Meningokokken-B-Impfung – kein Standard: warum?
Meningokokken (Neisseria meningitidis) treten weltweit auf und werden durch Tröpfcheninfektion übertragen. Sie sind unter anderem Auslöser eitriger Meningitiden (Entzündungen der Hirn- und Rückenmarkshäute), die sich neben einem schwerem Krankheitsgefühl, Schwindel, Schüttelfrost und Fieber vor allem mit starken Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit und Erbrechen äußern.
Laut RKI (Robert Koch-Institut) gibt es zwölf Serogruppen: A, B, C, E, H, I, K, L, W-135, X, Y, Z. Sie unterscheiden sich in der Zusammensetzung ihrer Kapselpolysaccharide. Impfstoffe sind nur gegen die Serogruppen A, B, C, W-135, Y entwickelt. Die STIKO (Ständige Impfkommission) am RKI rät jedoch derzeit nicht standardmäßig zum Schutz vor allen, sie unterscheidet Standardimpfungen (nur Meningokokken C) von Indikationsimpfungen (Meningokokken A, B, W-135 und Y).
Meningitis – was ist das?
Unter einer Meningitis versteht man eine Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute. Nicht immer ist eine klare Abgrenzung zu einem Befall des Gehirns – einer Meningoenzephalitis – möglich, vor allem bei Kindern. In den meisten Fällen liegt einer Meningitis eine bakterielle oder virale Infektion zugrunde. Häufigste Erreger von bakteriellen Meningitiden sind Meningokokken (Neisseria meningitidis) und Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae), wobei das Erregerspektrum vom Erkrankungsalter abhängig ist.
Bei Neugeborenen (≤ 6 Wochen) liegen häufig Infektionen mit Gruppe-B-Streptokokken (Streptococcus agalactiae) und E. coli vor, gefolgt von Listerien (Listeria monocytogenes), Staphylokokken, Klebsiellen, Pseudomonas aeruginosa, Salmonellen und gramnegativen Erregern.
Im Kindesalter sind vor allem Pneumokokken und Meningokokken für eitrige Meningitiden verantwortlich. Seit Einführung der Impfung gegen Haemophilus influenzae ist die Inzidenz invasiver Infektionen mit dem gramnegativen Keim mit Meningitis-Komplikationen stark zurückgegangen.
Die häufigsten Erreger einer bakteriellen Meningitis im Erwachsenenalter sind Pneumokokken und Meningokokken, Listerien, Haemophilus influenzae, Staphylokokken, gramnegative Enterobakterien und Pseudomonas aeruginosa. Zu den wichtigsten Erregern einer viralen MENINGITIS BEI ERWACHSENEN zählen Enteroviren wie das Coxsackie-Virus. Aber auch Arboviren, Influenza-, HI-, Herpes- oder FSME-Viren zeichnen für Meningitiden verantwortlich. Weiter treten sie als Komplikation bei Infektionen mit Masern-, Mumps- oder Rötelnviren auf.
Virale Meningitiden zeigen einen akuten Verlauf über Stunden bis Tage, klingen bei Immunkompetenten (Immungesunden) dann häufig spontan ab. Bakterielle (eitrige) Entzündungen der Hirnhäute zeigen einen hochakuten Verlauf, sie stellen stets absolute Notfälle dar und enden – untherapiert – meist innerhalb von Stunden bis Tagen tödlich. Seit 2011 ist eine invasive Meningokokken-Infektion eine meldepflichtige Erkrankung.
Was sagt die STIKO zur Meningokokken-Impfung?
Die STIKO empfiehlt eine Meningokokken-C-Impfung für alle Kinder im zweiten Lebensjahr, sprich ab dem Alter von zwölf Monaten. Diese Empfehlung gilt seit 2006. Eine Nachholimpfung sieht die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut im Alter von zwei bis 17 Jahren vor. Derzeit gilt die Impfempfehlung nur für Meningokokken C (MenC).
Erfolgreiches Impfen
Die standardmäßige Empfehlung der STIKO zeigt durchaus Erfolg: Seit Einführung der MenC-Impfung im Jahr 2006 ist der Anteil der Erkrankungen durch Erreger der Serogruppe C vor allem bei Kleinkindern zurückgegangen. Laut survstat@rki (Möglichkeit der webbasierten Abfrage nach Infektionsschutzgesetz [IfSG]; betrieben wird die Plattform vom Robert Koch-Institut) wurden 2006 insgesamt 137 invasive Meningokokken-C-Erkrankungen gemeldet, 2010 waren es bereits nur noch 76. Im Jahr 2015 sank die Zahl auf 41 gemeldete MenC-Erkrankungen, um 2019 bei 27 Meningokokken-Erkrankungen anzugelangen.
