Wie hilfreich ist der Nutri-Score wirklich?
Seit zwei Jahren befindet sich auf einigen Lebensmittelverpackungen der sogenannte Nutri-Score. Angelehnt an die bekannte Verkehrsampel soll dieses Label Verbrauchern eine Orientierung geben, wie „gesund“ die in einem Lebensmittel enthaltenen Nährwerte sind. Zwar findet sich der Nutri-Score auf immer mehr Produkten, doch Experten haben Zweifel, ob die Verbraucher das System tatsächlich richtig nutzen können.
Ob der Nutri-Score zum Beispiel wirklich dabei hilft, zuckerhaltige Lebensmittel zu erkennen und sich so gesünder zu ernähren, haben Wissenschaftlerinnen der Universität Göttingen in einer Studie untersucht. Hierzu wurden Teilnehmern online drei verschiedene handelsähnliche Produkte gezeigt – ein Fertig-Cappuccino, ein Schokoladenmüsli und ein Hafergetränk. Diese waren jeweils unterschiedlich mit Nutri-Score oder Zucker-Botschaften bedruckt, wie sie von Unternehmen verwendet werden.
Das Ergebnis: Die Teilnehmer bewerteten Produkte mit Unternehmensangaben zu einem reduzierten Zuckergehalt als gesünder, als sie tatsächlich waren. Bei den – teils zusätzlich – mit dem Nutri-Score bedruckten Lebensmitteln war das nicht der Fall. Die Wissenschaftlerinnen kamen zu dem Schluss, dass der Nutri-Score irreführenden Angaben zum Zuckergehalt entgegenwirken kann. Sie fordern deshalb Einschränkungen für irreführende Zucker-Behauptungen. Wenn Unternehmen derartige Angaben auf ihren Produkten machen, solle der Nutri-Score verpflichtend sein.
Gut zu wissen: Wie entsteht der Nutri-Score?
Der Nutri-Score ist eine fünfstufige Ampel vom dunkelgrünen A bis zum roten E. Nach einer festen Formel wird errechnet, in welche Kategorie ein Produkt fällt. Sie ist für die meisten Lebensmittel gleich: Es werden bei einem Produkt die Menge an Zucker, Fett, Salz, Ballaststoffen etc. oder Anteilen an zum Beispiel Obst und Gemüse pro 100 Gramm bewertet.
Viele Kalorien, Zucker, Salz und gesättigte Fettsäuren wirken sich demnach ungünstig auf die Gesamtbilanz eines Lebensmittels aus. Ein hoher Anteil an unter anderem Obst, Gemüse oder Nüssen bringt dagegen Pluspunkte.
Um eine möglichst flächendeckende Nutzung zu erreichen, ist die Nutzung des Nutri-Scores seit November 2020 in Deutschland freiwillig. Verbraucherschützer plädieren dafür, das Ampelsystem zu einer verpflichtenden Angabe zu machen.
Die EU-Kommission will im kommenden Jahr einen Vorschlag für eine sogenannte erweiterte Nährwertkennzeichnung präsentieren. Doch die Zeichen stehen nicht besonders günstig für den Nutri-Score, auch weil sich einige EU-Staaten vehement gegen das System wehren. „Die EU-Kommission wird nicht den Nutri-Score vorschlagen“, sagte kürzlich die für Ernährung zuständige stellvertretende Generaldirektorin der EU-Kommission, Claire Bury.
Wird der Nutri-Score falsch genutzt?
Eine verpflichtende Angabe ist nur dann hilfreich, wenn der Nutri-Score auch richtig interpretiert wird. Experten in Deutschland haben jedoch Zweifel, ob die Lebensmittelampel derzeit wirklich ihr Ziel erreicht.
Denn er soll Verbrauchern die Auswahl innerhalb einer Produktgruppe – zum Beispiel innerhalb der Kategorie Müsli oder Milchgetränke – erleichtern, erklärt Benedikt Merz vom Max Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. Also: Heute möchte ich Pizza essen, für welche soll ich mich entscheiden? Oder: Für mein Dinner möchte ich noch einen Nachtisch kaufen, welcher ist im Vergleich die ernährungsphysiologisch etwas günstigere Wahl.
