Zum Welttag des Stotterns am 22. Oktober: Stottern: Sprachtherapie und Inklusion können helfen
Manchmal kämpft Wiete mit den Silben. Dann schafft es das Wort einfach nicht über ihre Lippen. Wiete stottert. So wie ihr geht es schätzungsweise mehr als 830.000 Deutschen. Viele leiden darunter und schweigen lieber. Für die 31-Jährige war vor allem die Schulzeit die Hölle. „Die anderen haben mich ausgelacht und gemobbt.“
Die Folge: Wiete hat sich zurückgezogen, wurde einsam und hat Schulaufgaben nur schriftlich abgegeben. Heute geht sie selbstbewusst damit um. „Es ist einfach anstrengend, wenn man sich versteckt.“
Stottern als Störung des Sprechablaufs
Stottern ist einfach ausgedrückt eine Störung des Sprechablaufs. Betroffene wissen, was sie sagen möchten, können es aber nicht aussprechen oder brauchen länger Zeit dafür. Dabei werden Silben oder Laute wiederholt. Die neurologisch bedingte Störung des Redeflusses werde vererbt, sagt Anja Herde, Vorsitzende der Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe.
„Eine gewisse Autobahn im Gehirn, die das Sprechen steuert, ist nicht so ausgefahren, sondern eng und holprig“, erläutert Herde, die selbst seit dem vierten Lebensjahr stottert. Beim Sprechablauf arbeite die rechte Gehirnhälfte mehr als die linke. Es müsse irgendeinen auslösenden Faktor geben, „über den wir wenig wissen“, erklärt der Neurologe Martin Sommer in einem von der Bundesvereinigung verbreiteten Video.
Sprechtechniken helfen gegen das Stottern
Für Wiete hat sich ihr Leben mit Anfang 20 verändert, als sie zu einer Logopädin gegangen ist, wie die studierte Psychologin erzählte. Bei ihr habe sie gelernt, ihr Stottern zu akzeptieren und damit umzugehen.
„Für alle Altersgruppen gibt es sinnvolle Therapien“, sagt der Logopäde Robert Richter in Leipzig. Stottern beginne in der Regel ab dem dritten Lebensjahr und könne bis ins hohe Alter andauern. „Bei 70 bis 80 Prozent der Kinder, die damit anfangen, bildet sich das Stottern wieder zurück, gegebenenfalls auch ohne therapeutische Unterstützung.“ Doch nicht allen gelingt das.
Allerdings lasse sich mit Therapien das „überdauernde Stottern“ in den meisten Fällen gut behandeln, erklärt Richter. Nach seinen Angaben gibt es zwei große Therapie-Richtungen: das Erlernen einer Sprechtechnik und eine zur Stressreduktion. Bei der Sprechtechnik gehe es zum Beispiel darum, „das einzelne Stotter-Ereignis leicht zu lösen. Denn in der Folge des Stotterns können sich emotionale Reaktionen wie Angst und Scham entwickeln.“
Wiete wendet bei dem Gespräch nur einmal eine Sprechtechnik an. Es klingt künstlich, findet sie. Normalerweise macht die 31-Jährige das nur, wenn sie zum Beispiel einen Vortrag hält. Bei ihr stehen nun Bewerbungsgespräche an. Sie sage dann zu Beginn des Treffens, dass sie stottert. „Es gab bisher keine nennenswerten Reaktionen darauf.“
Stotternde wünschen sich mehr Akzeptanz in der Gesellschaft
Bei manchen ist die Sehnsucht groß nach einem Wundermittel als Alternative zu den Therapien. „Nach meinem Empfinden gibt es aktuell wieder mehr Forschung“, sagt Anja Herde, Vorsitzende der Bundesvereinigung. Es gehe aber vielmehr darum, die „Einstellung hin zu einer inklusiven Gesellschaft zu verändern und Stotternde zu unterstützen. Sie sollen so sprechen können, wie sie es nun mal tun.“
Herde setzt vor allem auf Aufklärung. Bei der Beratung von Betroffenen gehe es auch darum, das Umfeld zu sensibilisieren, um Stotternden den Alltag zu erleichtern. Die Bundesvereinigung zählt deutschlandweit 98 Selbsthilfegruppen. Viele haben sich während der Pandemie online getroffen, was für einige den Zugang erleichtert habe, weil die Hürde geringer gewesen sei, sagt Herde.
Mut machen für Betroffene
Die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe will Betroffenen Mut machen. „Wer stottert, ist in guter Gesellschaft“, heißt es auf der Internetseite. Dort sind stotternde Prominente aufgelistet wie Unheilig-Sänger Der Graf. „Was wir uns wünschen? Dass wir so behandelt werden wie flüssig sprechende Menschen“, sagt die 31-jährige Wiete. „Dass die Menschen Blickkontakt halten und keine Wörter vorwegnehmen“, wenn es beim Sprechen mal länger dauere. Quelle: dpa / mia
Zum Welttag des Stotterns am 22. Oktober
Jährlich wird seit 1998 am 22. Oktober der „International Stuttering Awareness Day“ (ISAD), auch Welttag des Stotterns genannt, begangen. Auf der ganzen Welt sollen Aktionen und Veranstaltungen Aufmerksamkeit schaffen für die Schwierigkeiten, die Betroffene mit ihrer Redeflussstörung bewältigen müssen, und für die Fakten rund um die Sprechbehinderung Stottern.
In Deutschland engagiert sich zum Beispiel die Bundesvereinigung Stottern & Selbsthife e.V. Das Ziel ist ein Mehr an Verständnis und Akzeptanz.