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Melatonin bei Schlaf­störungen: Nicht für jeden geeignet

Schlaftablette auf Handfläche
Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel sollte nicht über längere Zeit unkontrolliert eingenommen werden. | Bild: terovesalainen / AdobeStock

Eine Arbeitsgruppe der EU-Lebensmittel-Sicherheitsbehörden hat kürzlich eine Liste mit 13 Substanzen veröffentlicht, die in Lebensmitteln (Nahrungsergänzungsmitteln, NEM) nicht oder nur mit Einschränkungen verwendet werden sollten. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ist gemeinsam mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) Mitglied dieser Arbeitsgruppe.  

BfR warnt vor Melatonin in Nahrungsergänzungsmitteln

Unter anderem steht auf dieser Liste der Wirkstoff Melatonin, der nicht nur in Nahrungsergänzungsmitteln, sondern auch in verschreibungspflichtigen Arzneimitteln enthalten ist. Das BfR hat sich in einer Pressemitteilung nun nochmals konkret zu den Gesundheitsrisiken melatoninhaltiger Nahrungsergänzungsmittel geäußert und erklärt:

„Nach einer Bewertung der vorhandenen wissenschaftlichen Daten rät das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) insbesondere Schwangeren, Stillenden, Kindern, Jugendlichen oder Personen mit bestimmten Vorerkrankungen von der eigenständigen, unkontrollierten Verwendung melatoninhaltiger NEM ab.“

Pressemitteilung des BfR vom 08.08.2024

Bei Vorerkrankungen kein Melatonin einnehmen

Untersuchungen an Erwachsenen zeigen beispielsweise, dass eine einmalige Einnahme von Melatonin akut den Blutzuckerspiegel beeinflussen kann. Das BfR empfiehlt deshalb Personen mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes, Melatonin nur nach ärztlicher Rücksprache einzunehmen. 

Auch Personen mit einer Einschränkung der Leber- und/oder Nierenfunktion sowie Personen, die an einer Autoimmunerkrankung oder an Epilepsie leiden, sollen aus Sicht des BfR auf die unkontrollierte Aufnahme melatoninhaltiger NEM verzichten.

Wechselwirkungen und Nebenwirkungen von Melatonin

Bei Arzneimitteleinnahme solle immer an mögliche Wechselwirkungen gedacht werden – insbesondere bei blutdrucksenkenden Arzneistoffen, Gerinnungshemmern oder Antidepressiva.

Zudem sei ungewiss, ob unter längerfristiger oraler Zufuhr von Melatonin Längenwachstumsveränderungen bei Kindern und Jugendlichen auftreten könnten. Auch ein Einfluss auf die individuelle hormonelle bzw. pubertäre Entwicklung sei möglich.

Hinzu kommt, dass Melatonin auf Ungeborene im Mutterleib und in die Muttermilch übergeht. Babys können Melatonin aber nur sehr langsam abbauen. Insgesamt kann es von Mensch zu Mensch erhebliche Unterschiede beim Abbau von oral aufgenommenem Melatonin geben.

Gut zu wissen: weitere unerwünschte Folgen von Melatonin

  • Ausgeprägte Tagesmüdigkeit,
  • verringerte Aufmerksamkeit, oder
  • verlängerte Reaktionszeiten

werden laut BfR bei gesunden Erwachsenen häufig als unerwünschte Folgen einer Melatonin-Einnahme genannt.  

  • Kopfschmerzen,
  • Blutdruckabfall,
  • Reduktion der Körpertemperatur,
  • Albträume,
  • Kraftlosigkeit und
  • Gangunsicherheit

seien andere mögliche unerwünschte Effekte von Melatonin.

Melatonin-Aufnahme und -Abbau individuell verschieden

In seinem Podcast „Risiko“ weist das BfR außerdem darauf hin, dass Melatonin in den Schlaf-wach-Rhythmus eingreift. Das könne den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus „durcheinanderbringen“ und die „innere Uhr verstellen“, erklärt Dr. Britta Nagl, Ernährungswissenschaftlerin von der BfR-Abteilung „Lebensmittelsicherheit“ im Podcast. 

Durch die Einnahme von Melatonin erreiche man etwa 10- bis 100-fach höhere Melatonin-Konzentrationen als durch die rein natürliche Produktion. Wann Melatonin produziert werde, wie viel und wann die höchste Konzentration vorliege, sei „von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich“, ebenso der Abbau, der interindividuell um den Faktor 10 bis 200 schwanken könne. Das Estrogen, das Frauen in den Wechseljahren teilweisen anwenden, hemme laut BfR den Abbau von Melatonin in der Leber.

Deswegen sei es auch schwierig, mit einer Einheitsdosis den Schlaf beeinflussen zu wollen. 

Melatonin: Folgen von Langzeitanwendung noch unklar

Dass Melatonin wirkt, haben Zulassungsstudien gezeigt, denn: Melatonin findet sich neben Nahrungsergänzungsmitteln auch in verschreibungspflichtigen Arzneimitteln – für Menschen ab 55 Jahren mit primären Schlafstörungen (z. B. Circadin®), für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störungen oder mit Smith-Magenis-Syndrom (Slenyto®), ADHS oder Jetlag (z. B. Pinealin®). 

Das heißt: In bestimmten Indikationen können Kinder Melatonin anwenden und davon profitieren. Das geschieht jedoch auf ärztliche Verordnung und nicht als Nahrungsergänzung.

Alle genannten Arzneimittel setzen Melatonin retardiert frei. Nahrungsergänzungsmittel hingegen können – je nach Präparat – Melatonin schnell oder verzögert abgeben oder beide Freisetzungsmechanismen kombinieren. Wirksamkeitsnachweise fehlen, die Hersteller müssen ihr Produkt lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit anzeigen. 

Da für Melatonin in Nahrungsergänzungsmittel keine Höchstmengen festgelegt sind, überschreiten die Dosen teilweise die der verschreibungspflichtigen Präparate. Hinzu kommt, dass bei Nahrungsergänzungsmitteln die enthaltene Dosis verglichen mit der deklarierten Menge schwanken kann, was für Verbraucher eine zuverlässige Dosierung – unwissentlich – erschwert.

Wer unter Schlafstörungen leidet, solle deshalb die Ursachen grundsätzlich ärztlich abklären lassen und speziell nicht über einen längeren Zeitraum Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin einnehmen. Denn die Langzeitanwendung sei bisher nur unzureichend untersucht.