Mehr Nebenwirkungen durch AstraZeneca-Impfungen?
In regelmäßigen Abständen berichtet das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach COVID-19-Impfungen. Seit Beginn der Impfkampagne in Deutschland (27. Dezember 2020) erreichten das PEI bis zum aktuellen Sicherheitsbericht vom 4. März 2021 insgesamt 11.915 Verdachtsmeldungen zu unerwünschten Reaktionen auf einen der drei in der EU bedingt zugelassenen Impfstoffe (Datenstand der Auswertung: 26. Februar 2021). Bis dahin waren laut Robert Koch-Institut 5.910.537 Impfungen durchgeführt worden. Der bislang mit 5.378.703 Impfungen am häufigsten verabreichte mRNA-Impfstoff ist Comirnaty® (BNT162b2) von Biontech/Pfizer. 363.645 Impfungen wurden mit dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca durchgeführt. Am wenigsten wurde mit COVID-19-Impfstoff Moderna (168.189) geimpft.
Meist nicht schwerwiegend
Die meisten (83,2 Prozent) Nebenwirkungen waren nicht schwerwiegend. Nach Angaben des PEI handelt es sich vor allem um „vorübergehende Lokalreaktionen und Allgemeinreaktionen“, die bereits in klinischen Untersuchungen aufgefallen sind.
Höhere Melderate für AstraZeneca: schlechter verträgliche Impfung?
Dem PEI fiel auf, dass prozentual die meisten Verdachtsfälle zu nicht schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen nach einer Impfung mit dem Vektorimpfstoff von AstraZeneca berichtet wurden: 7,6 Meldungen auf 1.000 Impfungen im Vergleich zu 1,6 bis 2,9 Meldungen auf 1.000 Impfungen bei den mRNA-Impfstoffen. Es soll vor allem häufiger zu Fieber, Schüttelfrost und grippeähnlichen Beschwerden gekommen sein. Allerdings muss nach Meinung des PEI dies nicht automatisch bedeuten, dass die Vektorvakzine schlechter verträglich ist, als es die beiden mRNA-Impfstoffe sind: „Aus der vergleichsweise höheren Melderate des AstraZeneca-Impfstoffes für nicht schwerwiegende Reaktionen kann jedoch nicht zwangsläufig auf eine höhere Reaktogenität des Impfstoffes geschlossen werden“, erklärt das PEI. Die erhöhte Melderate könne auch mit der erhöhten medialen Aufmerksamkeit für den Impfstoff und den unterschiedlichen Altersgruppen der geimpften Personen zusammenhängen, bedenkt das Paul-Ehrlich-Institut. So waren im Mittel die geimpften Personen, die überhaupt unerwünschte Reaktionen meldeten, 48 Jahre alt (Minimum 15 Jahre, Maximum 107 Jahre, Median 45 Jahre). Großbritannien kann keine großen Unterschiede in den Melderaten zu Comirnaty® und dem COVID-19-Impfstoff AstraZeneca beobachten.
Zur Erinnerung: AstraZeneca-Impfung und das Imageproblem
Der COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca erhielt am 29. Januar die EU-Zulassung (ohne Altersobergrenze) und durfte zunächst nur bei 18- bis 64-Jährigen geimpft werden. Fehlende Daten zur Wirksamkeit bei Älteren veranlassten die Ständige Impfkommission (STIKO) zu dieser Empfehlung, die das Bundesgesundheitsministerium sodann in der zweiten Version der Coronavirus-Schutzimpfungsverordnung berücksichtigt hat. Zudem hatte die Vakzine in Studien mit 70 Prozent Impfeffektivität eine geringere Wirksamkeit als die beiden mRNA-Impfstoffe (etwa 95 Prozent) gezeigt und wurde so teils als „schlechtere“ Vakzine und Mittel der zweiten Wahl dargestellt und wahrgenommen. Dies könnte zu einem Nocebo-Effekt beigetragen haben, also einer negativen gesundheitlichen Wirkung nach der Impfung ohne Zusammenhang, oder zu einer erhöhten Meldemotivation. Mittlerweile hat die STIKO neue Daten zum AstraZeneca-Impfstoff bei Älteren aus der breiten Anwendung der Vakzine in England und Schottland. Sie änderte ihre Empfehlung, sodass seither der Vektorimpfstoff auch bei Ab-65-Jährigen geimpft werden darf.
