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Blinde und seh­geschwächte Kunden in der Apotheke

Mensch mit Blindenstock
Wie können Apothekenmitarbeiter auf blinde und sehgeschwächte Menschen im Beratungsgespräch zugehen? | Bild: elypse / AdobeStock

Eine Sehbehinderung sieht man einem Menschen nicht immer an und nicht jeder Betroffene spricht offen darüber, wenn seine Sehkraft rapide nachlässt. 

Ein Teil der Sehbehinderungen ist genetisch bedingt und tritt nicht selten im Laufe des Lebens auf. Andere Sehbehinderungen sind Folge von Unfällen oder Erkrankungen wie Diabetes, Makuladegeneration, grauer und grüner Star oder Multiple Sklerose

Tritt eine Sehbehinderung oder Blindheit im Laufe des späteren Lebens auf, sind Integration der Betroffenen und die Wahrung ihrer Selbstständigkeit schwieriger. Sie wachsen nicht mit der Situation auf und müssen sich im Erwachsenenalter damit neu zurechtfinden und neue Routinen sowie Sicherheit erlernen.

Mit Sehbehinderung selbstständig sein

Auch mit einer Sehbehinderung oder Blindheit ist eine selbstständige Lebensführung möglich. Durch das Erlernen von lebenspraktischen Fertigkeiten können Betroffene Mahlzeiten selbstständig zubereiten und essen, Wäsche ohne fremde Hilfe waschen, die Wohnung eigenständig reinigen sowie einkaufen und den Haushalt führen. Ein Auszug aus den eigenen vier Wänden in ein betreutes Heim ist daher bei einer Sehschädigung nicht zwingend notwendig. 

Menschen mit einer drohenden Behinderung und deren Angehörige können sich im Vorfeld zu der Beantragung von Leistungen beraten lassen. Ziel ist es, die beste Lösung für die individuelle Lebenssituation zu finden. 

Betroffene haben daher gesetzlich ein Recht auf Teilhabe. Das beschreibt das Bundesteilhabegesetz (BTHG), das für Menschen mit Behinderungen viele Verbesserungen vorsieht. Mit dem BTHG wurden mehr Möglichkeiten der Teilhabe und mehr Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen geschaffen.

Beratung in der Apotheke: Über Hilfsmöglichkeiten aufklären

Eine Sehschwäche kann dazu führen, dass Betroffene immer weniger am Leben teilnehmen, auf fremde Hilfe angewiesen sind und sich letztendlich zurückziehen. Insbesondere dann, wenn die Sehschwäche zunimmt, kommen Betroffene schlecht an Informationen, die im Internet oder in anderen Medien zu finden sind. Apothekenmitarbeiter können in der Beratung dabei helfen, ein Stück weit die Selbstständigkeit und Lebensfreude der Patienten wiederzugewinnen. 

Nicht nur Hilfsmittel, die zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden, sondern auch Apps und Leistungen, die die Teilhabe am täglichen Leben möglich machen, stehen Blinden und Sehbehinderten zur Verfügung.

Welche Hilfsmittel werden von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen?

Klassische Hilfsmittel – wie z. B. ein Blindenstock oder ein Blutdruckmessgerät mit einer Sprachausgabe – sind Betroffenen und deren Angehörigen meist bekannt. Moderne Hilfsmittel bieten zusätzlich eine noch größere Unterstützung bei der Bewältigung des Alltags. 

Viele davon sind im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgeführt und die Kosten dafür werden in der Regel übernommen. Dazu gehören beispielsweise Farberkennungsgeräte, vergrößernde Sehhilfen wie Lupen und Bildschirmlesegeräte, Markierungssysteme, Großtastentelefone, sprechende Geräte wie Uhren und Thermometer oder auch tastbare Uhren, Lesepulte und LED-Leuchten.

Ein weiteres tragbares Hilfsmittel ist eine kompakte Kamera, die an der Brille befestigt werden kann. Diese liest sofort und diskret gedruckten und digitalen Text von jeder Oberfläche vor und erkennt Gesichter, Produkte und Geldscheine – alles in Echtzeit und ohne weitere Unterstützung. 

Auf diese Weise ist es möglich, Zeitschriften und Bücher zu lesen sowie das Internet und andere digitale Medien zu nutzen. Die Kosten für eine solche Kamera werden von der Krankenkasse übernommen. 

Moderne Technologie macht es zudem möglich, dass auch Haushaltsgeräte wie Waschmaschine, Herd oder Trockner leicht bedient werden können – sei es durch Sprachansagen, um Informationen hörbar zu machen, oder taktile Symbole, um Informationen fühlbar darzustellen.

