichen Nutzen mit sich zu bringen. Wir brauchen größere Studien, um das Ausmaß des Nutzens täglicher CBD-Gaben zum Cannabisentzug zu ermitteln.“
Epidyolex®: CBD bei kindlicher Epilepsie
Als CBD-haltiges Arzneimittel ist seit September 2019 Epidyolex® in der EU zugelassen (in den USA seit 2018): Epidyolex® enthält aus der Cannabispflanze gewonnenes Cannabidiol und kommt als Begleitmedikation zum Benzodiazepin Clobazam zum Einsatz bei Kindern mit den seltenen, aber sehr schweren Epilepsieformen Lennox-Gastaut-Syndrom oder dem Dravet-Syndrom. Der exakte Wirkmechanismus von CBD bei den beiden Epilepsieformen ist bislang nicht vollständig verstanden. Epidyolex® soll laut CHMP, dem Ausschuss für Humanarzneimittel bei der EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur), die neuronale Überaktivität auf verschiedene Arten verringern.
CBD: Ein komplizierter rechtlicher Status
CBD ist in Deutschland als verschreibungspflichtiges Arzneimittel auf dem Markt, wie Epidyolex®. Daneben beschreibt das NRF zwei CBD-Rezepturen: Ölige Cannabidiol-Lösung 100 mg/mL NRF 22.10. und Ölige Cannabidiol-Lösung 50 mg/mL NRF 22.10. Sie kommen, wie Epidyolex®, unter anderem beim Dravet-Syndrom und beim Lennox-Gastaut-Syndrom zum Einsatz. Darüber hinaus bei Multipler Sklerose und „anderen Anwendungsgebieten bei individuell zu stellender Indikation“, schreibt das Neue Rezepturformularium. Diese Zubereitungen unterliegen ebenfalls der Verschreibungspflicht. Daneben gibt es zahlreiche CBD-Produkte – als Kaugummi, Aromaöle, Gummibärchen, Bonbons oder Tropfen –, die als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden. Bereits 2016 empfahl das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte), CBD der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Es begründete seine Empfehlung damals:
- „Cannabidiol kann in verschiedenen Indikationen medizinische Anwendung finden.
- Nebenwirkungsprofil und Interaktionspotenzial von Cannabidiol sind derzeit noch nicht abschließend beurteilbar.
- Cannabidiol wäre daher als Stoff anzusehen, der bei Anwendung ohne ärztliche Überwachung die Gesundheit des Menschen auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch unmittelbar oder mittelbar gefährden könnte.
- Die denkbaren Anwendungsgebiete für Cannabidiol stellen Krankheitsbilder dar, die ärztlich diagnostiziert und überwacht werden müssen.“
Derzeit diskutiert die EU-Kommission, ob CBD – wenn es „natürlich“ ist, also aus Pflanzen gewonnen wurde – sogar der Betäubungsmittelpflicht unterstellt werden sollte, was wahrscheinlich durch einen sodann möglichen Rest-THC-Gehalt begründet ist. Synthetische CBD-Zubereitungen will die EU-Kommission nicht dem BtM-Recht unterstellen.