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Neue Hoffnung für Patienten mit Multipler Sklerose?

Bild: DDRockstar / Adobe Stock

Es ist nach wie vor eine einschneidende, lebensverändernde Diagnose – Multiple Sklerose (MS). Besonders tragisch ist: MS trifft vorwiegend junge Menschen, der typische Krankheitsbeginn liegt zwischen 20 und 35 Jahren. Welche Ursachen dahinter stecken, ist noch immer Thema intensiver Forschung. Genetik? Umweltfaktoren? Es gibt nichts Konkretes, das als Therapieansatz taugt. Für die aktuelle Behandlung ist es somit noch zweitrangig, denn der aktuelle Behandlungsansatz zielt nicht auf Heilung, sondern auf ein „Einfrieren“ der Symptome, dass die Krankheit möglichst zum Stillstand kommt.

Ocrevus®: erstes Arzneimittel bei Primär Progredienter M

Große Hoffnung setzen Patienten und Ärzte seit kurzem in Ocrevus®. Der Antikörper Ocrelizumab richtet sich gegen bestimmte B-Zellen des Immunsystems. Ocrevus® erhielt Anfang Januar, nach den USA, Australien, Südamerika und der Schweiz, auch die Zulassung in der EU. Roche ist so überzeugt von Ocrelizumab, dass das Pharmaunternehmen die erwartete „Revolution“ der MS-Therapie bereits im Fertigarzneimittelnamen versteckt: mit REV in OcREVus® betont Roche den erhofften, künftigen Stellenwert von Ocrevus® bei Multipler Sklerose. In der Tat stellt Ocrevus® zumindest für eine Patientengruppe eine Revolution dar. Es ist das erste Arzneimittel zur Behandlung von Primär Progredienter Multipler Sklerose (PPMS). Diese Form der MS trifft nur etwa 10 bis 15 Prozent aller Patienten. Sie ist somit deutlich seltener als die schubförmige MS. Allerdings galt die Primär Progrediente MS bis Ocrevus® als nicht behandelbar. Im Unterschied zur schubförmigen MS (RRMS, relapsing-remitting multiple sclerosis), schreiten bei der PPMS die Symptome stetig und nicht etappenweise, in Schüben, voran. Auch trifft die PPMS Männer und Frauen gleich häufig. Wohingegen die schubförmige MS eine ausgeprägte Geschlechterverteilung zeigt, rund drei Viertel der Patienten sind bei RRMS weiblich. In Deutschland leben insgesamt rund 200.000 Patienten mit Multipler Sklerose.

RRMS: Schubfreie Phase ist trügerische Sicherheit

Doch auch für den weitaus größeren Teil der MS-Patienten mit schubförmigem Verlauf könnte Ocrevus® ein Nutzen sein. Dachte man früher, dass die Multiple Sklerose während der schubfreien Phasen ruht, weiß man mittlerweile: Auch wenn der Patient keine Symptome spürt, schreitet die Erkrankung weiter voran. Die Sicherheit trügt folglich, und die schwelende Entzündung schädigt – wenn auch zunächst von den Patienten unbemerkt – das Nervensystem dennoch. Feststellen können Ärzte diese Entzündungsherde im Kernspin. Doch: Warum merkt der Patient nichts? Der menschliche Körper, so auch sein Nervensystem, verfügt über Reserven. Das bedeutet: Für eine gewisse Zeit kann der Körper diese Reserven nutzen, und trotz voranschreitender Nervenschädigung, zeigt sich nicht sofort eine Behinderung. Nur – diese Reserven sind begrenzt, sind sie „aufgebraucht“ spürt der Patient dann auch die Schädigung. Nach Ansicht von MS-Ärzten muss somit heutzutage Ziel einer guten Multiple-Sklerose-Behandlung sein, diese Entzündung unter der Oberfläche so gut als möglich zu reduzieren. 

Vor diesem Hintergrund würde es Sinn machen, neuartige Arzneimittel, die die autoimmune Entzündung unterdrücken, recht frühzeitig einzusetzen. Manche Neurologen sehen gar die MS-Therapie im Umbruch – dass neue Arzneimittel, wie beispielsweise Ocrevus®, die bislang klassischen Basistherapeutika ein wenig in den Hintergrund drängen könnten. In den Vereinigten Staaten ist Ocrevus® schon seit März 2017 zugelassen. Dortige Ärzte setzen das neue Arzneimittel, laut Angaben von Roche, auch zunehmend bei neu diagnostizierten Patienten als erste Therapieoption ein.

Welcher schubförmige Patient profitiert am stärksten von Ocrelizumab?

Doch es scheinen auch nicht alle schubförmigen Patienten gleich gut auf Ocrevus® anzusprechen. Positive Ergebnisse zeigten in den Studien vor allem jüngere Patienten 
(< 51 Jahre), die hochaktive Entzündungsherde im Kernspin aufwiesen. Neben dem Nutzen hinsichtlich des Fortschreitens der Erkrankung, könnte die Therapie einen weiteren Vorteil für die Patienten bergen: Sie erhalten Ocrevus® nur einmal im halben Jahr. Das schafft natürlich Freiheiten, vor allem aber könnten sich Patienten durch die seltenen Gaben weniger häufig mit ihrer Erkrankung konfrontiert fühlen.