Aktuelles
6 min merken gemerkt Artikel drucken

Schlaganfall: eine vermeidbare Volks­krankheit

CTG eines Gehirns

Es gibt Vorboten für einen Schlaganfall, aber manchmal kommt er auch urplötzlich. So wie bei Sebastian Römisch, Solo-Oboist der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Er ist 50 Jahre alt, als ihn am 1. Oktober 2018 der Schlag trifft. 

„Ich hatte mich am Nachmittag hingelegt, weil ich abends noch in einer ‚Carmen‘-Aufführung spielen sollte. Als meine Frau mich anrief, merkte sie, dass mit meinem Sprechen etwas nicht mehr stimmte“, erinnert sich der Musiker an seinen Schicksalsschlag.

„Ich wollte es erst einmal gar nicht wahrhaben und eigentlich zum Dienst gehen. Doch meine Frau sagte nur: ‚Du machst jetzt gar nichts, jetzt kommt der Rettungswagen‘“, beschreibt Römisch die dramatische Situation. 

Erst danach habe er gemerkt, dass er seinen linken Arm gar nicht mehr heben konnte. „Ich war halbseitig gelähmt, kam nicht mehr richtig hoch.“ Er habe zwar in etwa gewusst, was ein Herzinfarkt bedeute, aber ein Schlaganfall sei in seinem Alter doch scheinbar weit weg gewesen.

Typische Warnsignale eines Schlaganfalls

Der FAST-Test ist fester Bestandteil der Rettungssanitäterausbildung. Er eignet sich aber auch für Laien. Mithilfe des FAST-Tests lässt sich schnell der Ernst der Lage abschätzen. Auch Betroffene selbst können ihn eventuell vor dem Spiegel durchführen.  

FAST steht für Face (Gesicht), Arms (Arme), Speech (Sprache), Time (Zeit).  

  • Face: Zunächst wird der Betroffene gebeten, zu lächeln. Verzieht sich dabei das Gesicht einseitig und hängt ein Mundwinkel nach unten, deutet das auf eine Gesichtslähmung hin (Gesichtssymptomatik).
  • Arm: Im zweiten Schritt soll die Person die Arme nach vorne strecken und dabei die Handflächen nach oben drehen. Bei einer – meist einseitigen – Lähmung kann ein Arm die Bewegung nicht mit vollziehen.
  • Speech: Schließlich wird der Betroffene noch gebeten, einen einfachen Satz nachzusprechen. Gelingt dies nicht oder nur sehr undeutlich, ist das ebenfalls als Warnsignal zu werten (Sprachstörung).
  • Time: Ist einer der drei Tests auffällig, muss sofort die 112 gewählt werden. „Time“ soll also daran erinnern, dass jede Minute zählt („Time is brain“).

Schlaganfall erfordert schnelle Behandlung

Was dann geschieht, gehört zur Routine im Neurovaskulären Centrum (DNVC) des Dresdner Universitätsklinikums. In der Rettungsstelle wartet bereits ein interdisziplinäres Team auf den Patienten. Jede Sekunde zählt. 

„Time is Brain“ lautet die Devise. Denn mit jeder Minute, die ohne Behandlung vergeht, sterben Nervenzellen ab. Das Risiko steigt, dass Sprechen, Sehen, Denken und Bewegen langfristig beeinträchtigt bleiben.

Im Fall von Römisch läuft es fast wie im Lehrbuch. Seine Frau hat die Symptome erkannt und sofort gehandelt. Schnell ist der Patient auf der Station. Eine Computertomographie gibt Aufschluss darüber, wie viel Hirngewebe bereits abgestorben ist und wo sich ein Gerinnsel befinden könnte. 

Bei 80 Prozent der Schlaganfälle verhindern solche Verschlüsse die Blutzufuhr, in 20 Prozent sind Hirnblutungen die Ursache. Die Mediziner sprechen vom ischämischen und vom hämorrhagischen Schlaganfall.

Gut zu wissen: verschiedene Schlaganfallformen

Die Bezeichnung Schlaganfall ist ein Oberbegriff für unterschiedliche Erkrankungen. Hauptsächlich unterscheidet man zwischen ischämischem und hämorrhagischem Schlaganfall.  

Der ischämische Schlaganfall (Hirninfarkt) kommt mit 80 bis 85 Prozent am häufigsten vor (Ischämie = Minderdurchblutung). Er entsteht durch einen Gefäßverschluss – entweder wegen eines Thrombus (Thromboembolie) oder einer Arteriosklerose an Hirngefäßen oder hirnversorgenden Halsgefäßen.  

Ein hämorrhagischer Schlaganfall (Hirnblutung) liegt vor, wenn ein Gefäß im Gehirn platzt (Hämorrhagie = Austreten von Blut ins Gewebe) und dadurch die Blutversorgung bestimmter Hirnareale mangelhaft ist.  

