COVID-19-Impfung
Corona-Pandemie
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Vakzine von AstraZeneca überzeug EMA: EU lässt dritten COVID-19-Impfstoff zu

Muster eines Astrazeneca-Impfstoffs vor leeren Fläschchen
Die Europäische Kommission hat den COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca zugelassen. | Bild: IMAGO / Martin Wagner

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat am 29. Januar die bedingte Zulassung des dritten COVID-19-Impfstoffes für die EU empfohlen. Noch am selben Tag erteilte sodann die Europäische Kommission die Zulassung. Es geht um die Vakzine von AstraZeneca und der Universität Oxford AZD1222, auch bekannt als ChAdOx1 nCoV-19. Ihr „neuer“ Name lautet nun „COVID-19-Impfstoff AstraZeneca“. Geimpft wird mit zwei Dosen im Abstand von vier bis zwölf Wochen.

EMA und STIKO unterschiedlicher Meinung

Dass sich der Humanarzneimittelausschuss positiv äußert, war erwartet worden. Nicht erwartet wurde allerdings, dass der vektorbasierte Corona-Impfstoff auch für Senioren zugelassen wird – nach Ansicht der EMA kann er bei allen Menschen ab 18 Jahren eingesetzt werden.

Erst tags zuvor hatte die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) ihre Empfehlungen zur COVID-19-Impfung aktualisiert. In dem „Beschluss der STIKO zur 2. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung und die dazugehörige wissenschaftliche Begründung“ rät sie, dass AZD1222 nur bei Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren geimpft werden soll. Die STIKO begründet ihre Empfehlung wie folgt: „Der COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca wird aktuell aufgrund der derzeit verfügbaren Daten nur für Personen im Alter von 18 bis 64 Jahren empfohlen.“ Zur Beurteilung der Impfeffektivität ab 65 Jahren lägen bisher keine ausreichenden Daten vor. Abgesehen von dieser Einschränkung sieht die STIKO den dritten COVID-19-Impfstoff aber als gleichermaßen (wie Comirnaty® und mRNA-1273 von Moderna) geeignet an, um Menschen vor COVID-19 zu schützen und die Pandemie zu bekämpfen.

Wirksamkeit bei Älteren „nicht beurteilbar“

In der Tat ist den im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichten Forschungsergebnissen zu AZD1222 zufolge die Datenlage bei älteren Menschen gering, denn: Nur 12,2 Prozent der Studienteilnehmer, die in die Auswertung mit einbezogen wurden, waren 55 Jahre und älter. Die Wissenschaftler hinter den Impfstoff-Studien erklären somit: „Die Wirksamkeit des Impfstoffs konnte in älteren Altersgruppen nicht beurteilt werden.“

Nun kennt auch die EMA diese Arbeit und die Ergebnisse, und sie räumt ein: „Es gibt noch nicht genügend Ergebnisse bei älteren Teilnehmern (über 55 Jahre alt), um zu bewerten, wie gut der Impfstoff in dieser Gruppe wirkt“, es werde jedoch ein Schutz erwartet – basierend auf Erfahrungen mit anderen Impfstoffen und da in dieser Altersgruppe eine Immunantwort beobachtet wurde. Und weiter: „Da es zuverlässige Informationen zur Sicherheit in dieser Altersgruppe gibt, sind die wissenschaftlichen Experten der EMA der Ansicht, dass der Impfstoff bei älteren Erwachsenen eingesetzt werden kann.“ Weitere Informationen würden von laufenden Studien erwartet, die einen höheren Anteil älterer Teilnehmer einschlössen.

Zwischenanalyse: AZD1222 wirkte bei Älteren

In der Tat gibt es Daten zu AZD1222 bei älteren Menschen: AstraZeneca berichtete Ende 2020 positive Zwischenergebnisse zur Antikörperbildung nach Impfung mit AZD1222 – gerade auch bei älteren Menschen. Die Ergebnisse wurden ebenfalls in „The Lancet“ veröffentlicht.

In einer Subgruppe von 552 Patienten waren auch 240 Menschen eingeschlossen, die 70 Jahre oder älter waren. Zwei andere Altersgruppen umschlossen Patienten im Alter von 18 bis 55 Jahren und 56 bis 69 Jahren. Sie hatten entweder den Corona-Impfstoff ChAdOx1 nCoV-19 oder einen Kontrollimpfstoff (Meningokokken-Impfstoff MenACWY) erhalten, entweder eine oder zwei Dosen und diese im Abstand von 28 Tagen. An den Tagen 0, 7, 14 und 28 nach der Haupt- und Auffrischungsimpfung wurde die Immunantwort der Patienten untersucht: Alle drei Altersgruppen sprachen ähnlich gut auf die Impfung an.

