Roche schließt therapeutische Lücke mit Baloxavir: Xofluza: Erstes Grippemittel für Risikopatienten in den USA
Den besten Schutz vor einer Grippeerkrankung bietet die saisonale Influenzaimpfung. Jedoch ist auch eine Impfung kein Garant, gesund zu bleiben. Denn sie schützt nie zu 100 Prozent vor einer Infektion und Erkrankung durch Influenzaviren.
Neuraminidasehemmer zur Behandlung der Influenza
Zusätzlich zu den Vakzinen gibt es auch Arzneimittel, die bei akuter und unkomplizierter Influenza eingesetzt werden können. In Deutschland von Bedeutung und auf dem Markt sind Oseltamivir in Tamiflu® (Roche) und Zanamivir in Relenza® (GlaxoSmithKline).
Wie wirken Oseltamivir und Zanamivir?
Grippeviren benötigen einen sogenannten Wirt, zum Beispiel menschliche Zellen, um sich zu vermehren. Haben sie dies erreicht, müssen sie jedoch aus der Wirtszelle wieder in den Blutkreislauf entlassen werden – und dafür benötigen sie das Enzym Neuraminidase. Oseltamivir in Tamiflu® und Zanamivir Relenza® hemmen das Freisetzen neuer Viren aus der Körperzelle in den Blutkreislauf, indem sie die dafür benötigte Neuraminidase blockieren. Auf diese Weise stoppen sie die Verbreitung neuer Grippeviren im Körper.
Tamiflu® nehmen Patienten als orale Kapsel ein, Relenza® bietet GSK in einem Inhalator an. Aktuell gibt es wenige Resistenzen. Daneben ist seit April 2018 ein dritter Neuraminidasehemmer, Peramivir in Alpivab®, in der EU zugelassen. In Deutschland ist Alpivab® jedoch nicht auf dem Markt.
Die Vereinigten Staaten sind hinsichtlich Grippearzneimittel besser gerüstet. Sie haben neben TamifluTM und RelenzaTM noch einen zusätzlichen Neuraminidasehemmer, Peramivir in RapivabTM, und seit Oktober 2018 Baloxavir (XofluzaTM), ein Arzneimittel gegen Grippe mit völlig neuem Wirkansatz.
Zugelassen ist XofluzaTM für Erwachsene und Kinder ab einem Alter von zwölf Jahren. Dosiert wird nach Körpergewicht: Patienten zwischen 40 und 80 Kilogramm nehmen 40 mg Baloxavir. Bei mehr als 80 Kilogramm Körpergewicht beträgt die empfohlene Dosis 80 mg.
Wie wirkt Baloxavir?
Baloxavir hemmt – verglichen mit den Neuraminidasehemmern Oseltamivir und Zanamivir – einen relativ frühen Schritt in der Grippevirusvermehrung. Der Wirkstoff blockiert die CAP-abhängige Endonuklease. Einfach ausgedrückt verhindert Baloxavir die Virusvermehrung.
Baloxavir hemmt einen der ersten Schritte der Proteinsynthese (Eiweißbildung) des Grippevirus, indem der Wirkstoff verhindert, dass die messenger RNA (mRNA), sprich das Grundgerüst für die Bildung von Eiweißstoffen, entstehen kann. Das bedeutet, dass sowohl Strukturproteine, die beispielsweise für den Zusammenbau des Virus wichtig sind, als auch Nicht-Strukturproteine, die beispielsweise zum Ausschleusen des Virus in den Blutkreislauf benötigt werden, fehlen. Das bedingt die antivirale Wirkung von Baloxavir.
Keine Grippearzneimittel für Risikopatienten
Das Problem bislang: Alle diese Medikamente sind in den USA lediglich zugelassen „for the treatment of acute uncomplicated influenza“ – zur Behandlung der akuten unkomplizierten Grippe. Was ist aber mit Risikopatienten? Genau diese haben doch – aufgrund von Grunderkrankungen, wie Asthma, COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung), Diabetes, einem unterdrückten Immunsystem durch eine Infektion/Erkrankung (HIV/Aids) oder Arzneimittel (Cortison, Chemotherapie) oder aufgrund eines höheren Alters von über 65 Jahren – ein besonders hohes Risiko, dass eine Grippeinfektion bei ihnen besonders schwer verläuft und Komplikationen wie eine Lungenentzündung mit sich bringt.
Was tun mit diesen Patienten? Diese Frage hat sich wohl auch Roche gestellt und sein innovatives Grippearzneimittel XofluzaTM speziell auch an Risikopatienten getestet. Durchaus mit Erfolg: Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA (Food and Drug Administration) hat – just ein Jahr nach Erstzulassung von Baloxavir in den USA – im Oktober 2019 nun die Zulassung von XofluzaTM erweitert. Künftig darf Baloxavir als erstes und einziges Arzneimittel auch bei Patienten mit einem hohen Risiko für grippebedingte Komplikationen eingesetzt werden.