Praktische Hilfe bei Sehbehinderung per App 

Praktische Hilfe im Alltag bietet auch die App „Be My Eyes“, die kostenlos für iOS und Android verfügbar ist. Sie verbindet eine globale Community bestehend aus blinden und sehbehinderten Menschen sowie Freiwilligen, die sehen können. Durch einen Live-Videoanruf können die Freiwilligen Betroffene bei vielen Aufgaben unterstützen. 

Fordern blinde oder sehbehinderte Nutzer über die App Assistenz an, schickt „Be My Eyes“ eine Nachricht an mehrere Freiwillige. Der erste, der antwortet, empfängt eine Videoübertragung von der Kamera an der Rückseite des Handys des blinden oder sehbehinderten Nutzers. Somit kann schnell Hilfe geleistet werden, beispielsweise

  • beim Auffinden verlorener oder heruntergefallener Gegenstände sowie bei der Abstimmung und Beschreibung von Farben,
  • beim Einkauf durch das Vorlesen von Etiketten oder
  • beim Zurechtfinden in einer neuen Umgebung.

Selbstverständlich können sich auch Apotheken hierbei beteiligen. Fast noch wichtiger ist aber, Betroffene auf die Existenz solcher Möglichkeiten aufmerksam zu machen.

Weiterführende Internetseiten:

Gewohnte Ausdrücke nicht zwangsläufig ein Tabu

„Kann ich es Ihnen zeigen?“, „Auf Wiedersehen, man sieht sich?“, „Sollen wir uns das gemeinsam anschauen?“ – auch im Umgang mit einem blinden oder sehbehinderten Menschen müssen Sie diese Sätze nicht zwangsläufig vermeiden. 

Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein blinder Mensch zu Ihnen sagt: „Das habe ich noch nie gesehen, können Sie mir das zeigen?“ Blinde Menschen verbinden diese Begriffe nicht unbedingt mit dem Augenlicht oder mit der Sehkraft, sondern mit einer Begegnung, einem Ertasten eines Gegenstandes oder einer Beschreibung der Situation. 

Dennoch sind besonders bei älteren sehbehinderten Menschen diese Ausdrücke mit Vorsicht zu verwenden. Ältere neu erblindete und multimorbide Patienten leiden unter dieser Situation besonders, denn nicht nur die Sehkraft, sondern auch die generell nachlassende Mobilität, andere Erkrankungen und zudem nicht selten Schwerhörigkeit machen das Älterwerden für sie sehr schwer.

Tipps zum Umgang im Beratungsgespräch

  • Reden Sie mit den Menschen – nicht über sie hinweg. Auch wenn der blinde oder sehbehinderte Kunde mit einer Begleitung in der Apotheke erscheint, sprechen Sie ihn direkt an: Schauen Sie ihn an, wenn Sie mit dem Betroffenen reden, und nicht die Begleitperson. Fragen Sie den Kunden direkt, ob er über die Medikation Bescheid weiß, und nicht etwa: „Weiß Ihr Mann, wie man die Medikamente einnimmt?“ oder „Sind Ihrem Mann die Medikamente bekannt?“ Blinde und Sehbehinderte merken es, wenn Sie sie ansprechen oder aber an ihnen vorbeireden. Suchen Sie Blickkontakt!
  • Tauschen Sie keine Präparate gegen Rabattartikel aus. Sehbehinderung ist eine plausible Erklärung für pharmazeutische Bedenken. Ein Austausch könnte durch Verwechslungen die Gesundheit des Patienten gefährden. Blindenschrift („Braille“) auf dem Umkarton ist zwar Pflicht bei Arzneimitteln – allerdings beherrschen viele ältere Patienten, die neu erblindet oder sehbehindert sind, die Brailleschrift nicht.
  • Geben Sie Ihrem Kunden einen Tipp für die Dosierung von Tropfen oder Säften. Tropfen kann man mit dem Tropfenzähler abmessen (erhältlich im Blindenversandhandel) oder in einen leeren Plastikbecher (z. B. leeren Joghurtbecher) tropfen lassen und abzählen, sofern die Hörfähigkeit nicht beeinträchtigt ist. Bei Säften: Markieren Sie dem Kunden die Menge, die aufgezogen werden muss, auf dem Kolben einer Spritze, die Sie ihm dazugeben. Bei mitgelieferten Messbechern schauen Sie zusammen mit dem Kunden nach, ob die Markierung am Becher tastbar ist.
  • Bieten Sie Unterstützung an, fragen Sie, ob Hilfe erwünscht ist und ob Sie den Kunden zur Tür führen dürfen. Fassen Sie die Person nicht ungefragt an! Fragen Sie beim Ortswechsel, beispielsweise wenn Sie den Kunden zur Tür oder zum Beratungsraum führen möchten: „Darf ich Ihnen meinen Arm anbieten?“
  • Kommunizieren Sie besser zu viel als zu wenig. Gerade für blinde Menschen ist es wichtig, dass Sie kommunizieren und erklären, was Sie gerade tun. Das fängt bei der Begrüßung an oder wenn Sie den Kunden draußen sehen. Gehen Sie nicht einfach wortlos vorbei mit dem Gedanken „Er hat mich eh nicht bemerkt“. Sagen Sie: „Hallo, Herr Meier, ich bin’s, Frau Müller aus der Apotheke!“ 
    Wenn Sie das Rezept entgegennehmen, sagen Sie, was Sie gerade tun: „Ich schaue jetzt, ob wir alles vorrätig haben. Ja, wie ich sehe, das erste Medikament haben wir da. Ich schaue jetzt weiter nach den anderen Präparaten etc.“ 
    Geben Sie Bescheid, wenn Sie Ihren Platz verlassen, um zum Beispiel Medikamente aus dem Lager zu holen. Damit vermeiden Sie, dass Ihr Kunde sich weiter mit Ihnen unterhält, weil er denkt, Sie seien noch da.
  • Sprachliche Sorgfalt ist wichtig. In der Kommunikation kommt es auf Feinheiten an und Worte oder bestimmte Begriffe können als Diskriminierung verstanden werden. Reden Sie nicht von „Behinderten“, sondern besser von „behinderten Menschen“ oder „Menschen mit Behinderung“. 
    Die Behinderung ist nur ein Merkmal von vielen – beschreiben Sie die Person, wenn Sie mit anderen Menschen über sie sprechen, nicht ausschließlich als „der blinde Mann“ oder „die Mutter des blinden Mädchens“.