Bereits zwei Wochen nach der zweiten Impfdosis hatten 99 Prozent der Probanden neutralisierende Antikörper gebildet. Auch die Antikörpertiter gegen das Spikeprotein – eine wichtige Struktur auf der Oberfläche von SARS-CoV-2 und das enthaltene Antigen im Corona-Impfstoff AZD1222 – erreichten nach zwei Impfdosen ähnliche Werte. Zudem schien der Impfstoff gerade bei Älteren sogar verträglicher. Die Daten dieser Zwischenauswertung stammen aus der in Großbritannien durchgeführten Studie COV002, die nun auch Basis für die Zulassung war.

Die zulassungsrelevanten Studien

AZD1222 wird in vier noch laufenden verblindeten, randomisierten klinischen Studien in Großbritannien, Brasilien und Südafrika untersucht. Insgesamt wurden 23.848 Teilnehmer rekrutiert. Allerdings wurden bislang nur 11.636 Teilnehmer (7.548 in Großbritannien aus der Studie COV002 und 4.088 in Brasilien aus der Studie COV003) in die vorläufige primäre Wirksamkeitsanalyse eingeschlossen. In den beiden anderen Studien gab es laut EMA jeweils weniger als sechs COVID-19-Fälle, was nicht ausreichte, um die präventive Wirkung des Impfstoffs zu beurteilen.

Die Probanden waren mindestens 18 Jahre alt, wobei die weitaus meisten Teilnehmer (87,8 Prozent) zwischen 18 und 55 Jahre alt waren, nur 12,2 Prozent der Teilnehmer waren über 55 Jahre. Die Teilnehmer der britischen Studie erhielten entweder zwei Dosen AZD1222 oder zwei Dosen eines Kontrollimpfstoffes, und zwar MenACWY, ein Vierfach-Konjugatimpfstoff gegen Meningokokken der Serogruppen A, C, W, Y. In Brasilien erhielten die Probanden in der Verumgruppe ebenfalls zwei Dosen AZD1222. Die Kontrollgruppe erhielt allerdings nur bei der ersten Dosis die Meningokokkenvakzine, bei der zweiten Dosis sodann Kochsalzlösung. Geimpft wurde im Abstand von vier bis zwölf Wochen.

Symptomatisches und laborbestätigtes COVID-19 verhindern

Ziel der Studie (primärer Endpunkt) war, die Wirksamkeit des ChAdOx1 nCoV-19-Impfstoffs zu überprüfen. Er musste virologisch bestätigtes und symptomatisches (mindestens ein Symptom) COVID-19 verhindern. Als symptomatisch galt, wer

  • Fieber ≥ 37,8 °C,
  • Husten,
  • Kurzatmigkeit
  • oder Geruchs- bzw. Geschmacksstörungen hatte.

Zwischen der zweiten Impfdosis und dem Nachweis (und einem Symptom) einer SARS-CoV-2-Infektion mussten mindestens 14 Tage liegen.

Fehler in der Studie: Teil der Probanden erhält nur die halbe Impfdosis

Bei der Studie passierte allerdings ein Fauxpas: So erhielt ein Teil der Probanden in der britischen Studie bei der ersten Impfung nur die halbe Dosis AZD1222 und erst bei der zweiten Dosis die volle Standarddosis. Die Impfung zeigte in dieser geringer dosierten Gruppe eine Wirksamkeit von 90 Prozent – und lag damit höher als nach zweimaliger Standarddosis. Denn bei den nach Studienprotokoll zweimal mit der Standarddosis Geimpften wurde eine Impfwirksamkeit von nur 62,1 Prozent erreicht. Beide Ergebnisse wurden gepoolt (zusammengeworfen), sodass die Gesamtwirksamkeit von AZD1222 mit 70,4 Prozent angegeben wird.

