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Weinrebe wird Heilpflanze des Jahres 2023

Die tiefroten Blätter von Vitis vinifera (Weinrebe) enthalten viele Polyphenole. Sie kommen als Extraktzubereitungen bei chronischer Veneninsuffizienz zum Einsatz. | Bild: Sina Ettmer / AdobeStock

Damit gesundheitsfördernde Pflanzen allgemein bekannter werden, ernennt der Naturheilverein Theophrastus (NHV Theophrastus) alljährlich eine Heilpflanze des Jahres. Derzeit steht noch die Brennnessel als Heilpflanze des Jahres 2022 im Fokus. Für 2023 fiel die Wahl auf die Weinrebe (Vitis vinifera). Hiermit soll deutlich werden, dass das Weinrebengewächs (Vitaceae) noch mehr kann, als nur einen „guten Tropfen“ zu liefern.

Alte Kulturpflanze mit Tausenden von Sorten

Landläufig spricht man vom „Wein“ – und meint damit nicht nur das Genussmittel, sondern auch die Pflanze, welche die dafür nötigen Früchte liefert. Die korrekte Bezeichnung der holzigen Kletterpflanze lautet jedoch „Weinrebe“. Von der Wildform Vitis vinifera ssp. sylvestris stammt unsere Kulturform Vitis vinifera ssp. vinifera ab. Sie umfasst mehrere tausend Sorten.

Die Weinrebe gehört zu den ältesten Kulturpflanzen. Sie wurde bereits im alten Ägypten um 3500 v. Chr. angebaut. Die Römer verbreiteten die Weinkultur nach Deutschland.

Gewächs mit erstaunlichen Eigenschaften

Charakteristisch für alle Kulturreben ist, dass ihr Wuchs durch Schnitt und Stütze vorgegeben ist. Die Sprossranken, die natürlicherweise bis zu 35 Meter Länge erreichen können, werden in Kultur auf circa 1 bis 3 Meter kurzgehalten. Ein typisches Merkmal älterer Weinreben zeigt sich am holzigen Stamm: Die bräunliche Rinde löst sich in Längsstreifen ab.

Weinstöcke können weit über 100 Jahre alt werden. Ihre Wurzeln dringen in bis zu 15 Meter Bodentiefe vor und sind reich verzweigt. So kommt die Pflanze auch mit längeren Trockenzeiten zurecht und die kleinen unscheinbaren Blüten können zu saftigen Beeren reifen. Deren gemeinsame Anordnung wird im Volksmund als Traube bezeichnet. Botanisch korrekt handelt es sich bei diesem Fruchtstand allerdings um eine Rispe.

Ist Rotwein gesund?

Weinbeeren (Weintrauben) sind ein beliebtes Tafelobst. Sie enthalten Mineralstoffe und B-Vitamine, fördern die Verdauung und dank des relativ hohen Glukosegehalts liefern sie schnell verfügbare Energie. Als Rosinen sind Weinbeeren gut haltbar, allerdings sehr kalorienhaltig.

Der Großteil der Weintrauben wird zu Wein vergoren. Insbesondere dem Rotwein – für ihn lässt man die Traubenhäute und -kerne zusammen mit dem Saft vergären – werden gerne herz- und gefäßschützende Eigenschaften zugeschrieben. Als verantwortlich dafür gilt vor allem der phenolische Inhaltsstoff Resveratrol, für den antioxidative und antientzündliche Effekte nachgewiesen wurden. Allerdings wird die positive Rotweinwirkung mittlerweile in Zweifel gezogen. So ist die Resveratrol-Konzentration in einem Glas Wein möglicherweise zu gering. Hinzu kommt die schädliche Wirkung von Alkohol.

Gewisse Mengen an Resveratrol sind auch im roten Traubensaft enthalten, außerdem weitere gesundheitsfördernde phenolische Inhaltsstoffe aus den Beeren: die stark antioxidativ wirksamen oligomeren Proanthocyanidine (OPC), Anthocyane sowie gefäßaktive Flavonoide wie Quercetin und Kaempferol.

