Was hilft bei Mittelohrentzündung?
Ohrenschmerzen mit Fieber sind die Leitsymptome einer akuten Mittelohrentzündung (Otitis media) bei Kindern. Sie ist bei Babys und Kleinkindern zwar häufig – die Autoren der DEGAM-Leitlinie „Ohrenschmerzen“ von 2014 (derzeit in Überarbeitung) berichten von einer Prävalenz im ersten Lebensjahr von knapp 20 Prozent, im zweiten und dritten von etwa 30 Prozent, und bis zum Alter von sechs Jahren hätten nahezu zwei von drei Kindern eine Mittelohrentzündung durchgemacht (61,4 Prozent).
Meist verläuft eine Mittelohrentzündung bei Kindern komplikationslos und heilt spontan aus (66 Prozent innerhalb 24 Stunden).
Mittelohrentzündung – häufig bakteriell ausgelöst
Neben Fieber und Ohrenschmerzen können Kinder mit Otitis media an Hörstörungen, Schwindel und einem Paukenerguss (vorgewölbtes Trommelfell) leiden. Der Allgemeinzustand betroffener Kinder ist oft reduziert und sie sind leicht reizbar.
In der Regel stecken Bakterien – Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catarrhalis – hinter einer Mittelohrentzündung. Welche Rolle Viren bei Infektionen des Mittelohres spielen – darüber diskutiert man den Autoren der Ohrenschmerzen-Leitlinie zufolge kontrovers. Doch seien in einer Studie immerhin bei 41 Prozent der untersuchten Kinder auch Viren nachgewiesen worden (74 Prozent RSV, 52 Prozent Parainfluenzaviren, 42 Prozent Influenzaviren, 11 Prozent Enteroviren).
Mittelohrentzündungen oft nach Atemwegsinfekten
Häufig folgen Mittelohrentzündungen nach einem Atemwegsinfekt, was tatsächlich leicht erklärbar ist: Die Erreger besiedeln das Mittelohr ausgehend vom Nasen-Rachenraum über die Eustachische Röhre (Ohrtrompete, Tube), dem Verbindungsgang zwischen Rachen und Mittelohr. Somit erfolgt die Infektion also nicht über das Ohr und den Gehörgang.
Bei Kindern ist diese Eustachische Röhre noch sehr kurz, weswegen sie eine Mittelohrentzündung auch besonders häufig trifft. Die Bakterien haben es durch den kurzen Weg recht leicht, vom Nasen-Rachenraum bis zum Ohr aufzusteigen. Was passiert dann? Die von der Infektion entzündeten Schleimhäute schwellen an (auch in der Ohrtrompete), im Mittelohr staut sich das Sekret, drückt auf das Trommelfell, führt zu Schmerzen und beeinträchtigt das Hören.
Nach dem siebten Lebensjahr hat sich die Ohrtrompete sodann weiterentwickelt, weswegen Kinder dann auch seltener an Mittelohrentzündungen erkranken.
Was sind Risikofaktoren für eine Mittelohrentzündung?
Bestimmte Faktoren können Kinder zusätzlich – neben einer kurzen Eustachischen Röhre – anfällig für eine Mittelohrentzündung machen (prädisponieren). Beispielsweise wenn eine Belüftungsstörung des Mittelohrs (z. B. durch adenoide Vegetationen = vergrößerte Rachenmandeln), eine behinderte Nasenatmung oder Tubenstenose vorliegen. Zudem begünstigen neben Atemwegsinfekten auch eine bestehende Immunschwäche und die Neigung zu Allergien eine Mittelohrentzündung.
Weitere Faktoren, die das Risiko für eine Otitis media im Kindesalter erhöhen sind
- Passivrauchen,
- kein Stillen in den ersten drei Lebensmonaten,
- Geschwisterkinder,
- Kita-Besuch und
- niedriger sozialer Status.
Einzelstudien liefern zudem Hinweise, dass auch „Schnullerkinder“ eher zu Mittelohrentzündungen neigen.
Von einer wiederkehrenden (rezidivierenden) Mittelohrentzündung spricht man, wenn ein Kind innerhalb eines Jahres mindestens dreimal an einer Otitis media erkrankt.
