Internationaler Tag der Epilepsie: Die Epilepsie im Blick
Es ist erstaunlich, wie wenig über Epilepsie gesprochen wird. Dabei handelt es sich um eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen. Immerhin jeder Hundertste ist von ihr betroffen. Und jeder Zwanzigste erleidet irgendwann im Leben einmal einen epileptischen Anfall. Weitere Fakten zur Epilepsie:
- Circa 1 Prozent der Bevölkerung leidet an Epilepsie. Das sind in Deutschland ungefähr 800.000 Menschen. Pro Jahr erkranken hierzulande etwa 30.000 Menschen neu an Epilepsie.
- Besonders häufig beginnt eine Epilepsie im Kindesalter unter zehn Jahren sowie ab dem 60. Lebensjahr.
- Bis zu 5 Prozent aller Menschen erleiden irgendwann im Leben einen epileptischen Anfall. Dafür kann es bestimmte Ursachen geben, zum Beispiel Fieber im Kleinkindalter (Fieberkrampf), Dehydrierung, Vergiftung oder ein Trauma. Es handelt sich bei solchen akuten symptomatischen Anfällen nicht um Epilepsie. Bei der Erkrankung treten gehäuft epileptische Anfälle auf.
- In circa der Hälfte der Fälle von Epilepsie gibt es individuelle anfallsauslösende Faktoren. Dazu gehören Stress, Übermüdung, Flimmerlicht, Fernsehen, Alkohol und bei Frauen evtl. die Menstruation. Bei anderen Patienten treten die Anfälle spontan ganz ohne erkennbaren Auslöser auf.
- Pathophysiologisch kommt es bei einem epileptischen Anfall zu einer plötzlichen, unkontrollierten elektrischen Entladung größerer Nervenzellverbände in bestimmten Hirnarealen.
- Man unterscheidet fokale Anfälle – die an einem umschriebenen Ort im Gehirn entstehen – und generalisierte Anfälle – bei denen die Aktivität im ganzen Gehirn oder zumindest in beiden Hirnhälften gleichzeitig entsteht.
- Die Schwere der Krämpfe kann jeweils ganz unterschiedlich sein – von lokal begrenzten Muskelzuckungen oder kleinen, fast unmerklichen Aussetzern (Petit Mal) bis hin zu dramatischen Formen mit starken Zuckungen am ganzen Körper und plötzlichem Bewusstseinsverlust (Grand Mal).
- Klassische Antiepileptika (Antikonvulsiva) wie Carbamazepin, Lamotrigin, Valproinsäure erhöhen die elektrische Entladungsschwelle der Nervenzellen und damit die Krampfschwelle, indem sie Ionenkanäle oder Neurotransmitterkonzentrationen beeinflussen. Es handelt sich also um eine rein symptomatische Behandlung.
- Erhöhte Vorsicht bei der Einnahme von Antikonvulsiva ist im Falle einer Schwangerschaft geboten, insbesondere bei Valproinsäure.
- Circa 30 Prozent der Patienten werden trotz des Einsatzes von Antikonvulsiva nicht anfallsfrei. In manchen Fällen bringt eine Epilepsie-Chirurgie Linderung.
Wie sich Ersthelfer bei einem epileptischen Anfall richtig verhalten:
- Aufpassen, dass sich der Patient nicht verletzt.
- Etwas Weiches unter den Kopf schieben.
- Den Betroffenen nicht festhalten.
- Warten, bis der Patient wieder zu sich gekommen ist.
- Dauert dies länger als fünf Minuten oder ist es zu Verletzungen gekommen, Notruf absetzen.
Was tut sich in der Epilepsie-Forschung?
Auch wenn bei manch anderer Erkrankung größere Therapiefortschritte zu verzeichnen sind, gab es im vergangenen Jahr auch aus der Epilepsie-Forschung gute Neuigkeiten:
Neues Antiepileptikum: Für erwachsene Patienten mit fokaler Epilepsie, die trotz Behandlung mit mindestens zwei Antiepileptika nicht ausreichend kontrolliert sind, steht als neue Therapieoption Cenobamat (Ontozry®) zur Verfügung. Die Substanz wirkt zum einen als Natriumkanal-Blocker, zum anderen als Modulator des Gamma-Aminobuttersäure(GABA)-A-Kanals. In klinischen Studien halbierte Cenobamat als Begleittherapie die Zahl der Krampfanfälle bei der Hälfte der Patienten.
MS-Arzneimittel bei frühkindlicher Epilepsie: Erstmals spezifisch medikamentös behandelbar ist eine sehr seltene Form der genetisch bedingten Epilepsie. Bei ihr werden durch Mutationen im KCNA2-Gen Kaliumkanäle im Gehirn geschädigt. Die Folge sind schwere epileptische Anfälle bereits im ersten Lebensjahr sowie Entwicklungsstörungen mit Problemen beim Sprechen, Rechnen und Buchstabieren. Ein Tübinger Forscherteam fand nun heraus: Das Multiple-Sklerose-Therapeutikum Fampridin (Fampyra®) – ein reversibler Kaliumkanalblocker – kann die Symptome dieser frühkindlichen Epilepsie verbessern.
Gezielte Laute im Schlaf: Eine häufige Form der Epilepsie im Kindesalter ist die Rolando-Epilepsie. Bei ihr treten die Anfälle hauptsächlich im Schlaf auf. Die Erkrankung verläuft zwar meist mild, kann aber die Hirnaktivität im Schlaf beeinträchtigen und deshalb zu Entwicklungsstörungen führen.
Nun hat ein Forschungsteam aus Tübingen einen neuen therapeutischen Ansatz entwickelt: Durch im Schlaf vorgespielte kurze Laute können die krankheitsbedingten Ausschläge der elektrischen Hirnaktivität teilweise unterdrückt werden.
Lichtschalter für Antiepileptika: Antiepileptika haben häufig Nebenwirkungen. Deshalb wäre es wünschenswert, dass die Medikamente erst im Gehirn wirken. An diesem Ziel arbeiten Forscher des Universitätsklinikums Bonn.
Sie wollen photoaktivierbare Wirkstoffe einsetzen: Substanzen wie zum Beispiel Propofol sollen chemisch so verändert werden, dass sie erst durch Einwirken von Licht lokal im Gehirn aktiv werden. Dazu muss eine biokompatible Lichtquelle ins Gehirn gebracht werden, die zum Beispiel über Tiefenelektroden wirkt.
Atemtest zur Therapiekontrolle: Antiepileptika müssen möglichst genau dosiert werden. Zur Kontrolle dienen Blutuntersuchungen. Die Blutabnahme kann bei Kindern Stress verursachen. Außerdem sind die Ergebnisse erst nach der Laborauswertung verfügbar.
Um eine einfachere und schnellere Therapiekontrolle zu haben, entwickelten Forscher der Universität Basel einen Atemtest – ähnlich einem Alkoholtest für Autofahrer. Die Technik soll in der Zukunft flächendeckend angewendet werden können. Quellen: Deutsche Gesellschaft für Epileptologie e.V.; Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN); DAZ Nr. 52/2021; Hertie-Institut für klinische Hirnforschung; Eberhard Karls Universität Tübingen; Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn; Universität Basel