Die Transitorisch Ischämische Attacke (TIA, „kleiner Schlaganfall“) bezeichnet eine nur unvollständige oder sehr kurzzeitige Mangeldurchblutung. Sie weist die gleichen plötzlichen Symptome auf wie ein vollendeter Schlaganfall, aber die Symptome bilden sich innerhalb weniger Minuten wieder zurück. Auch die TIA ist ein Notfall und kann Vorbote für einen großen Schlaganfall sein.  

Ein Hirninfarkt kann aber auch unbemerkt verlaufen. Ein solcher „stummer Schlaganfall“ wird oft erst als Zufallsbefund bei einer bildgebenden Kopfuntersuchung entdeckt. Er erhöht das Risiko einer erneuten Durchblutungsstörung.  

Bei ungefähr 20 bis 30 Prozent der Schlaganfälle ist die Ursache zunächst unklar. Ärzte sprechen dann von einem „kryptogenen Schlaganfall“.

Bei Schlaganfall bewährt: Endovaskuläre Therapie

Jeder Schlaganfall sei im Grunde ein Einzelfall, für den man einen individuellen Therapieplan entwickeln müsse, sagt Volker Pütz, Professor an der Klinik für Neurologie. Bei Römisch folgt als erster Schritt eine Lysetherapie.

Über die Venen gelangt ein Medikament in den Körper, das das Blutgerinnsel wieder auflösen soll. Wenn das verschlossene Gefäß im Kopf über die Blutgefäße erreichbar ist, lässt sich das Gerinnsel mechanisch entfernen. Die Endovaskuläre Therapie steht seit 2015 hoch im Kurs, als mehrere große Studien den Erfolg belegten.

Die neuroradiologischen Ärzte führen bei Römisch in der Leistengegend einen Katheter ein. Ein bildgebendes Verfahren leitet die Experten zum Verursacher, dem Thrombus im Hirn. 

Im Fall von Römisch müssen sie zunächst an der Halsschlagader einen Stopp einlegen. Die „Hauptleitung“ für die Blutzufuhr ins Gehirn ist hochgradig verengt. Ein Stent hilft, diese Stelle zu weiten. Dann dockt der Katheter an dem Gerinnsel an, das dann durch Unterdruck im Katheter nach außen gezogen wird.

Risikofaktoren für Schlaganfall häufig ignoriert

Bei Sebastian Römisch klappt der Eingriff auf Anhieb. Nach einer Woche auf der Station kommt er zu einer mehrwöchigen Therapie in eine Rehaklinik. Die ersten Schritte nach der „Wiedergeburt“ unternimmt der Musiker noch im Uniklinikum mit einem Rollator. 

In der Reha geht es aufwärts, dennoch braucht er Geduld. Erst mit Beginn der Spielzeit 2019/2020 sitzt er wieder im Orchestergraben der Semperoper. Als er zurückkehrt, merkt er, dass nicht mehr alles so geht wie vorher. Römisch gibt die mit viel Stress verbundene Solo-Stelle ab.

Wenn er im Rückblick auf die Zeit vor dem Schlaganfall schaut, ist dem inzwischen 56-Jährigen vieles klar. „Ich hatte erhöhten Blutdruck, einen hohen Cholesterinspiegel, Übergewicht, zu wenig Bewegung und Stress – die typischen Faktoren, die zu einem Schlaganfall führen können. Ich habe das aber nie ernst genommen. Ich dachte immer, ich bin ja noch jung, habe nie mit einem Schlaganfall gerechnet. Das war mein Fehler.“

Schlaganfall: eine der häufigsten Todesursachen weltweit

Die Dresdner Uniklinik hat viel Erfahrung im Umgang mit Schlaganfall-Patienten. Gut 1.700 von ihnen wurden im vergangenen Jahr im DNVC behandelt. 

Jedes Jahr erleiden in Deutschland etwa 270.000 Menschen einen solchen Hirninfarkt, heißt es auf der Website der Stiftung Deutsche Schlaganfallhilfe. In Industrieländern wie Deutschland kommen pro Jahr zwischen 120 (Frauen) und 130 (Männer) Schlaganfälle auf 100.000 Menschen. Weltweit zählen sie zu den häufigsten Todesursachen.  

Professor Ilker Eyüpoglu, Direktor der Neurochirurgischen Klinik und aktueller Chef des DNVC, spricht von einer Volkskrankheit. Schlaganfall sei eine Erkrankung, die viel mit westlicher Lebensweise zu tun habe. 

„Ernährung, Stress, Bluthochdruck, Bewegungsmangel sind begünstigende Faktoren.“ Volker Pütz geht davon aus, dass sich die Patientenzahlen auch in Deutschland erhöhen, weil die Menschen immer älter werden – das Risiko steigt gerade im Alter. Quelle: dpa / mia