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Salbutamol: Risiko bei Asthma-Notfallspray

Frau mit Asthma hält Asthma-Spray
Mehrere Studien warnen vor einem Übergebrauch von SABAs wie Salbutamol. | Bild: New Africa / AdobeStock

Cortison und Cortison-haltige Arzneimittel stellen für manche Patienten noch immer ein „Schreckgespenst“ dar – auch bei lokaler Therapie, wie zur Inhalation bei Asthma. Der Grund dürfte die Sorge vor möglichen Nebenwirkungen sein – Stammfettsucht, Osteoporose, Infektanfälligkeit, dünne Haut –, die eine langfristige systemische Cortisonbehandlung in gewissen Dosen fraglos mit sich bringen kann. Bei einer Asthmatherapie spielen sie jedoch eine absolut untergeordnete (bis keine) Rolle.

Übergebrauch von Notfallsprays

Ist das aber der Grund, warum jeder vierte Asthmapatient lieber (und damit zu häufig) zu seinem Notfallspray mit Salbutamol greift? Diese Zahlen ermittelten Wissenschaftler nun in einer britischen Studie. („British Journal of General Practice“: „Reducing SABA overprescribing in asthma: lessons from a Quality Improvement prescribing project in East London)  

Sie hatten dafür Verschreibungsdaten der letzten zwölf Monate (Datenstichpunkt war der Februar 2020) von 30.694 Asthmapatienten (Alter: 5 bis 80 Jahre) aus drei Londoner Stadtbezirken ausgewertet und analysiert, wie häufig diese einen SABA (kurzwirksamer Beta-2-Agonist, short-acting beta-2-agonist) – wie Salbutamol, das schnell und kurzwirksam asthmatische Beschwerden wie Keuchatmung, Kurzatmigkeit oder Atemnot lindert – verordnet bekommen hatten. 

Dabei flossen sowohl direkte ärztliche Rezepte in die Auswertung mit ein wie auch sogenannte Wiederholungsabgaben in der Apotheke. Letztere ermöglichen es Patienten im Vereinigten Königreich, ihre Arzneimittel in der Apotheke ohne ärztliche Neuverordnung zu holen, das heißt: Die Apotheken verwalten die Arzneimittel der Patienten.

Cortison durch Salbutamol ersetzt

Das Ergebnis: 26 Prozent der Asthmatiker – also mehr als jeder Vierte – hatte mindestens sechs SABA-Inhalatoren pro Jahr erhalten (standardisiert auf 100 µg/Dosis, 200 Dosen pro Inhalator), was den Wissenschaftlern zufolge einen Übergebrauch darstellt. Allerdings ist die Spanne des ärztlichen Verordnungsverhaltens durchaus breit: Manche Arztpraxen kamen auf sechs Prozent Überverschreibungen, andere auf 60 Prozent. 

Dabei scheint die vermehrte Verwendung der Notfallsprays zulasten einer antientzündlichen Basistherapie mit inhalativem Cortison (ICS) zu gehen. Denn: Mehr als 80 Prozent der Asthmatiker mit inhalativen Corticoiden erhielten weniger als sechs SABA-Rezepte pro Jahr (ihr Asthma ist aufgrund der ICS gut kontrolliert, sodass sie weniger Notfallsprays benötigen). Hingegen hatten 25 Prozent der Asthmapatienten, die zwischen sechs und zwölf SABA-Inhalatoren im Jahr benötigten (schlecht kontrolliertes Asthma), weniger Rezepte über Cortison-Inhalatoren verordnet bekommen, als man anhand der Schwere ihres Asthmas erwarten würde.

Ein Risikofaktor, der einen Salbutamol-Übergebrauch begünstigte, war das Alter der Patienten. Vor allem ältere Asthmatiker ließen sich häufiger SABA-Rezepte ausstellen. Auffällig war auch, dass Raucher und Asthmapatienten mit weiteren Erkrankungen (Komorbiditäten) eher einen Übergebrauch aufwiesen. Ebenso stand die Überverordnung im Zusammenhang mit der Schwere des diagnostizierten Asthmas (Asthmastufe) und bestimmten Entzündungsmarkern im Blut (Eosinophilenzahl als Marker für Entzündungen der Atemwege).