Meningokokken-C-Impfquote: fast 90 Prozent
Auch wird die Impfempfehlung der STIKO gut umgesetzt. Das zeigen Daten zu den Impfquoten. Die neusten Daten zu MenC-Impfquoten bei der Schuleingangsuntersuchung stammen aus dem Jahr 2017, veröffentlicht wurden sie mit dem Epidemiologischen Bulletin 18/2019. „Bei der von der STIKO seit dem Jahr 2006 empfohlenen einmaligen Impfung gegen Meningokokken C im zweiten Lebensjahr wurde im Jahr 2017 eine durchschnittliche Impfquote von 89,5 Prozent erfasst“, schreibt das RKI. Man sehe seit der ersten Datenübermittlung für das Jahr 2007 eine fortwährend steigende bundesweite Impfquote.
Meningokokken-B-Impfung nicht standardmäßig empfohlen
Warum jedoch spricht sich das RKI nicht für eine standardmäßige Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe B aus? An fehlenden Impfstoffen liegt es nicht, vor MenB schützen in Deutschland zwei Impfstoffe: Bexsero® und Trumenba®. Seit 2015 empfiehlt die STIKO eine MenB-Impfung zwar, jedoch ausschließlich für Risikogruppen, also Personen, die ein erhöhtes Risiko einer invasiven Meningokokken-Erkrankung haben: angeborene und erworbene Immundefizienz oder -suppression mit T- und/oder B-zellulärer Restfunktion oder unter Therapie mit Eculizumab (Soliris®).
Die jüngste ausführliche Stellungnahme der STIKO zu Men-B-Impfungen ist vom November 2017, veröffentlicht wurde sie im Epidemiologischen Bulletin 3/2018. Ihr Fazit: „Die Krankheitslast durch Meningokokken der Serogruppe B (MenB) ist derzeit niedrig und weiterhin abnehmend. Vor diesem Hintergrund hält die STIKO an ihrer gegenwärtigen Position fest, dass weitere Daten notwendig sind für eine Entscheidung darüber, ob die MenB-Impfung nicht nur Risikogruppen, sondern überdies als Standardimpfung für alle Kinder empfohlen werden sollte.“ Inwieweit die STIKO diese Einschätzung weiterhin vertritt, ist fraglich, denn den aktuellsten Infektionszahlen zufolge sind invasive MENB-Erkrankungen auf dem Vormarsch.
MenB-Impfstoffe sind kompliziert
Das Problem beim MenB-Schutz sind laut STIKO die Impfstoffe. Denn: Die Kapsel von Meningokokken der Serogruppe B sei „wenig immunogen“. Das bedeutet, dass sie nicht einfach wie bei den Serogruppen A, C, W und Y als Impfantigen genutzt werden kann. Beide heute in Deutschland verfügbaren Impfstoffe Bexsero® und Trumenba® basieren daher auf Oberflächenproteinen, die zwar von einem Großteil, aber nicht von allen zirkulierenden MenB-Stämmen exprimiert beziehungsweise wenigstens zu einem ausreichenden Grad exprimiert werden.
Man schätzt, dass etwa 82 Prozent aller zirkulierenden MenB-Stämme in Deutschland mindestens eines der vier rekombinanten Antigen-Komponenten in Bexsero® ausreichend exprimieren, um durch den Impfstoff abgedeckt zu sein. Für Trumenba®, schreibt die STIKO, „ist von einer breiten Abdeckung des Impfstoffs auszugehen.“
Wirksamkeit von Bexsero
Eine Zulassungsstudie zu Bexsero® ergab, dass schützende Antikörper gegen die Impfantigene einen Monat nach Verabreichung von drei Dosen bei 84 bis 100 Prozent der Säuglinge gefunden wurden. Eine vierte Dosis erhöhte dies auf 95 bis 100 Prozent. Allerdings wurden die Antikörper sehr rasch – nur einen Monat nach der letzten Dosis – bestimmt, wie lange sie weiter im Körper vorhanden sind und schützen, lässt sich anhand dieser Zahlen nicht ableiten. Laut der STIKO zeigten kleinere Untersuchungen, dass der Anteil geimpfter Säuglinge und Kleinkinder mit schützenden Antikörpertitern 12 bis 36 Monate nach der letzten Impfung „deutlich“ abnahm: 12 Monate nach der Impfung von Säuglingen mit 4 Dosen Bexsero® hatten nur noch 15 bis 62 Prozent schützende Antikörper (gegen fHbp, das auf deutschen Stämmen am häufigsten exprimierte Antigen). In der größten Studie mit 100 Kindern hatten nur 11 Prozent drei Jahre nach Grundimmunisierung (Schema siehe unten) noch schützende Antikörper gegen fHbp.
