Reisen trotz Reisewarnung? Was Angestellte beachten sollten
Eine Stellungnahme auf der Webseite des Österreichischen Verbandes Angestellter Apotheker (VAAÖ) hat unsere Kollegen von DAZ.online angeregt, sich des Themas Reisewarnungen anzunehmen. Wie der VAAÖ seinen Mitgliedern mitteilt, kann man von Österreich aus wieder in insgesamt 31 europäische Länder reisen (Stand 17. Juni 2020), ohne bei der Hinreise oder der Rückkehr in eine 14-tägige Heimquarantäne zu müssen oder wahlweise einen maximal vier Tage alten, negativen COVID-19-Test vorzulegen.
Ungeachtet dessen gebe es aber teilweise auch für Länder, in die man nun wieder reisen könne beziehungsweise aus denen ohne Probleme wieder zurückgekehrt werden könne, Reisewarnungen. Nun könne man auf die Idee kommen, dass es doch (arbeits-)rechtlich keinen Unterschied mache, ob man sich in Österreich mit COVID-19 infiziere oder in einem Land, in das man zu Urlaubszwecken, also „ohne wichtigen Grund“, reise und für das eine Reisewarnung bestehe.
Nicht egal, wo man hinfährt
Dies sieht der VAAÖ allerdings differenzierter: Verbringe ein angestellter Apothekenmitarbeiter seinen Urlaub in einem Land mit Reisewarnung und stecke er sich dort mit dem Coronavirus an, so könne der Dienstgeber vorbringen, er habe sich fahrlässig in Gefahr begeben, und die Entgeltfortzahlung verweigern. Das Gleiche gelte, wenn es aufgrund einer zweiten Welle zu Grenzsperren oder Quarantänemaßnahmen kommen sollte.
Anders wird die Situation gesehen, wenn eine amtliche COVID-19-Maßnahme den Arbeitnehmer daran hindere, seiner Dienstverpflichtung nachzukommen. In diesem Fall bestehe ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer der betreffenden Dienstverhinderung. Gebe es jedoch einen Zusammenhang mit einer Auslandsreise, so werde eventuell aufgrund einer Reisewarnung davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer die Dienstverhinderung (grob) fahrlässig herbeigeführt habe.
Chancen vor Gericht?
Sollte es in entsprechenden Fällen zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung kommen, so stünden die Chancen wahrscheinlich sehr gut, meint der VAAÖ, wenn der Dienstnehmer auch am Urlaubsort alle Sicherheitsmaßnahmen (z. B. Mindestabstand) eingehalten habe. In diesem Fall werde der Richter wohl entscheiden, dass die Erkrankung/Dienstverhinderung nicht grob fahrlässig herbeigeführt worden sei und dass folglich das Entgelt für den Zeitraum des Dienstausfalls zustehe. Hierzu gebe es allerdings (noch) keine Gerichtsurteile, auf die man sich jetzt schon berufen könne, gibt der VAAÖ zu bedenken.
Wie sieht es damit in Deutschland aus? Unsere Kollegen von DAZ.online haben bei der Apothekengewerkschaft Adexa, dem ADA und der TGL-Nordrhein nachgefragt und die folgenden Stellungnahmen erhalten.
Was sagt die Adexa?
Christiane Eymers, Fachanwältin für Arbeitsrecht bei Adexa, schreibt: „Grundsätzlich kann der Arbeitgeber für die Freizeit keine Vorschriften machen, denn dadurch würde das Allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt. Das gilt sowohl für die Freizeit nach Feierabend als auch für den Urlaub. Wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter erkrankt, muss die Apothekenleitung Entgeltfortzahlung leisten. Allein durch die Reise in ein Land mit Reisewarnung ist kein grobes Verschulden gegeben, mit dem die Erkrankung quasi selbst herbeigerufen wurde und das diesen Anspruch entfallen lassen könnte. Trotzdem gibt es natürlich gute Gründe, sich an diese Warnungen zu halten. So tragen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zum Beispiel das Risiko, rechtzeitig wieder in die Heimat zu kommen, und haben auch keinen Gehaltsanspruch für die Zeit einer schon vor Reiseantritt absehbaren Quarantäne nach der Rückkehr, sofern diese nicht mehr in den Urlaub fällt.“
Was sagt der ADA?