Wiederholungsabgaben in Apotheken: Risiko für Übergebrauch?

Auf den ersten Blick beunruhigen dürfte auch die Beobachtung, dass Wiederholungsabgaben von Asthma-Notfallsprays in Apotheken ohne ärztliche Neuverordnung „stark mit einer übermäßigen SABA-Anwendung verbunden“ waren, schreiben die Wissenschaftler. Und zwar erhöhte die Möglichkeit von Wiederholungsabgaben das Risiko für einen Übergebrauch um den Faktor 6,5. Nur einer von 100 Asthmatikern nutzt allerdings überhaupt apothekerliche Wiederholungsabgaben – doch hatten 80 Prozent derer sodann mindestens sechs SABA-Inhalatoren im Jahr. Die Überlegung der Wissenschaftler ist nun, ob man Salbutamol beispielsweise aus Wiederholungsabgaben in der Apotheke ausschließen sollte.  

In Deutschland sind Wiederholungsrezepte nicht möglich. Die neuen, vergüteten pharmazeutischen Dienstleistungen umfassen auch eine Inhalationsschulung für Asthmapatienten. Vielleicht ist hier auch ein Hinweis seitens der Apotheke sinnvoll, dass Notfallsprays, wie Salbutamol, tatsächlich als solche zu nutzen sind – bei akutem Bedarf – und nicht als Dauertherapie und zum Cortison-Ersatz.

Zuverlässige Cortisontherapie: 70 Prozent der Krankenhauseinweisungen verhindern

Die Wissenschaftler haben auch hochgerechnet, wie sich weniger SABA-Gebrauch auf asthmabedingte Krankenhauseinweisungen auswirken würde. Sie schätzen, dass eine bessere Asthmakontrolle und damit verbunden weniger SABA-Anwendungen – von zwölf Verordnungen und mehr pro Jahr reduziert auf vier bis zwölf pro Jahr – zu 70 Prozent weniger Krankenhauseinweisungen aufgrund von Asthma führen könnten.

London-Studie: ein Ausreißer?

Nun könnte man zu Recht hinterfragen, ob die Daten aus drei Londoner Stadtbezirken das wirkliche Verhalten von Asthmapatienten widerspiegeln. Allerdings stützen auch frühere Studien die Beobachtung, dass Asthmatiker tendenziell zu häufig auf ihr Akutspray zurückgreifen. 

2020 konnten Wissenschaftler in einer Studie des SABINA-Programms (SABa use IN Asthma) zeigen, dass ein Drittel der Asthmatiker in Europa zu häufig ihr Akutspray benutzen. Sie definierten diesen Übergebrauch, wenn die Asthmapatienten mehr als drei Inhalatoren pro Jahr anwendeten („Advanced Therapies“: „SABINA: An Overview of Short-Acting β 2-Agonist Use in Asthma in European Countries“) . Dies sei ein Hinweis, dass diese Patienten „nicht optimal nach den aktuellen Empfehlungen behandelt“ würden. Das SABINA-Programm brachte erst im März dieses Jahres – von über einer Million Asthmapatienten aus Europa und Nordamerika – neue Daten in die Fachpresse („‚The Journal of Allergy and Clinical Immunology: In Practice‘: Short-Acting Beta-2-Agonist Exposure and Severe Asthma Exacerbations: SABINA Findings From Europe and North America“) . Die Arbeit zielte vor allem auf die Effekte einer übermäßigen Anwendung von Notfallsprays ab. Das Ergebnis: Das Risiko für schwere Asthma-Entgleisungen (Exazerbationen) steigt mit einer vermehrten SABA-Anwendung – was erklärt, warum auch Leitlinien vor einem „Zuviel“ an Salbutamol und vor allem einer alleinigen Therapie mit Notfallsprays zur Asthmakontrolle abraten.

Die GINA-Leitlinie „Global Initiative for Asthma“ empfiehlt seit 2019 „aus Sicherheitsgründen“ – wegen des erhöhten Exazerbationsrisikos – keine Monotherapie mit SABAs wie Salbutamol, da ein regelmäßiger und häufiger Gebrauch das Risiko für schwere Asthma-Entgleisungen erhöhe.