Tatsächlich betrachten viele den Nutri-Score aber wie eine Verkehrsampel: Alle als grün gekennzeichneten Produkte sind grundsätzlich unbedenklich, alle rot gekennzeichneten sollten eher vermieden werden. Doch wer „ausschließlich Produkte mit grünem Nutri-Score-Label kauft, tut seiner Gesundheit noch lange nichts Gutes“, betont Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Denn zum einen spiele bei gesunder Ernährung sowohl Vielfalt als auch Menge eine Rolle – beides bilde der Nutri-Score aber nicht ab. Zum anderen sei das Ampelsystem nur auf abgepackten Lebensmitteln zu finden, nicht aber beispielsweise auf frischem Obst und Gemüse, die ein Grundpfeiler ausgewogener Ernährung sind.
Auch Benedikt Merz sagt: „Die größte Schwäche des Nutri-Scores ist, dass das System aufgrund seines einfachen Aufbaus falsch gelesen werden kann.“ Eine riesige Informationskampagne, wie der Nutri-Score richtig anzuwenden ist, wäre „äußerst sinnvoll“.
Hersteller zögern beim Nutri-Score
Im Sommer berichtete das Bundesernährungsministerium, dass sich bis zum 5. August 2022 rund 310 aus Deutschland stammende Unternehmen mit rund 590 Marken für den Nutri-Score registriert hätten. Laut einer aktuellen bundesweiten Analyse der Verbraucherzentrale sind von 1.451 untersuchten Lebensmitteln rund 40 Prozent mit der Lebensmittelampel ausgezeichnet gewesen. Das entspräche sieben Prozentpunkten mehr als im Vorjahr.
Pizzen seien mit 70 Prozent der untersuchten Produkte besonders häufig gekennzeichnet, Cerealien und Milchprodukte mit jeweils 28 Prozent eher selten. „Bei Eigenmarken des Handels stellen wir einen stetigen Zuwachs fest. Der Nutri-Score entfaltet sein volles Potenzial aber erst, wenn alle Produkte miteinander vergleichbar sind“, sagt Valet. „Wir fordern in Sachen Nutri-Score mehr Tempo von der Lebensmittelindustrie.“
Doch aktuell ist nicht abzuschätzen, ob wirklich mehr Hersteller die Lebensmittelampel verwenden werden. Zwar machen bereits einige Schwergewichte wie Danone, Nestlé und Dr. Oetker mit, doch die Einführung des Nutri-Scores ist aufgrund zahlreicher Regularien vergleichsweise aufwändig und teuer, erklärt Peter Loosen, Geschäftsführer und Leiter des Brüsseler Büros des Lebensmittelverbands Deutschland.
Zudem ständen Firmen, deren Produkte tendenziell schlechtere Bewertungen bekämen, dem Score skeptischer gegenüber. Einige Unternehmen dürften auch abwarten, bis die überarbeitete Berechnungsgrundlage in Kraft ist, um Doppelarbeit zu vermeiden.
Bewertungssystem des Nutri-Scores wird überarbeitet
Denn die Regeln des Nutri-Scores sollen bald nachgeschärft werden. So kann es passieren, dass verpackte Lebensmittel, die bislang sehr gut abgeschnitten haben, einige Bewertungspunkte Abzug erhalten. Müsli mit Schokolade, Weizenspaghetti oder Tiefkühlpizza werden dann vermutlich kein dunkelgrünes A mehr erhalten. „Das sind Stolpersteine, die wir im Rahmen überarbeiteter Regeln zumindest größtenteils aus dem Weg räumen konnten“, sagt Merz. Insbesondere die strengeren Regeln bei Zucker gehen aber Verbraucherschützern noch nicht weit genug.
Das Potenzial der Lebensmittelampel ist bislang also noch unklar. Es gibt aktuell keine begleitende Studie, die den Einfluss des Nutri-Scores auf das Einkaufsverhalten in Deutschland untersucht, meint Experte Merz. Auch ob Hersteller durch das Ampelsystem motiviert werden, ihre Rezepturen zu überarbeiten, ist wenig bekannt. Quelle: dpa