Barrierefreie Webseiten für Menschen mit Sehbehinderung

Handys sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken: Auch ältere Menschen nutzen zunehmend Smartphones und Internet, um an Informationen zu gelangen oder beispielsweise zum Einkaufen. Für blinde oder stark sehbehinderte Menschen kann das Internet eine sehr wichtige Kontaktmöglichkeit mit der Apotheke darstellen, vorausgesetzt allerdings, die Webseite ist barrierefrei.

Die meisten Handys haben inzwischen eine integrierte Spracheingabe und Sprachausgabe, die das Versenden von E-Mails und Nachrichten via Kurznachrichtendienst sowie die Nutzung der Social-Media-Plattformen problemlos möglich machen.

Smartphones können somit Nachrichten, die auf einer Webseite publiziert werden, dem Kunden vorlesen und ermöglichen zudem die Nutzung von Apps. Bieten Apotheken Vorbestell-Apps oder Plattformen an, sollten diese auf die Barrierefreiheit der Anwendung überprüft werden.

Kundenbindung durch umfassende Beratung

Informieren Sie blinde und sehbehinderte Menschen sowie deren Angehörige über die Möglichkeiten, die moderne Technologie anbietet. Seien Sie hellhörig, wenn Kunden Ihnen sagen: „Ihre Kundenzeitschrift brauche ich nicht, ich kann die kleine Schrift nicht mehr lesen.“ 

Schauen Sie, was Sie tun können, um die Lebensfreude und Qualität der Kunden zu verbessern. Auch wenn viele Hilfsmittel nicht über die Apotheke zu beziehen sind, durch die Beratung binden Sie eine sehr dankbare und treue Kundengruppe an sich.

Sehbehindertentag 2024

Laut einer Hochrechnung auf Basis von Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es mehr als eine Million sehbehinderte Menschen in Deutschland. 

Um auf die Bedürfnisse dieser Menschen aufmerksam zu machen, hat der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e.V. (DBSV) im Jahr 1998 einen eigenen Aktionstag eingeführt: den Sehbehindertentag. Er findet jährlich um den 6. Juni herum zu einem bestimmten Thema statt. In diesem Jahr stellt der DBSV den Sehbehindertentag unter das Motto „Die schlimmste Kreuzung“. 

Sehbehinderte und blinde Menschen sind an vielen Kreuzungen großen Risiken ausgesetzt, denn an den meisten fehlen spezielle Einrichtungen wie „Blindenampeln“ oder auf dem Boden verlegte Rippen- und Noppenplatten. Eine Nachbesserung ist aus Sicht des DBSV nötig und möglich. 

Mit dem Projekt „Die schlimmste Kreuzung“ will der DBSV auf diese Missstände aufmerksam machen. Die Kampagne stellt sehbehinderten und blinden Menschen Materialien zur Verfügung, um das Thema „Kreuzungen“ auf lokaler und regionaler Ebene aufzugreifen. Dabei wird jeweils in einem Ort beziehungsweise in einer Region die schlimmste Kreuzung für sehbehinderte und blinde Menschen „ausgezeichnet“. Quelle: https://www.dbsv.org/sehbehindertentag.html