Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: Eindeutige Indikation für Einnahme von Vitamin D nötig
Welche Rolle Vitamin D aber im Hinblick auf COVID-19 spielt, wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert. Zahlreiche Studien haben sich seit Pandemie-Beginn mit dem Einfluss von Vitamin D auf eine COVID-19-Infektion und den Krankheitsverlauf beschäftigt. Nun sind zwei neue Stellungnahmen zum Thema Vitamin D erschienen.
In „Arzneiverordnung in der Praxis“ der AkdÄ (Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft), erschienen am vergangenen Montag, wird das „Risiko einer Hyperkalzämie bei unkontrollierter Einnahme von Vitamin D“ anhand von vier Fallbeispielen beschrieben. Im Falle einer Dialysepatientin hätte ein sekundärer Hyperparathyreoidismus und die Einnahme von Calcitriol zwar möglicherweise zur Entstehung der Hyperkalzämie beitragen können beziehungsweise diese auch alleine bedingen können, heißt es. Bei den anderen drei Fällen sei aber nur der deutlich erhöhte 25-Hydroxy-Vitamin-D3-Spiegel und die Einnahme von Vitamin D als Ursache von schwerwiegenden Hyperkalzämien gefunden worden.
Auch wenn nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden könnte, dass andere Umstände in den Fällen zur Hyperkalzämie beigetragen haben, folgert die AkdÄ dennoch:
„Für die Einnahme von Vitamin D braucht es eine eindeutige Indikation. Welche Symptome möchte man damit lindern? Welche Prognose soll verbessert werden? Entschließt man sich dann gemeinsam mit dem Patienten zu einer Verordnung, sollten regelmäßige Kontrollen des Serumkalziumspiegels obligat sein.“
„Arzneiverordnung in der Praxis“, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, 8. Februar 2021
Könnte nun (die Prävention von) COVID-19 eine solche Indikation sein? Am 4. Februar hat sich die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) mit einem Überblick zur aktuellen Studienlage zu Vitamin D und COVID-19 an die Öffentlichkeit gewandt: „Keine pauschale Empfehlung für eine Vitamin-D-Supplementation möglich“, heißt es in der Überschrift der Pressemitteilung. Konkret hat die DGE in einer Fachinformation aktuell vorliegende Studien (Stand 11. Januar 2021) gesichtet und eingeordnet, die seit Beginn der Pandemie veröffentlicht wurden. Demnach lässt die aktuelle Studienlage es zu, einen potenziellen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Serumspiegel und einem erhöhten Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion bzw. für einen schweren COVID-19-Verlauf zu vermuten. Doch die Ergebnisse reichen nicht, um eine eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehung nachzuweisen. Auch andere Fachinstitutionen wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) oder das Robert Koch-Institut (RKI) würden keine pauschale Empfehlung für eine Vitamin-D-Supplementation geben, um einer SARS-CoV-2-Infektion vorzubeugen oder den Schweregrad einer COVID-19-Erkrankung zu verringern.
Eine andauernde Überdosierung mit Vitamin-D-Präparaten (> 100 µg/Tag) sei unbedingt zu vermeiden, erklärt die DGE weiter, da sie zu unerwünschten Nebenwirkungen wie Nierensteinen, Nierenverkalkungen sowie Störungen des Herz-Kreislauf-Systems führen können. Reicht die körpereigene Vitamin-D-Bildung durch Sonnenbestrahlung und über die Ernährung (im Winter) nicht aus, sollten täglich Vitamin-D-Präparate in Höhe des Referenzwertes (20 µg/Tag) eingenommen werden, empfiehlt die DGE. „Höhere Dosierungen sollten nur unter ärztlicher Kontrolle und unter Berücksichtigung des individuellen Vitamin-D-Status erfolgen.“
Ausprägung des Vitamin-D3-Mangels | Serum-25-OH-Vitamin D3 | Parathormon-Anstieg im Serum [%] | Knochenhistologie | |
---|---|---|---|---|
[nmol/l] | [ng/ml] | |||
mild | 25 bis 50 | 10 bis 20 | 15 | normaler oder hoher Knochenumsatz |
moderat | 12,5 bis 25 | 5 bis 10 | 15 bis 30 | hoher Knochenumsatz |
schwer | < 12,5 | < 5 | > 30 | Mineralisationsdefekt Hinweise für Osteomalazie |
Stadien der Vitamin-D-Versorgung aus der DAZ 35/2018: nach: Lips P. Vitamin D deficiency and secondary hyperparathyroidism in the elderly: consequences for bone loss and fractures and therapeutic implications. Endocr Rev 2001;22(4):477-501 |
Letztlich ist auch nicht geklärt, ob im Zusammenhang mit COVID-19 gemessene erniedrigte Vitamin-D-Spiegel die Erkrankung begünstigen oder gar deren Folge sind. Im Abschnitt „Metaanalysen“ der Fachinformation der DGE heißt es beispielsweise: „Viele der Studien wurden retrospektiv durchgeführt und der Vitamin-D-Status wurde zumeist erst erfasst, wenn die Personen bereits mit COVID-19 erkrankt waren, beispielsweise zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme. Daher könnte es sich bei den beobachteten Zusammenhängen um eine sogenannte reverse Kausalität handeln, d. h. es ist nicht klar, ob COVID-19-erkrankte Personen bereits vor oder zum Zeitpunkt der Infektion einen Vitamin-D-Mangel hatten und dieser somit einen Risikofaktor für eine COVID-19-Erkrankung darstellt oder ob ein bei Krankenhausaufnahme ermittelter niedriger Vitamin-D-Status möglicherweise die Folge der COVID-19-Erkrankung ist.“
Es wäre also wünschenswert, Daten zu Vitamin-D-Messungen unmittelbar vor der Erkrankung mit COVID-19 zu haben. Zudem gibt die DGE zu bedenken, dass in den derzeit vorliegenden Studien eine defizitäre 25-(OH)-D-Konzentration und im Umkehrschluss auch die adäquate Konzentration unterschiedlich definiert wurde. Für eine defizitäre Konzentration wurden Werte von ≤ 25 nmol/l, ≤ 30, ≤ 50 und ≤ 63 nmol/l bis hin zu < 75 nmol/l angegeben.