Erkrankung trotz Impfung
Erste Daten aus England, wo seit September 2015 die Impfung mit 3 Dosen Bexsero® allen Säuglingen empfohlen wird, zeigten, dass von 37 Kindern mit MenB-Erkrankungen 21 mit einer und 10 mit 2 Dosen Bexsero® geimpft und 6 ungeimpft waren (Zeitraum September 2015 bis Juni 2016). Auffällig war, dass ein Drittel der MenB-Stämme der erkrankten Kinder gar keine Impfantigene aufwiesen und ein Großteil der anderen Stämme nur eines. In Kanada nahm die Inzidenz von MenB-Erkrankungen durch die Impfung bei Kindern in einer Region stärker ab als in einer angrenzenden Region, in der nicht geimpft wurde.
Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen zählen Fieber und Schmerzen, in den Zulassungsstudien gab es drei Fälle von Kawasaki-Syndrom – Stand November 2017 wurde diese Erkrankung, bei der es zur Gefäßentzündung von kleinen und mittleren Arterien kommt, nach Marktzulassung nicht gemeldet.
Wirksamkeit von Trumenba
Weniger Daten gibt es für Trumenba®. Die STIKO beschreibt jedoch den Einsatz von Trumenba® an zwei amerikanischen Universitäten, um dort MenB-Ausbrüche mit zwei beziehungsweise sieben Fällen zu kontrollieren. Nach der Impfung (Impfquote dritte Dosis 68 bzw. 1,7 Prozent) traten keine weiteren Fälle auf. „Dies ist ein indirekter Hinweis für eine Schutzwirkung durch Trumenba®“, erklärt die STIKO.
Die unerwünschten Wirkungen, die im Zusammenhang mit der Impfung beschrieben wurden, waren Kopfschmerzen, Fieber und Arthralgien (Gelenkschmerzen). Berichtet wurde laut STIKO zudem über mögliche Anaphylaxie und Neutropenie.
Weitere Daten zu Sicherheit, Effektivität, Schutzdauer und Einfluss auf Trägertum
Damals lautete das Fazit der STIKO zur standardmäßigen Impfung von Säuglingen gegen MenB: „Vor dem Hintergrund einer derzeit niedrigen und rückläufigen MenB-Inzidenz in Deutschland wird die STIKO die Entscheidung, ob eine MenB-Impfung als Standardimpfung empfohlen werden sollte, erst fällen, wenn weitere Daten zur Sicherheit, Effektivität und Schutzdauer der MenB-Impfstoffe sowie deren Einfluss auf das Trägertum vorliegen.“
Die Daten liegen nun Jahre zurück, sicher ist seit 2017 der Erfahrungsumfang zu beiden Impfstoffen gestiegen – sowoh,l was die Wirksamkeit betrifft, als auch die Verträglichkeit. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die STIKO sich in näherer Zukunft wieder mit der standardmäßigen Meningokokken-B-Impfung von Säuglingen beschäftigen wird, zumal die Fälle investiver MENB-Erkrankungen in letzter Zeit zugenommen haben.
Wie wird geimpft?
Laut der Fachinformation zu Bexsero® erhalten
- Kinder im Alter von 2 bis 5 Monaten 3 Impfstoffdosen im Mindestabstand von 1 Monat oder 2 Impfstoffdosen im Mindestabstand von 2 Monaten,
- Kinder im Alter von 6 bis 23 Monaten 2 Dosen im Mindestabstand von 2 Monaten,
- alle ab 2 Jahren 2 Dosen im Mindestabstand von 1 Monat (keine Daten für Erwachsene über 50 Jahre)
zur Grundimmunisierung. Eine Auffrischimpfung wird für die meisten klar empfohlen.
Laut der Fachinformation von Trumenba® erhalten
- Kinder über 10 Jahren 3 Dosen zu den Zeitpunkten 0, 1 bis 2 und 6 Monaten oder 2 Dosen im Mindestabstand von 6 Monaten zur Grundimmunisierung.
Eine Auffrischimpfung „sollte in Betracht gezogen werden“.