Zum Welt-Alzheimertag 2023: Leqembi: Durchbruch in der Alzheimer-Behandlung?
In den USA wird es bereits seit mehreren Monaten eingesetzt: das Alzheimer-Medikament Lecanemab (Leqembi™). Auch in Deutschland rechnet man mit seiner Einführung. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) entscheidet in den kommenden Monaten über die Zulassung des Wirkstoffs. Ein positives Votum gilt als wahrscheinlich. Nach rund 20 Jahren käme mit Lecanemab endlich wieder ein neuer Wirkstoff zur Behandlung der Alzheimer-Demenz auf den Markt.
Antikörper-Wirkstoff entfernt schädliche Eiweißablagerungen
Lecanemab wäre außerdem in Deutschland das erste Medikament, das mutmaßlich an einer grundlegenden Ursache der Alzheimer-Krankheit ansetzt. Der Wirkstoff ist ein Antikörper, der gegen Ablagerungen aus dem Protein Beta-Amyloid – sogenannte Alzheimer-Plaques oder Amyloid-Plaques – im Gehirn gerichtet ist. Nach derzeitigen Erkenntnissen tragen die Amyloid-Plaques zum Untergang von Nervenzellen bei. Der Antikörper Lecanemab entfernt die schädlichen Ablagerungen auf den Nervenzellen.
Dieser Wirkmechanismus lässt einen Therapiedurchbruch beim Kampf gegen Alzheimer vermuten. Schließlich wirken die bisher zur Alzheimer-Behandlung zugelassenen Medikamente nur symptomatisch und setzen nicht an den Krankheitsursachen an.
Der Antikörper Lecanemab erwies sich tatsächlich als klinisch wirksam. Das zeigte sich in der Zulassungsstudie mit knapp 1.800 Personen, die an Frühstadien der Alzheimer-Demenz litten: Über eineinhalb Jahre verlangsamte Lecanemab das Fortschreiten der Erkrankung um 27 Prozent gegenüber Placebo. Die Wirksamkeit wurde anhand verschiedener Faktoren bewertet: unter anderem Gedächtnis, Orientierung, Urteils- und Problemlösungsvermögen sowie die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen.
Welt-Alzheimertag am 21. September
Seit 1994 wird am 21. September auf Menschen mit Demenzerkrankungen aufmerksam gemacht. Ihre Zahl steigt weltweit an. Das Motto des diesjährigen Welt-Alzheimertags am 21. September lautet: „Demenz – die Welt steht Kopf“. Denn mit der Diagnose Demenz steht für die Betroffenen und ihre Angehörigen die Welt erst einmal Kopf. Viele ziehen sich zurück, finden sich nicht mehr zurecht, fühlen sich unverstanden. Und doch gehören sie dazu und sollen Teil der Gemeinschaft bleiben. Dazu brauchen sie vor allem Geduld, Verständnis und Unterstützung. Alle in der Gesellschaft können etwas tun, damit Menschen mit Demenz den Boden unter den Füßen spüren, sich aufgefangen fühlen und Teil unserer Gemeinschaft sind.
Rund um den Welt-Alzheimertag informieren Alzheimer-Gesellschaften und andere Engagierte über die Erkrankung und ihre Folgen für Betroffene und Angehörige.
Lecanemab nur im Frühstadium wirksam
Der Krankheitsverlauf kann also offenbar mit Lecanemab verzögert werden. Stoppen oder gar heilen lässt sich Alzheimer aber nicht. Außerdem ist der Einsatz des Antikörpers nur zu Beginn einer Alzheimer-Erkrankung möglich. Personen mit fortgeschrittener Symptomatik oder einer anderen Form der Demenz werden von der Behandlung nicht profitieren.
Viele Experten dämpfen daher zu hohe Erwartungen an dieses Medikament. Professor Stefan Teipel vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) am Standort Rostock/Greifswald meint: „Mit Leqembi kann man einen Krankheitsaufschub von fünf bis sieben Monaten erreichen. Es gibt die Hoffnung, dass sich der Effekt mit längerer Einnahme noch erhöht. Dafür haben wir aber bisher keine Daten. Ob diese Wirkung für Patientinnen und Patienten im Alltag spürbar sein wird, ist daher aktuell noch unklar.“
Behandlung mit Leqembi nicht ganz unkompliziert
Nicht zu vernachlässigen ist das Nebenwirkungspotenzial von Lecanemab. So traten in der Zulassungsstudie bei 17 Prozent der Teilnehmer lokale Hirnschwellungen und Mikroblutungen auf. Diese verliefen zwar in den meisten Fällen symptomlos, bei einigen Erkrankten jedoch schwerwiegend. Die Lecanemab-Therapie erfordert daher zumindest während der ersten 15 Behandlungsmonate eine engmaschige Kontrolle. Diese ist aufwändig, denn sie muss mittels Magnetresonanztomographie (MRT) erfolgen.
Die Behandlung mit dem Antikörper-Wirkstoff bedeutet noch weitere versorgungsstrukturelle Herausforderungen. So muss vor Therapiebeginn erst einmal geklärt werden, ob überhaupt Amyloid-Ablagerungen vorliegen. Dazu wird entweder eine Liquor-Untersuchung oder eine Bildgebung mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) durchgeführt. Eventuell sind im individuellen Fall noch andere Untersuchungen notwendig, etwa um das Risiko für Nebenwirkungen abschätzen zu können.
Leqembi wird alle zwei Wochen mittels Infusion verabreicht. Eine Behandlung dauert nach Angaben der Hersteller Biogen und Eisai circa eine Stunde. Die Therapie kann daher nur in spezialisierten Praxen oder Einrichtungen erfolgen.
Wie teuer die Behandlung mit Lecanemab sein wird, ist noch nicht bekannt. Aus den USA weiß man jedoch, dass allein die Medikamentenkosten pro Jahr umgerechnet knapp 25.000 Euro betragen. Angesichts der vielen Alzheimer-Fälle – in Deutschland erkranken täglich fast 1.000 Menschen neu an Alzheimer – könnte das eine enorme Belastung für unser Gesundheitssystem bedeuten.
Alzheimer-Prävention bleibt wichtig
Experten geben einen weiteren Punkt zu bedenken: Die Aussicht auf eine erfolgreiche Therapie dürfe keinesfalls dazu führen, dass die Prävention der Demenz ins Hintertreffen gerate. Immerhin 40 Prozent aller Demenzerkrankungen seien vermeidbar oder könnten im Fortschreiten verlangsamt werden – wenn die Lebensstilfaktoren angepasst würden.
Hierbei nennen die Experten vor allem
- ausgewogene Ernährung,
- Vermeiden von Übergewicht,
- Korrektur von Schwerhörigkeit,
- Gesunderhaltung der Darmflora,
- Normalisierung der Blutdruckwerte,
- maßvoller Umgang mit Alkohol sowie
- regelmäßige Aktivität in körperlicher, geistiger und sozialer Hinsicht. Quellen: Alzheimer Forschung Initiative e.V.; Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN)