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Ergebnisse der KIGGS-Welle 2: Mädchen haben früher Sex als Jungen

Junge Frauen haben früher als ihr gleichaltriges Gegengeschlecht erste sexuelle Erfahrungen. Beliebteste Verhütungsmethoden sind immer noch die Antibabypille und das Kondom. | Bild: Prostock-studio / AdobeStock

Wer hat wann wie viel Sex? Das Robert Koch-Institut (RKI) hat das „Sexual- und Verhütungsverhalten von jungen Erwachsenen in Deutschland“ anhand der Ergebnisse der KiGGS-Welle 2 (KiGGS: Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland) analysiert. Dafür befragte das RKI die Teilnehmenden der KiGGS-Kohorte (jetzt: 18 bis 31 Jahre, bei der Basiserhebung von 2003 bis 2006 waren die Kinder 0- bis 17-jährig) und interessierte sich für ihr Alter beim ersten Sex, die Anzahl ihrer Sexualpartner und ihr Verhütungs- und Notfallverhütungsverhalten. 

Warum das Ganze? „Die Ergebnisse können dazu beitragen, Präventions- und Aufklärungskampagnen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu unterstützen, beispielsweise zur Anpassung von Informationsmaterialien zu Sexualaufklärung und Verhütung an bestimmte Zielgruppen“, erklärt das RKI.

Mädchen haben früher Sex als Jungen

Den Ergebnissen der KiGGS-Erhebung zufolge sammeln Mädchen noch vor Jungen Erfahrungen mit Geschlechtsverkehr: Während mehr als ein Viertel (26,6 Prozent) der weiblichen Jugendlichen bis zum Alter von 15 Jahren zum ersten Mal Sex hat, sind es bei den Jungen „nur“ 20,6 Prozent, also rund jeder Fünfte. 

Dieser „Trend“ setzt sich weiter fort: Bis zur Volljährigkeit von 18 Jahren vollziehen 61 Prozent der Mädchen ihren ersten Geschlechtsverkehr, bei den Jungen sind es mit 53,3 Prozent knapp 10 Prozent weniger. Im Alter von 30 Jahren haben immerhin 4 Prozent der Frauen und 9 Prozent der Männer noch gar keinen Sex gehabt.

Jugendliche werden später sexuell aktiv

Die Zahlen zum ersten Sex sind laut RKI „annähernd“ vergleichbar mit den Ergebnissen der HBSC-Studie(Health Behaviour in School-aged Children: WHO Collaborative Cross-national Study)  zum „Sexual- und Verhütungsverhalten von Jugendlichen“ – allerdings war in diesen Erhebungen das Mädchen-Jungen-Verhältnis umgekehrt: 2013/14 hatten der HBSC-Studie zufolge 19,6 Prozent der Mädchen und 22,3 Prozent der Jungen bis zum Alter von 15 Jahren den ersten Sex, 2017/18 waren es noch 16,7 Prozent der Mädchen und 19,7 Prozent der Jungen – also eine rückläufige Tendenz, bei der das Alter des ersten Geschlechtsverkehrs nach hinten wandert. 

Das erkennt auch das RKI: Der Anteil der Jugendlichen, die beim ersten Geschlechtsverkehr jünger als 17 Jahre alt sind, sei seit einigen Jahren rückläufig, erklärt das RKI. Damit setze sich der Trend fort, dass Jugendliche immer später sexuell aktiv werden. Als Grund für die „sexuelle Zurückhaltung“ zieht das RKI „das Fehlen der richtigen Partnerin beziehungsweise des richtigen Partners oder kulturelle Gründe“ in Betracht.  

KiGGS liefert zu diesem „Trend“ aktuell noch keine Daten, da das RKI Informationen zur Sexualität im Rahmen von KiGGS nun erstmals erhoben und ausgewertet hat.

Männer haben mehr Sexualkontakte

Doch auch wenn Mädchen und junge Frauen den ersten Sex der aktuellen KiGGS-Erhebung nach „früher“ erfahren als Jungen und Männer, so bestätigen 20 Prozent der Männer, in den letzten zwölf Monaten mindestens drei Sexualkontakte erlebt zu haben. Bei den Frauen geben nur halb so viele (11 Prozent) diese Antwort. Bei lediglich zwei Sexualkontakten im vergangenen Jahr verhalten sich beide Geschlechter vergleichbar (10 Prozent der Frauen; 12 Prozent der Männer), genau einen Sexualkontakt berichten hingegen wieder mehr Frauen als Männer (68,8 Prozent vs. 57,8 Prozent), was nach Interpretation des RKI dafürspricht, dass „ein hoher Anteil der jungen Erwachsenen in einer festen Beziehung lebt“.

Das RKI sucht auch nach Erklärungen, warum Männer über eine höhere Anzahl an Sexualkontakten berichten als Frauen. Möglicherweise liege es am „Antwortverhalten“, dass sich Männer tendenziell (aufgrund sozialer Erwartungen) gern als sexuell aktiv präsentieren. Daneben könnten Schätzfehler das Ergebnis verzerren und dass Männer häufiger mit Sexarbeiterinnen Geschlechtsverkehr haben, die nicht an Umfragen teilnehmen, was das Ergebnis ebenfalls „zugunsten“ der Männer verschiebt.

Homosexuelle vs. heterosexuelle Kontakte

Die meisten der Befragten nennen, wenn es um die Wahl ihrer Geschlechtspartner im letzten Jahr geht, das Gegengeschlecht: Mehr als 90 Prozent hatten Sex mit gegengeschlechtlichen Sexualpartnern (Männer mit Frauen und Frauen mit Männern). 7,4 Prozent der Frauen wählten Frauen und 2,8 Prozent der Männer wählten Männer als Sexualpartner. Zudem erklären 1,4 Prozent der Frauen und 0,4 Prozent der Männer in den letzten zwölf Monaten sowohl homo- wie auch heterosexuelle Geschlechtspartner gehabt zu haben. 

Zu beachten ist hierbei, dass die Zahlen nicht unweigerlich den Anteil der grundsätzlich homo- oder heterosexuell Orientierten korrekt widerspiegeln – denn die KiGGS-Erhebung interessierte sich ausschließlich für die sexuellen Kontakte der letzten zwölf Monate. Es könnte also sein, dass in den Jahren zuvor auch andere sexuelle Kontakte bereits stattgefunden hatten.

Wie verhüten Männer und Frauen?

Den Ergebnissen des RKI zufolge nutzen drei von vier Frauen (76,5 Prozent) Verhütungsmittel. Männer sind hier „sparsamer“ unterwegs, und „lediglich“ 59,1 Prozent der Männer geben an, beim Geschlechtsverkehr zu verhüten. Spitzenreiter unter den Kontrazeptiva sind die Antibabypille (62,1 Prozent der Frauen; 51 Prozent der Männer) und das Kondom (44,1 Prozent der Frauen; 64,2 Prozent der Männer) – dabei nutzen etwa ein Viertel der Frauen sogar beide Verhütungsmethoden, bei den Männern geben sogar ein Drittel der Befragten an, auf die doppelte Verhütung zu setzen. 

Dabei hat in Verhütungsfragen fast jede Frau (92,6 Prozent) Erfahrung mit der Pille (auch wenn sie diese aktuell vielleicht nicht mehr anwendet). Mit Spirale verhüten im Vergleich dazu äußerst wenig – etwa 3 Prozent. Weiter untergeordnet sind noch natürliche oder chemische Verhütungsmethoden oder ein Diaphragma.

Diese Ergebnisse decken sich mit einer 2018 von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) durchgeführten Telefonumfrage: Die häufigsten Verhütungsmittel waren auch damals Pille und Kondom, wobei der Trend damals klar weg von hormonellen Kontrazeptiva ging, vor allem bei jüngeren Studienteilnehmerinnen.

In festen Partnerschaften wird mehr verhütet

Vor allem Frauen (79,2 Prozent) und Männer (68,2 Prozent) in festen Partnerschaften verhüten. Ohne feste Partnerschaft kümmern sich jeweils etwa 10 Prozent weniger um eine Kontrazeption. Allerdings erklären drei von fünf Männern ohne feste Beziehung, dass sie grundsätzlich ein Kondom beim Geschlechtsverkehr nutzen, ein Drittel zumindest gelegentlich, und nur knapp 7 Prozent verzichten auf die Barriere. Vorteil beim Kondom: Es schützt, im Gegensatz zur Pille, bei korrekter Anwendung auch vor sexuell übertragbaren Erkrankungen.

Ein Drittel der Frauen hat Erfahrung mit „Notfallverhütung“

In der KiGGS-Umfrage interessierte sich das RKI auch dafür, welche Frauen bereits Erfahrung mit der „Pille danach“ haben. Dem RKI zufolge hat mittlerweile etwa jede dritte Frau (30,8 Prozent) Erfahrung mit der Einnahme von Notfallverhütungsmitteln. Dabei spielten Alter, Bildung und Migrationshintergrund keine Rolle, und die Einnahme der „Pille danach“ war damit „unabhängig von soziodemografischen Faktoren“, schreibt das RKI. Die Daten wiesen somit darauf hin, dass „alle gesellschaftlichen Gruppen“ die Möglichkeit von Notfallkontrazeptiva nutzen, und sie „betonen die Notwendigkeit, niedrigschwellige Zugangsmöglichkeiten zu gewährleisten“, findet das RKI.

Zur Erinnerung: Switch der Verschreibungspflicht bei der „Pille danach“

Im Januar 2015 hob die Europäische Kommission auf Empfehlung der EMA die Verschreibungspflicht für Levonorgestrel- und Ulipristalacetat-haltige Kontrazeptiva auf. In Deutschland wurden daraufhin am 6. März 2015 PiDaNa® (Levonorgestrel) und EllaOne® (Ulipristalacetat) aus der Verschreibungspflicht entlassen. Seither können Apotheken die Präparate im Rahmen der Selbstmedikation abgeben.

Die nun vom RKI veröffentlichten Ergebnisse bestätigen Daten der Studie zur Jugendsexualität aus dem Jahr 2019: Damals gaben 27 Prozent der befragten 14- bis 25-Jährigen an, dass sie die „Pille danach“ schon verwendet hatten, knapp 10 Prozent sogar öfter(veröffentlicht im Oktober 2021 im „Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz“) .

Seit der Entlassung aus der Verschreibungspflicht steigt laut ABDA(„Die Apotheke: Zahlen, Daten, Fakten 2022“)  der Absatz von Notfallkontrazeptiva in der Apotheke: 2015 holten 467.000 Frauen die „Pille danach“ ohne Rezept, 2021 waren es 834.000. Hingegen ist im selben Zeitraum die Abgabe von Arzneimitteln zur Notfallverhütung auf Rezept gesunken (Kassen- und Privatrezept): von 195.000 im Jahr 2015 auf 41.000 im Jahr 2021.