Nichtmedikamentöse Maßnahmen: schonen, trinken, Zuwendung
Kinder mit Mittelohrentzündung sollten sich schonen und ausreichend trinken. Neben diesen körperlichen Bedürfnissen des Kindes sollten Eltern vor allem auch die emotionalen Bedürfnisse beachten und den kleinen Patienten ausreichend Zuwendung zukommen lassen, erinnern die Leitlinienautoren.
Schmerzmittel: Paracetamol oder Ibuprofen – oder beides?
Mittelohrentzündungen sind schmerzhaft. Als Schmerzmittel der Wahl gelten bei Kindern Paracetamol (ab 3 kg Körpergewicht) und Ibuprofen (ab dem Alter von 3 Monaten). Doch helfen diese auch bei Mittelohrentzündungen?
In der Tat empfehlen die Autoren der Ohrenschmerzen-Leitlinie eine systemische Schmerzlinderung mit
- Paracetamol bis maximal 60 mg/kgKG pro Tag (3–4 x 10–15 mg/kgKG pro Tag) oder
- Ibuprofen bis maximal 20–30 mg/kgKG pro Tag (verteilt auf 3–4 Gaben pro Tag).
Was wirkt aber besser? Wissenschaftler der Cochrane Collaboration gingen bereits 2016 der Frage nach, ob Schmerzmittel Ohrenschmerzen bei Mittelohrentzündung lindern und ob Paracetamol oder Ibuprofen alleine oder in Kombination wirksamer sind. Im August 2023 haben sie nun ihre Übersichtsarbeit aktualisiert.
Paracetamol oder Ibuprofen helfen besser als Placebo
Ihr Fazit: Eine Paracetamol-Monotherapie oder eine Ibuprofen-Monotherapie könnte bei Kindern mit Ohrenschmerzen aufgrund einer Mittelohrentzündung wirksamer sein als Placebo. Sie stützen ihre Aussage auf eine Studie, die bei 148 Kindern Paracetamol mit Placebo und Ibuprofen mit Placebo (146 Kinder) verglichen hatte.
Nach 48 Stunden hatten 25 Prozent der Placebokinder noch Schmerzen, jedoch nur 10 Prozent der Kinder in der Paracetamol- und 7 Prozent der Kinder in der Ibuprofengruppe. Ob Ibuprofen die Ohrenschmerzen nun besser lindere als Paracetamol oder ob eine Kombination der beiden Schmerzmittel den jeweiligen Monotherapien überlegen sei, dazu sei die Datenlage allerdings unsicher.
Sind analgetische Ohrentropfen sinnvoll?
Von topischen Analgetika – als Ohrentropfen verabreicht – raten die Experten der Ohrenschmerzen-Leitlinie ab. Die Wirksamkeit sei nicht erwiesen, zudem erschwerten sie den Ärzten, das Trommelfell des Kindes zu beurteilen.
Wie gut helfen Antibiotika bei Mittelohrentzündung?
Bereits die Autoren der sich derzeit in Überarbeitung befindenden Ohrenschmerzen-Leitlinie bescheinigen der akuten Mittelohrentzündung eine recht hohe Spontanheilungsrate von 66 Prozent innerhalb von 24 Stunden. Das bedeutet: Bei zwei von drei Kindern verschwinden die Symptome einer Mittelohrentzündung auch ohne Behandlung innerhalb eines Tages. Und nach drei Tagen klingen bei 80 Prozent der Kinder die klinischen Symptome einer Mittelohrentzündung auch ohne Antibiotika wieder ab„BMJ Clinical Ecidence“: „Acute otitis media in children“ .
Bei einer unkomplizierten akuten Mittelohrentzündung könne bei Kindern ohne Risikofaktoren somit auf eine antibiotische Behandlung verzichtet werden, erklären die Leitlinien-Autoren. Sie empfehlen ein beobachtendes Abwarten (watchful waiting) in den ersten 24–48 Stunden, selbst bei Fieber und Erbrechen. Zumal eine Antibiose die Schmerzen in den ersten 24 Stunden nicht bessere, ab dem zweiten Tag allenfalls „geringfügig“. Besserten sich allerdings die Symptome in dieser Zeit nicht oder verschlechterten sich gar, raten die Experten zu einer Antibiose.
