Warum der Klimawandel Pollenallergien verschärft
Winterpause? Von wegen. Das ganze Jahr über steigen Matthias Werchan und Kollegen regelmäßig aufs Dach der Hautklinik der Charité in Berlin-Mitte. Nicht etwa wegen der Aussicht. Ihr Ziel ist die dortige Pollenfalle, die in 23 Metern Höhe beständig Hauptstadt-Luft einsaugt.
Vorhandene Pollen und andere Partikel werden im Inneren des grünen Geräts auf einem Band fixiert. Den Fang analysiert Diplom-Landschaftsökologe Werchan später unter dem Mikroskop. Es lasse sich etwa ablesen, an welchem Tag zu welcher Uhrzeit welche Pollen in der Luft waren, sagt er.
Werchan arbeitet für die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst (PID), die seit 1983 ein Messnetz betreibt, um Pollen-Konzentrationen in der Luft zu untersuchen. Die Ergebnisse von 35 bis 40 Standorten bundesweit fließen etwa in Pollenvorhersagen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ein.
Pollensaison hat bereits begonnen
Auch wenn es erst Februar und teils noch kühl ist, hat die Pollensaison 2023 den Fachleuten zufolge begonnen. Und zwar mit einem „Paukenschlag“ an Silvester und Neujahr, als es bis zu 20 Grad warm gewesen sei, sagt Werchan.
Durch die niedrigeren Temperaturen seit Mitte Januar habe sich die Lage nun wieder etwas beruhigt. Für einige westliche Landesteile sah die Prognose aber bereits eine mittlere Belastung mit Hasel- und Erlenpollen vor.
Wie verändert der Klimawandel den Pollenflug?
Der PID-Vorsitzende, Allergologe Karl-Christian Bergmann, erinnert: Wir leben in Zeiten des Klimawandels, was das Verhalten der Pollen verändere. Die Fachleute beobachten, dass sich mittlerweile beinahe die Zeiten überschneiden, in denen die letzten Pollen der Vorsaison verschwinden und die ersten der neuen Saison auftauchen.
Beobachtet würden an vielen Orten auch mehr Tage mit Pollen-Spitzenkonzentrationen, sagt Bergmann. Eine mögliche Erklärung sei, dass Pflanzen unter Stress mehr Pollen freisetzen.
Eine neue Version eines PID-Pollenflugkalenders zeigt noch eine kleine Lücke im November ohne mögliches Pollenvorkommen. Anhand von Daten aus den Jahren 2016 bis 2021 wurde z. B. auch die Hauptblütezeit der Erle angepasst. Diese wurde um neun Tage vorverlegt, verglichen mit dem bisherigen Kalender basierend auf dem Zeitraum 2011 bis 2016.
Was können Allergiker tun?
Heuschnupfen-Patienten regieren überempfindlich auf die eigentlich harmlosen Pollen. Zu den möglichen Beschwerden zählen
- Augentränen,
- Niesreiz,
- Fließschnupfen,
- Husten und
- Abgeschlagenheit.
Betroffene können Nasensprays, Augentropfen und Tabletten gegen die Symptome nutzen. An der Ursache setzt eine Immuntherapie etwa mit Spritzen oder Tabletten (Hyposensibilisierung) an.
Manchmal wird Betroffenen geraten, in ihrer Allergie-Hochphase zu verreisen. Torsten Zuberbier, Vorsitzender der Europäischen Allergiestiftung (Ecarf), wünscht sich hingegen, vor Ort ein allergikerfreundlicheres Umfeld zu schaffen. Potenziale gebe es bei der Begrünung von Städten und beim Bauen. So könnten z. B. auch in Wandfarben, Teppichen und Klebern allergieauslösende Stoffe stecken.
Pollenkammer prüft Produkte für Allergiker
Schon jetzt seien Allergien sehr gut behandelbar, sie würden aber oft trivialisiert, sagt Zuberbier. Ein sehr großer Teil der Betroffenen werde nicht richtig behandelt. Die Fachleute denken nicht nur an Medikamente. In einer sogenannten Pollenkammer von Ecarf, einem Container auf dem Charité-Gelände, werden immer wieder Produkte für Allergiker getestet. Aktuell z. B. Luftfilter, die um den Hals getragen werden.
In der Kammer werden Probanden in Schutzanzügen unter Beobachtung bestimmten Pollen ausgesetzt, meist etwa zwei Stunden lang. In dem Raum soll sich besonders genau prüfen lassen, bei welcher Pollenmenge welche Symptome ausgelöst werden – und was bestimmte Produkte oder Medikamente verändern.
Auch der Nutzen von Masken sei in der Kammer schon geprüft worden, sagt der technische Leiter Pierre Derfling. Doch schützen sie auch Allergiker? „Kurz gesagt: ja“, sagt Derfling.
Allergien: Starke Zunahme bei Häufigkeit und Intensität
Laut Robert Koch-Institut hat die Häufigkeit allergischer Erkrankungen seit den 1970er-Jahren in Ländern mit westlichem Lebensstil stark zugenommen und sich zuletzt auf hohem Niveau stabilisiert.
Auch der Schweregrad allergischer Reaktionen nehme zu, sagt Zuberbier. Veranlagung spielt für Allergien eine wichtige Rolle, es gibt aber auch viele weitere Faktoren. Ein bisschen sei es auch unsere Schuld, sagt Zuberbier: Die Allergie-Zunahme liege auch am modernen Lebensstil (Stichwort Umweltverschmutzung). Pollen und Feinstaub gemeinsam führten zu mehr Beschwerden, sagt Bergmann. Quelle: dpa / mia