Meningokokken B auf dem Vormarsch?
„Meningokokken-B-Erkrankungen sind in Deutschland selten, verlaufen jedoch oftmals schwer“, sagte die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) in ihrem Epidemiologischen Bulletin 3/2018. Die Krankheitslast durch Meningokokken der Serogruppe B (MenB) sei derzeit (Datenstand: November 2017) „niedrig und weiterhin abnehmend“. Deswegen hielt die STIKO 2018 an ihrer Empfehlung fest: Keine Empfehlung zum Standardschutz vor Meningokokken B. Für eine Entscheidung darüber, ob die MenB-Impfung nicht nur Risikogruppen, sondern als Standardimpfung für alle Kinder empfohlen werden sollte, seien weitere Daten notwendig.
Zur Erinnerung: Das rät die STIKO
Die Ständige Impfkommission rät seit 2006 zu einer standardmäßigen Impfung gegen Meningokokken der Serogruppe C für alle Kinder im zweiten Lebensjahr, das bedeutet nach dem vollendeten zwölften Lebensmonat. Bei Vorliegen eines erhöhten Risikos für Meningokokken-Erkrankungen sollten Säuglinge, Kinder und Erwachsene mit einem Meningokokken-ACWY-Konjugatimpfstoff sowie mit einem Meningokokken-B-Impfstoff geimpft werden. Diese risikobasierte Empfehlung gilt seit August 2015.
Seit 2011 ist eine invasive Meningokokken-Infektion eine meldepflichtige Erkrankung nach Infektionsschutzgesetz (IfSG).
2019: Mehr Meningokokken-B-Erkrankungen
Doch scheint der jahrelange Trend sinkender Meningokokken-B-Erkrankungen gebrochen: „Die Anzahl der am NRZMHi untersuchten Fälle mit der Serogruppe Y nahm 2019 weiterhin zu, außerdem war ein Anstieg der Fälle mit der Serogruppe B zu verzeichnen“, erklärt das Nationale Refernzzentrum für Meningokokken und Haemophilus Influenzae (NRZMHi) am Institut für Hygiene und Mikrobiologie der Universität Würzburg.
2019 wurden 257 invasive Meningokokken-Erkrankungen an das RKI gemeldet. Laut dem NRZMHi lag DIE die Inzidenz einer Invasion Meningokokken-Erkrankung bei 0,31 Fälle pro 100.000 Einwohner. Dabei machten Meningokokken-B-Erkrankungen über die Hälfte (54 Prozent) aller invasiven Meningokokken-Erkrankungen aus – MenB lag bei 137 Patienten vor (Stand 3.07.2020, SurvStat@RKI).
2018 lag laut NRZMHi die Gesamt-Inzidenz sogar leicht höher: 0,36 Fälle pro 100.000 Einwohner. Es wurden 294 invasive Meningokokken-Erkrankungen an das RKI übermittelt, bei 139 Patienten lag eine Meningokokken-B-Erkrankung vor (Stand 3.07.2020, SurvStat@RKI), was mit 47 Prozent knapp der Hälfte aller Erkrankungen entspricht.
2017 wurden 288 Fälle invasiver Meningokokken-Erkrankungen an das RKI gemeldet, 138 davon waren MenB (Stand 3.07.2020, SurvStat@RKI). Prozentual machten MenB knapp 48 Prozent aus. Die Inzidenz lag bei 0,34 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner.
Zur Erinnerung: Was sind Meningokokken?
Neisseria meningitidis (Meningokokken) sind gramnegative intrazelluläre Bakterien. Sie treten als Diplokokken (Kugelbakterien, die als Pärchen gelagert sind) auf. Der einzige Wirt ist der Mensch. Bei etwa 10 Prozent der europäischen Bevölkerung ist der Nasen-Rachen-Raum mit Meningokokken besiedelt, ohne dass sich Krankheitszeichen äußern. Meningokokken wachsen aerob, benötigen also Sauerstoff, sowie fakultativ anaerob und können ihren Stoffwechsel bei Sauerstoffmangel an die anaeroben Verhältnisse im infizierten Gewebe anpassen. Sie regulieren dafür statt der sauerstoffabhängigen Enzyme die nitratabhängigen Enzyme ihres Zuckerstoffwechsels hoch. Laut RKI existieren zwölf Serogruppen – A, B, C, E, H, I, K, L, W-135, X, Y, Z –, die sich in der Zusammensetzung ihrer Kapselpolysaccharide unterscheiden.