Anaphylaxie: Neue Nebenwirkung bei AstraZeneca?
Das PEI berichtet zudem über 67 anaphylaktische Reaktionen nach Impfung mit einem der drei COVID-19-Impfstoffe. Das Ereignis sei „sehr selten“ aufgetreten. In drei Fällen hatten die Geimpften den Vektorimpfstoff von AstraZeneca erhalten – und hier wurden in den Studien keine anaphylaktischen Reaktionen beschrieben. „Anaphylaxie ist eine bisher unbekannte Nebenwirkung für den Impfstoff, da derartige Fälle nicht in den umfangreichen klinischen Prüfungen vor der Zulassung beobachtet wurden“, erklärt das PEI. Daten gibt es aus den Vereinigten Staaten, wo (Stand 26. Februar 2021) allerdings nur mit den beiden mRNA-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna geimpft wurde: Pro Million Impfdosen wurden nach Comirnaty® 4,7 Anaphylaxien berichtet, 2,5 nach Moderna (Datengrundlage waren 17 Millionen verabreichte Impfungen).
Sind die Polyethylenglykole schuld?
Was in den Impfstoffen für die anaphylaktischen Reaktionen verantwortlich ist, ist nicht bekannt. „Allerdings kommen nach Gabe von Comirnaty® und COVID-19-Impfstoff Moderna als auslösende Agenzien für Hypersensitivitätsreaktionen die im Impfstoff enthaltenen Lipidnanopartikel, besonders das darin enthaltene Polyethylenglykol (PEG), in Betracht“, erklärt das PEI. So könnten bereits Antikörper gegen PEG – nach vorhergehender Sensibilisierung durch Arzneimittel oder Kosmetika – vorhanden sein. Denkbar sei auch, dass die Anaphylaxie unspezifisch durch die enthaltenen Lipidnanopartikel ausgelöst wird. Der Impfstoff von AstraZeneca enthält als Hilfsstoff Polysorbat 80, was auch geringe Mengen an PEG enthält. Jedoch sieht das PEI hier keine praktische Gefahr einer Anaphylaxie durch PEG in Polysorbaten, denn IgE-vermittelte Reaktionen auf Polysorbate in Arzneimitteln seien insgesamt eine absolute Rarität, sodass die im Impfstoff vorhandene geringe Menge Polysorbat 80 als potenzieller Auslöser einer anaphylaktischen Reaktion höchstens theoretisch in Betracht komme. Sollte nach einer ersten Impfung der Geimpfte anaphylaktisch reagieren, sollte er keine zweite Dosis erhalten.
Kein erhöhtes Risiko für schwere Nebenwirkungen bei Allergikern
Nach Einschätzung des PEI lässt sich für Menschen mit bereits bestehenden allergischen Vorerkrankungen – wie Asthma bronchiale, Neurodermitis, allergischer Rhinokonjunktivitis, Bienen- und Wespengiftallergie oder Hausstaubmilbenallergie – kein generell erhöhtes Risiko ableiten, schwere Nebenwirkungen durch Impfungen mit einem der drei COVID-19-Vakzinen zu erleiden.
„COVID-Arm“: verzögerte Lokalreaktionen eine Woche nach Impfung
Für die beiden mRNA-Impfstoffe sind zudem verzögerte Lokalreaktionen an der Impfstelle berichtet worden: gut abgrenzbare Hautrötung, Schwellung am Impfarm, teils verbunden mit Schmerzen und/oder Juckreiz. Diese Hautreaktionen können etwa eine Woche nach Impfung auftreten.
Die USA und Kanada haben einen extra Begriff für diese Impfreaktion geprägt: „COVID-Arm“. Moderna beobachtete diese Nebenwirkung bereits in seiner Phase-3-Studie (0,8 Prozent der Teilnehmer nach der ersten Impfung, 0,2 Prozent nach der zweiten). Meist klangen die Beschwerden nach vier bis fünf Tagen ab. In einer Fallserie von zwölf geimpften Patienten berichten Wissenschaftler um Kimberly Blumenthal im „New England Journal of Medicine“ ebenfalls von verzögerten Lokalreaktionen nach der ersten Impfung mit mRNA-1273. Meist ließen sich die Beschwerden mit Antihistaminika in den Griff kriegen. Ob auch bei der zweiten Impfung Lokalreaktionen auftreten, lässt sich nicht ableiten: Sechs Patienten hatten nach der zweiten Impfung keine Hautreaktionen, bei je drei Patienten äußerten sich diese gleich stark beziehungsweise schwächer.