Kerne mit wertvollem Inhalt

Besonders reich an OPC sind die kleinen harten, birnenförmigen Traubenkerne. In Form von Traubenkernmehl kann man sich diese sekundären Pflanzeninhaltsstoffe zunutze machen. Gesundheitlich wertvoll ist außerdem kaltgepresstes Traubenkernöl, denn es enthält große Mengen ungesättigter Fettsäuren, vor allem Linolsäure und Ölsäure, darüber hinaus Vitamin E und Lecithin. Wegen seines Inhaltsstoffspektrums spielt kaltgepresstes Traubenkernöl auch für die äußerliche Anwendung eine wichtige Rolle. Es ist in zahlreichen Dermokosmetika als schützend und regenerierend wirkende Komponente enthalten.   

Rotes Weinlaub – rationale Phytotherapie bei Venenleiden

Aus pharmazeutischer Sicht noch interessanter als die Beeren sind die Blätter der Weinrebe – genauer gesagt rotes Weinlaub (Vitis viniferae folium). Hierbei handelt es sich um die 5- bis 7-lappigen, bis zu circa 15 Zentimeter langen Laubblätter jener Kulturvarietäten, die rote Beeren mit rotem Fruchtfleisch besitzen (Vitis vinifera var. tinctoria). Die tiefroten Blätter enthalten im Vergleich zu den Früchten noch wesentlich höhere Konzentrationen an Polyphenolen, insbesondere an den Flavonoiden Quercetin und Kaempferol. Diese Substanzen gelten, im Verbund mit anderen Phenolen wie OPC, Gerbstoffen und Anthocyanen, als wirksamkeitsrelevant bei Venenleiden.

Für Extraktzubereitungen aus Rotem Weinlaub konnten ödemprotektive, antioxidative und antientzündliche sowie kapillarabdichtende Wirkungen nachgewiesen werden. Vitis viniferae folium hat aufgrund der Datenlage (ebenso wie die Aescin-haltigen Rosskastaniensamen) einen besonderen Status: Als eine von wenigen Drogen wurde Rotes Weinlaub vom Phytotherapiekomitee der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) – dem HMPC (Committee on Herbal Medicinal Products) – als rationales Phytotherapeutikum („well-established use“) anerkannt. Der Einsatz erfolgt gemäß HMPC in Form von wässrigem Trockenextrakt (DEV 4–6:1, 360–720 mg/d) (z. B. Antistax® extra Venentabletten, Antiveno Heumann® Venentabletten). Für die Extraktgewinnung werden die Blätter nach der Traubenlese geerntet. Dann ist ihr Flavonoid-Gehalt am höchsten.

Roter Weinlaubextrakt greift schon in die frühen Krankheitsmechanismen der chronischen Veneninsuffizienz ein. Deshalb ist es sinnvoll, mit der Gabe möglichst bei den ersten Symptomen wie müden, schweren Beinen, Spannungsgefühlen und Juckreiz zu beginnen. Um die orale Anwendung zu unterstützen, kann man Roten Weinlaubextrakt auch äußerlich anwenden (z. B. Antistax® Venencreme).  

Rebwasser: altes Heilmittel – neues Beautymittel

Noch ein weiteres Produkt der Weinrebe ist im heilkundlichen Kontext erwähnenswert: das Rebwasser, auch Rebenblut oder Rebtränen genannt. Hierbei handelt es sich um den im Frühjahr an den Schnittstellen der Pflanze austretenden Saft. Die mittelalterliche Äbtissin Hildegard von Bingen empfahl die Anwendung der Flüssigkeit bei Augenleiden und Hautkrankheiten. Heute erfährt Rebwasser eine gewisse Renaissance, und zwar als Beauty-Zutat in einigen Naturkosmetik-Pflegeprodukten. Quellen: NHV Theophrastus; W. Blaschek: Wichtl – Teedrogen und Phytopharmaka, WVG 2016; B.-E. van Wyk et al.: Handbuch der Arzneipflanzen, WVG 2015; European Medicines Agency (EMA); Deutsche Herzstiftung e.V.; Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA); A. Nattermann; Heumann Pharma