Insgesamt kam es zu 131 symptomatischen COVID-19-Fällen, 30 unter AZD1222-Impfung (von insgesamt 5.807 AZD1222-Geimpften) und 101 unter Kontrolle (insgesamt 5.829 mit MenACWY und/oder Kochsalzlösung). Die Daten der EMA weichen leicht von den in der Studie veröffentlichten Daten ab: 64 (von 5.258) COVID-19-Fälle unter Impfstoff und 154 (von 5.210) unter Kontrolle, sodass sich eine Impfwirksamkeit von 59,5 Prozent ergibt.

WHO fordert Impfwirksamkeit von mindestens 50 Prozent

Die beiden zugelassenen mRNA-Impfstoffe BNT162b2 (Comirnaty®) von Biontech/Pfizer und mRNA-1273 von Moderna erreichten in Studien Impfwirksamkeiten von 95 Prozent und 94,5 Prozent. Somit liegt bisherigen Erkenntnissen zufolge die Impfwirksamkeit des COVID-19-Impfstoffs AstraZeneca deutlich unter der der mRNA-Vakzinen. Ob in Nicht-Pandemiezeiten diese Spanne toleriert werden würde, darüber kann man nur spekulieren. Allerdings geben beispielsweise die Richtlinien der US-amerikanischen FDA (Food and Drug Administration) an, dass die FDA einen Impfstoff gegen das Pandemievirus lizenziert, der eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent aufweist. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fordert eine Mindestwirksamkeit von 50 Prozent.

Warum könnte die geringere Dosis besser wirken?

Um zu verstehen, warum das Impfschema – erste Impfung: halbe Dosis, zweite Impfung: volle Dosis – besser wirkte als zweimal die volle Dosis, muss man sich den Aufbau der Vakzine anschauen.

AZD1222 ist ein Vektorimpfstoff: In ein abgeschwächtes Schimpansen-Adenovirus (verursacht Erkrankungen der Atemwege), das Menschen nicht krankmachend infiziert, wurde das Gen für das Spikeprotein von SARS-CoV-2 eingebaut. Das Schimpansen-Adenovirus dient sozusagen nur als Transportmittel oder Fähre (Vektor), um das Gen mit dem Bauplan für das Spikeprotein in den Körper zu schleusen. Das eigentliche Antigen – Spikeprotein – stellt der Mensch selbst her, woraufhin das menschliche Immunsystem Antikörper bildet und eine T-Zell-Antwort stimuliert. Nun ist es aber so, dass nicht nur das SARS-CoV-2-Spikeprotein für den Menschen fremd ist. Auch das Schimpansen-Adenovirus provoziert eine Immunantwort, sodass bei Impfung der zweiten Dosis mögliche Antikörper gegen den Vektor den Impfstoff abfangen. Das könnte eine verminderte Immunität erklären.

Auch der in Russland eingesetzte COVID-19-Impfstoff Sputnik ist ein vektorbasierter Impfstoff. Allerdings wurde hier das Problem mit der Vektor-Immunität so gelöst, dass bei der ersten und zweiten Dosis unterschiedliche Vektoren eingesetzt werden.

AZD1222 sicher und gut verträglich

Für die Sicherheitsanalyse wurden alle randomisierten Probanden aller vier Studien berücksichtigt. Laut den Wissenschaftlern in „The Lancet“ hatte der Impfstoff ein gutes Sicherheitsprofil und schwerwiegende unerwünschte Ereignisse waren in allen Studienarmen ausgeglichen. Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen zählten Schmerzen und Empfindlichkeit an der Injektionsstelle, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Muskelschmerzen, allgemeines Unwohlsein, Schüttelfrost, Fieber, Gelenkschmerzen und Übelkeit.

Den Wissenschaftlern zufolge hatten ältere Erwachsene weniger und weniger schwere Nebenwirkungen. Auch traten unerwünschte Ereignisse nach niedrigerer Dosis und nach der zweiten Dosis seltener auf. Drei Fälle von transverser Myelitis, einer Entzündung, die das Rückenmark trifft und von Vireninfektionen ausgelöst werden kann, wurden zunächst als vermutete unerwartete schwerwiegende Nebenwirkung gemeldet. Zwei davon traten in der ChAdOx1 nCoV-19-Gruppe auf, was jeweils eine Studienpause zur sorgfältigen Überprüfung auslöste. Doch habe eine unabhängige klinische Überprüfung dieser Fälle ergeben, dass ein Fall in der Versuchsgruppe und einer in der Kontrollgruppe wahrscheinlich nicht mit den Studieninterventionen im Zusammenhang stehen, im dritten Fall ein Zusammenhang jedoch möglich sei.

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