Eine Anfang November 2023 von Cochrane veröffentlichte Übersichtsarbeit „Antibiotika gegen akute Mittelohrentzündung bei Kindern“ – die Studien mit Kindern zwischen einem Monat und 15 Jahren mit akuter Mittelohrentzündung berücksichtigt –, bestätigt diese Daten und kommt zu dem gleichen Schluss:
Die meisten Kinder erholen sich spontan von einer akuten Mittelohrentzündung. Antibiotika linderten die Schmerzen innerhalb der ersten 24 Stunden nicht und in den darauffolgenden Tagen nur „geringfügig“, schreiben auch die Cochrane-Autoren. Damit müsse der Nutzen einer Antibiotikagabe mit den möglichen Nebenwirkungen abgewogen werden – eines von 14 behandelten Kindern treffen Cochrane zufolge unerwünschte Wirkungen wie Erbrechen, Durchfall oder Hautausschlag.
Wann ist ein Antibiotikum angezeigt?
Doch es gibt auch Patienten, bei denen die Leitlinienautoren eine sofortige Antibiotikagabe empfehlen, und zwar, wenn Risikofaktoren beim Kind vorliegen. Dazu zählen:
- akute Mittelohrentzündung mit Otorrhoe (Ausfluss aus dem Ohr)
- Säuglinge und Kleinkinder unter zwei Jahren, die eine beidseitige Mittelohrentzündung haben
- Kinder mit Grund- oder Begleiterkrankungen
- rezidivierende Infekte
- Kinder mit Paukenröhrchen
- Kinder unter Immunsuppression
- schlechter Allgemeinzustand des Kindes
- hohes Fieber
- anhaltendes Erbrechen und/oder Durchfall
Mittel der Wahl ist Amoxicillin (50 mg/kgKG pro Tag (2–3 Einzeldosen) über 7 Tage (gegebenenfalls in Kombination mit Clavulansäure). Zweite Wahl ist ein Oralcephalosporin (z. B. Cefuroximaxetil) mit 20–30 mg/kgKG pro Tag. Bei Allergien gegen Betalactame kann Erythromycin verabreicht werden.
Nasentropfen – ja oder nein?
Die Datenlage zu abschwellenden Nasentropfen beziehungsweise Nasensprays bei Mittelohrentzündung sieht schlecht aus: Es gibt keine kontrollierten Untersuchungen dazu. Dennoch ist deren Anwendung für die Leitlinienautoren nachvollziehbar, da ihre schleimhautabschwellende Wirkung den Druck auf das Mittelohr verringert und für eine bessere Belüftung sorgt.
Damit können Nasentropfen mit Xylometazolin oder Oxymetazolin, vor allem wenn das Kind zeitgleich an Schnupfen leidet, „Erleichterung verschaffen“ und insbesondere helfen, dass das Kind mit einer freien Nase besser schlafen und trinken kann.
Hinweis: Nasentropfen gehören in die Nase – auch bei Ohrenschmerzen!
Wichtig ist in der Apotheke zudem der Hinweis an die Eltern der erkrankten Kinder: Auch wenn Nasentropfen gegen Ohrenschmerzen „helfen“ sollen, bleibt die Applikation in die Nase. Bei besorgten Eltern kann diese Information beim Arzt unter Umständen ungehört geblieben sein.
Homöopathisches bei Mittelohrentzündung
Können Eltern ihre Kinder mit homöopathischen Mitteln unterstützen, wenn diese an einer Mittelohrentzündung leiden? Die Leitlinienautoren gehen auf Homöopathika nicht ein. Bekannt ist, dass die Wirkung der Mittel nicht über den Placeboeffekt hinaus geht.
Dennoch können Eltern den Wunsch in der Apotheke äußern. Für Kinder ab zwei Jahren gibt es beispielsweise Otovowen® Tropfen zum Einnehmen (keine Ohrentropfen). Die hohe Spontanheilungsrate bei Mittelohrentzündung kann natürlich dazu beitragen, die mögliche Besserung der Beschwerden dem Homöopathischen zuzusprechen.
Wichtig ist, dass auch hier gilt: Bessern sich die Symptome nach 24 bis 48 Stunden nicht oder verschlechtern sich, sollten die Eltern zum Kinderarzt und dies nicht als homöopathische „Erstverschlimmerung“ betrachten und damit unter Umständen eine erforderliche medikamentöse Kausaltherapie verzögern oder verhindern.