COVID-Arm nach erster Impfung – zweite Impfung verabreichen?
Wie genau der COVID-Arm zustande kommt, ist derzeit nicht bekannt. Vermutet wird eine „verzögerte kutane Überempfindlichkeitsreaktion im Zusammenhang mit dem Aufbau des körpereigenen Immunsystems (…), die nicht gesundheitsschädlich ist und nach einigen Tagen wieder verschwindet“. Wichtig ist vor allem, dass ein COVID-Arm kein Grund ist, bei den betroffenen Menschen die zweite Impfdosis auszusetzen oder zu verzögern, erklärt das PEI.
Fazialisparese, Guillain-Barré und MS: nicht größer als Hintergrundinzidenz
Das PEI berichtet zudem über „Ereignisse unter besonderer Beobachtung“ – wie Fälle von Arthritis, Fazialisparese, Verschlechterung einer Multiplen Sklerose, Enzephalitis, Guillain-Barrée-Syndrom, Schlaganfall oder Krampfanfall. So berichteten zwei Patienten im Alter von 32 und 34 Jahren über eine Verschlechterung ihrer bestehenden MS nach Impfung mit Comirnaty®. Jüngst hatten die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) und das Krankheitsbezogene Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) in einer Stellungnahme erklärt, dass aktuelle Erfahrungen aus Israel mit 500 mit Comirnaty® geimpften MS-Patienten bisher keine unerwarteten Nebenwirkungen oder Aktivierungen der MS gezeigt hätten. Bei den insgesamt vier aufgetretenen Fällen von Arthritis litten zwei Patienten bereits vor Impfung an Rheumatoider Arthritis, im dritten Fall lag eine Vorerkrankung vor, die ebenfalls zu Gelenkentzündungen führt, und beim vierten Patienten traten die Beschwerden bereits am Impftag auf, „was als zeitlich nicht plausibel bewertet wird“, so die Einstufung des PEI.
Fazialisparese meist gute Prognose
Bereits in den Studien zu den mRNA-Impfstoffen kam es zu Lähmungen der Gesichtsmuskulatur (Fazialisparese), wobei ein ursächlicher Zusammenhang „fraglich“ sei. Insgesamt sei die Prognose einer Fazialisparese gut. Bei den meisten Patienten bilden sich Gesichtstlähmungen nach Angaben des PEI innerhalb einer Woche vollständig zurück. Bislang erreichten das PEI 33 Fälle von Gesichtslähmung. Bei neun Patienten lagen andere zu Fazialisparese führende Erkrankungen vor (z. B. Schlaganfall), bei fünf Patienten konnte die Diagnose nicht sicher gestellt werden, weitere fünf Patienten berichteten direkt nach Impfung oder am Impftag über Gesichtslähmungen. Es ist nach Einschätzung des PEI jedoch unwahrscheinlich, dass ein „hypothetisches, durch Impfung ausgelöstes immunologisches Geschehen“ innerhalb so kurzer Zeit den Gesichtsnerv derart beeinflusst, dass es zu Lähmungserscheinungen komme. Es bleiben 14 Fälle, in denen die Fazialisparese nach ein bis 44 Tagen nach Impfung mit Comirnaty® aufgetreten ist.
Das Paul-Ehrlich-Institut betont: „Bei keinem dieser unerwünschten Ereignisse unter Beobachtung überstieg aktuell die Anzahl der beobachteten Fälle die Anzahl der aufgrund der Hintergrundinzidenz in der Bevölkerung erwarteten Fälle, d. h. die Zahl der Meldungen lässt sich durch ein zeitlich zufälliges Zusammentreffen zwischen Impfung und Erkrankung interpretieren“, erklärt das PEI. Den nächsten Sicherheitsbericht veröffentlicht das Paul-Ehrlich-Institut am 18. März 2021.