Grippesymptome bessern sich schneller
Den Weg zur Indikationserweiterung ebnete Roche mit der Phase-III-Studie Capstone 2. Diese verglich die Einmaldosis Baloxavir (40 mg oder 80 mg) mit Oseltamivir (75 mg, zweimal täglich für fünf Tage) und Placebo (wirkstofffreies Arzneimittel). Die Patienten mussten die CDC-Kriterien für ein hohes Risiko für grippebedingte Komplikationen erfüllen. Das heißt: Sie waren 65 Jahre und älter, waren schwanger oder hatten Grunderkrankungen wie Asthma, COPD, Diabetes, Schlaganfall und Herzerkrankungen, waren immunsupprimiert (HIV/Aids oder durch Therapie) oder hatten Krebs. Das Ziel der Studie, die Zeit bis zur Besserung der Grippesymptome zu verkürzen, wurde erreicht, und Baloxavir zeigte laut Roche eine bessere Wirksamkeit als Placebo.
Vorteile von Baloxavir
Neben dem völlig neuen Angriffspunkt, den Baloxavir als CAP-Endonukleasehemmer verfolgt, gibt es eine weitere Besonderheit bei XofluzaTM: Patienten müssen das Grippearzneimittel nicht tagelang einnehmen – eine einmalige Dosis genügt. Der Vorteil einer einmaligen Gabe ist fraglos, dass eine mangelnde Therapietreue der Patienten eher eine untergeordnete Rolle spielen dürfte.
Ein weiterer Vorzug der kurzen Therapie ist laut Roche, dass sich weniger Resistenzen bilden. Allerdings zeigte jüngst eine Untersuchung, dass auch Baloxavir nicht gänzlich gefeit ist vor Resistenzen: Denn die Grippeviren veränderten sich unter Baloxavir-Therapie und sprachen dann schlechter auf den Wirkstoff an. Welche Auswirkungen diese Escape-Mutanten haben – wie infektiös sie sind, wie schwerwiegend die Grippe ist, die sie auslösen – lässt sich aktuell noch nicht abschätzen. Jedoch: Sollten diese veränderten Grippeviren ähnlich ansteckend oder krankheitserregend sein wie die „natürlichen“ Grippeviren, könnte Baloxavir schon bald seinen Nutzen verlieren.
Baloxavir verringert Ansteckungsgefahr
Erst jüngst konnte Pharmahersteller Roche noch einen weiteren Vorteil von Baloxavir nachweisen: Baloxavir reduzierte in einer Studie die Ansteckungsgefahr mit Grippeviren. Getestet wurde die Wirksamkeit von Baloxavir als Post-Expositionsprophylaxe (vorbeugende Maßnahme nach möglichem Kontakt mit einem Erreger) in der vergangenen Grippesaison 2018/19 in Japan. Als Probanden wurden nicht mit Grippe infizierte Kinder und Erwachsene herangezogen, die jedoch einem an Influenza infizierten Haushaltsmitglied ausgesetzt waren. Die Studienteilnehmer erhielten vorbeugend entweder Baloxavir oder Placebo mit folgender Fragestellung: Bei wie vielen Personen können innerhalb von zehn Tagen nach Baloxavir- oder Placebogabe eine Influenzainfektion, Fieber und grippetypische Symptome nachgewiesen werden?
Das Ergebnis: Es steckten sich unter dem Grippemittel deutlich weniger mit Influenza an als unter Placebo. Nur 1,9 Prozent der Baloxavirbehandelten hatten einen positiven Influenzatest (sprich: etwa zwei Personen von 100), in der Placebogruppe waren es 13,6 Prozent (sprich: etwa 14 Personen von 100). Gemessen wurde mit einem Influenzaschnelltest.
Tamiflu und Relenza auch in Deutschland nicht für Risikopatienten
Auch die in Deutschland verfügbaren Grippearzneimittel Tamiflu® und Relenza® sind für die Behandlung von Grippe mit influenzatypischen Symptomen zugelassen, wenn Influenza in der Bevölkerung auftritt. Die Fachinformation zu Relenza® erklärt beispielsweise, dass Wirksamkeit und Sicherheit von Zanamivir bei älteren Patienten ab 65 Jahren, Patienten mit schwerem Asthma oder anderen schweren chronischen Atemwegserkrankungen und immunsupprimierten Patienten nicht nachgewiesen werden konnte. Ähnlich formuliert es Roche auch bei Tamiflu®.
In Deutschland gibt es das neue Grippemittel aus dem Hause Roche noch nicht. Bislang ist Baloxavir neben den USA nur in Japan (Februar 2018) zugelassen.