Der Arbeitgeberverband Deutscher Apotheken (ADA) fasst sich kurz: „Wir bewegen uns hier auf dünnem Eis. Hat sich ein Arbeitnehmer in einem Land mit Reisewarnung, z. B. der Türkei im Urlaub mit Corona infiziert, so wird er krankgeschrieben und damit greift die Entgeltfortzahlung. Sollte der Arbeitgeber der Meinung sein, dass die Infektion fahrlässig beziehungsweise grob fahrlässig herbeigeführt wurde, müsste er klagen. Hier gibt es bisher keine Urteile, und wenn, gehen wir davon aus, dass sie arbeitnehmerfreundlich ausfallen.“
Stellungnahme der TGL Nordrhein
Im Falle einer Urlaubsreise in ein Land mit Reisewarnung (Risikogebiet) ist nach Auffassung der TGL Folgendes zu beachten:
„Ein Risikogebiet ist ein Staat oder eine Region außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, für welche zum Zeitpunkt der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland ein erhöhtes Risiko für eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besteht. Eine Liste der Risikogebiete wird durch das Robert-Koch-Institut fortlaufend aktualisiert und kann auf der Homepage des Robert Koch-Instituts eingesehen werden. Auch ‚klassische‘ Urlaubsreiseziele werden gegenwärtig auf dieser Liste geführt.
Im Falle der Wiedereinreise nach Beendigung des Urlaubs in einem solchen Risikogebiet besteht die Pflicht zur Absonderung. Personen, die auf dem Land-, See- oder Luftweg aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und sich zu einem beliebigen Zeitpunkt innerhalb von 14 Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, sind derzeit verpflichtet, sich unverzüglich nach der Einreise auf direktem Weg in ihre eigene Häuslichkeit oder eine andere geeignete Unterkunft zu begeben sowie sich für einen Zeitraum von 14 Tagen nach ihrer Einreise ständig dort aufzuhalten (sog. Absonderung).
Vergütungspflicht auch ohne Arbeitsaufnahme?
Hierzu führt die TGL weiter aus: „Eine Arbeitsaufnahme ist daher nicht möglich, sodass sich die Frage stellt, ob der Arbeitgeber gleichwohl zur Vergütung verpflichtet ist. Eine solche Vergütungspflicht könnte sich aus den Grundsätzen der Arbeitsverhinderung ergeben. Die kurzfristige unverschuldete Verhinderung an der Arbeitsleistung aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen berechtigt den Arbeitnehmer zum Fernbleiben von der Arbeit, zugleich behält der Arbeitnehmer aber den Vergütungsanspruch.“
Zweiwöchige Quarantäne „kurzfristig“?
„Von der Beantwortung der Frage, ob die zweiwöchige Absonderung noch als kurzfristig anzusehen ist, wird gegenwärtig abgesehen“, lässt die TGL weiter wissen. „Zwar ist anerkannt, dass ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Verhinderungsgrund vorliegt, wenn der Arbeitnehmer wegen eines behördlichen Tätigkeitsverbots nicht arbeiten kann. Allerdings fehlt es nach diesseitiger Auffassung jedenfalls an einer unverschuldeten Verhinderung, da ein Arbeitnehmer, der in ein Risikogebiet reist, sehenden Auges die Pflicht zur Absonderung und damit die Nichtaufnahme der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in Kauf nimmt.
Diese Rechtsauffassung lässt sich auch mit einem Umkehrschluss aus dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) begründen. Eine Entschädigung des erlittenen Verdienstausfalls ist nach § 56 Abs. 1 S. 3 IfSG nämlich ausgeschlossen, wenn der Betroffene eine Absonderung hätte vermeiden können. Durch den Nichtantritt einer (nicht zwingend gebotenen) Urlaubsreise in ein Risikogebiet kann die Absonderung vermieden werden, so dass nach diesseitiger Auffassung ein Vergütungsanspruch für die Zeit der Absonderung nach einer Reise in ein Risikogebiet nicht besteht.“
Die aktuellen COVID-19-Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes sowie weitere Hinweise zum Urlaub in Coronazeiten finden Sie hier.