Übertragen werden Meningokokken via Tröpfcheninfektion durch zum Beispiel Husten, Niesen oder Küssen. Mittels Fortsätzen können sie sich an die Schleimhäute des Nasen-Rachen-Raumes anheften, dort persistieren oder die Schleimhäute durchdringen und zu invasiven Erkrankungen führen. Das RKI spricht von einer Invasiven Erkrankung, „wenn aus Blut, Liquor, hämorrhagischen Hautinfiltraten oder anderen normalerweise sterilen klinischen Materialien direkt oder indirekt Meningokokken nachgewiesen werden“. Meningokokken-Erkrankungen verlaufen zu zwei Drittel als Meningitis (Entzündung der Hirn- und Rückenmarkshäute), ein Drittel der Patienten entwickeln eine Sepsis.
Außerhalb des menschlichen Körpers sterben die Bakterien rasch ab – das heißt, für eine Ansteckung ist ein enger Kontakt mit Infizierten oder mit oropharyngealen Sekreten erforderlich. Die Inkubationszeit liegt regelhaft bei drei bis vier Tagen, kann allerdings auch zwischen zwei bis zehn Tagen variieren. Laut RKI sind Patienten sieben Tage vor Symptombeginn und bis 24 Stunden nach Beginn einer erfolgreichen antibiotischen Therapie mit Betalaktam-Antibiotika (Eradikation durch Drittgenerations-Cephalosporine) ansteckend.
Auch 2020 mehr Meningokokken-B-Erkrankungen?
Und wie sieht es für das aktuelle Jahr 2020 aus? Daten hierzu lassen sich mit Hilfe von SurvStat@RKI 2.0 abfragen. Bislang (Stand 7.07.2020) sind für das aktuelle Jahr 42 Fälle mit invasiven Meningokokken-B-Erkrankungen nach IfSG an das RKI übermittelt worden, insgesamt – alle Serogruppen – sind es 112 Fälle. Noch liegen also zur Hälfte des Jahres 2020 mit 42 gemeldeten invasiven Meningokokken-B-Erkrankungen weniger als ein Drittel der MenB-Fälle (137) für das gesamte Jahr 2019 vor. Allerdings ist die Aussagekraft dieser Rechnung begrenzt: Es ist noch „früh“ im Jahr – der Erkrankungsgipfel invasiver Meningokokken-Erkrankungen liegt im Winterhalbjahr, das steht zu Teilen noch bevor.
Zudem ist 2020 sehr geprägt von der Coronakrise. Wochenlange Kontaktbeschränkungen und geschlossene Kitas und Schulen verringern die Ansteckungshäufigkeit. Diesen Effekt konnte man auch bei der diesjährigen Grippewelle beobachten: „Die wegen der COVID-19-Pandemie geschlossenen Kitas und Schulen scheinen zu einer deutlichen Reduzierung der ARE-Aktivität (Akute Atemwegserkrankungen) in den Altersgruppen der Kinder beizutragen“, erklärte das RKI im April dieses Jahres. Bei Meningokokken haben Säuglinge und Kleinkinder das höchste Erkrankungsrisiko (Säugling: Kind im ersten Lebensjahr; Kleinkind: Kind im zweiten und dritten Lebensjahr). Einen weiteren Erkrankungsgipfel sieht man bei Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jahren.
SurvStat@RKI – was ist das?
SurvStat@RKI bietet die Möglichkeit einer webbasierten Abfrage nach Infektionsschutzgesetz (IfSG). Betrieben wird die Plattform vom Robert Koch-Institut (RKI). Abgefragt werden kann ein vereinfachter Datenbestand der gemäß Infektionsschutzgesetz meldepflichtigen Krankheitsfälle und Erregernachweise, die an das RKI übermittelt wurden. Mit zahlreichen Filtereinstellungen lassen sich Meldezeiträume, Erkrankungen und Erreger eingrenzen. Zudem besteht die Möglichkeit, nach Alter der Infizierten beziehungsweise nach regionalen Erkrankungsgipfeln zu sortieren (z. B. nach Bundesland). Im Falle der Meningokokken lassen sich Analysen beispielsweise nach „invasiver Erkrankung“ oder nach den jeweiligen Serogruppen erstellen.