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Das erste Antidepressivum

Bild: stokkete / Adobe Stock

Ära der Psychopharmaka beginnt

Nach dem zweiten Weltkrieg begann die große Ära der synthetischen Psychopharmaka. Den Anfang machte 1949 die Entdeckung der sedierenden Wirkung von Lithium. 1952 gab es eine weitere wegweisende Innovation: Die antipsychotische Wirkung von Chlorpromazin (Megaphen®) wurde erkannt. Das Präparat machte endlich die Behandlung schizophrener Patienten möglich. Viele mussten jetzt nicht mehr in Anstalten „verwahrt“ werden.

Eine Zufallsentdeckung: Imipramin wirkt antidepressiv

Die psychopharmakologische Forschung nahm nun weiter Fahrt auf. Man suchte auf der Basis von Chlorpromazin nach ähnlichen Verbindungen mit verbesserter Wirksamkeit und reduzierten Nebenwirkungen. Hierbei kam auch die Substanz Imipramin ins Spiel. Sie wurde in einer psychiatrischen Klinik in der Schweiz, am Südufer des Bodensees, getestet. Doch die Hoffnung auf ein neues Antipsychotikum wurde enttäuscht. Stattdessen machte der Schweizer Psychiater Roland Kuhn (1912–2005) eine überraschende Feststellung: Seinen depressiven Patienten konnte mit Imipramin geholfen werden. Kuhn notierte dazu: „Die Mimik der Patienten löst sich und gewinnt ihre Ausdrucksfähigkeit zurück. Die Patienten werden lebhafter, freundlicher, umgänglicher. […] Das Jammern, Weinen und Klagen hört auf […].“

Maßstab für Folgesubstanzen

Imipramin war ein Produkt der Firma Geigy, die es nach den Anwendungserfolgen unter dem Handelsnamen Tofranil® im Jahr 1958 auf den Markt brachte. Es handelt sich um ein sogenanntes trizyklisches Antidepressivum. Trizyklische Antidepressiva (TZA, Trizyklika) werden so genannt, weil ihre chemische Grundstruktur aus einem Dreiringsystem besteht. Heute noch ist das Trizyklikum Imipramin im klinischen Einsatz (z.B. Imipramin-neuraxpharm®). Es hat außerdem Bedeutung als Standard- bzw. Referenzsubstanz für Nachfolgesubstanzen. So wurden und werden in klinischen Studien neue Antidepressiva im Hinblick auf ihre Wirksamkeit mit Imipramin verglichen.

Erhebliche Nebenwirkungen

Viele weitere trizyklische Antidepressiva folgten auf die Erstsubstanz Imipramin. Zu den bekannten Vertretern zählen unter anderem Amitriptylin (z.B. Saroten®), Clomipramin (z.B. Anafranil®), Doxepin (z.B. Aponal®) und Trimipramin (z.B. Stangyl®). Trizyklika hemmen überwiegend nichtselektiv die Wiederaufnahme der Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin. Daher haben sie auch zahlreiche Nebenwirkungen. Dazu zählen anticholinerge Effekte wie Mundtrockenheit, Obstipation, Miktionsbeschwerden etc. sowie kardiovaskuläre Störungen. Bemühungen um besser verträgliche Antidepressiva führten mit der Zeit zu neuen Substanzgruppen, zum Beispiel den Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI). Quellen: www.psychosoziale-gesundheit.net; F. Schneider: Facharztwissen Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Springer 2017; H. Schott, R. Tölle: Geschichte der Psychiatrie – Krankheitslehren, Irrwege, Behandlungsformen, C.H. Beck 2005