Wie erkenne ich Corona bei Kindern?: COVID-19 bei Kindern – bei Bauchschmerzen wachsam sein?
SARS-CoV-2 infiziert nicht lediglich die Atemwege, auch im Magen-Darm-Trakt findet sich ACE2, ein wichtiger Rezeptor, über den das Virus in die menschliche Zelle gelangt. Bereits 2020 gab es erste Hinweise, dass Kinder SARS-CoV-2 auch über den Stuhl ausscheiden, selbst dann noch, wenn ihre Nasen-Rachenabstriche bereits negativ waren. Die Arbeit wurde im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht.
Zudem beschreiben manche Infizierte ausschließlich gastrointestinale (GI-)Symptome, was vor allem vom Alter abzuhängen scheint: Gastrointestinale Beschwerden(vgl. „Frontiers in Pediatrics“ – „SARS-CoV-2 and the Gastrointestinal Tract in Children“) treten bei Kindern häufiger auf als bei Erwachsenen. Von Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen berichtet einer Studie zufolge jedes vierte infizierte Kind(„The Lancet Child & Adolescent Health“ – „COVID-19 in children and adolescents in Europe: a multinational, multicentre cohort study“) .
Liegt ein Multisystemisches Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C) vor – auch PIMS genannt für Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (siehe Infobox) –, treten Magen-Darm-Beschwerden nahezu immer auf (90 Prozent).
Vor allem Durchfall kommt bei COVID-19-Kindern vor, und zwar insbesondere bei Säuglingen (15 Prozent), während ältere Kinder eher über Erbrechen (10 Prozent) oder Bauchschmerzen (8 Prozent) klagen. Daten dazu gibt es aus Italien, veröffentlicht im Fachjournal „Frontiers in Pediatrics“ („Epidemiology, Clinical Features and Prognostic Factors of Pediatric SARS-CoV-2 Infection: Results From an Italian Multicenter Study“) .
Welche Faktoren sind verantwortlich für schwere Magen-Darm-Beteiligungen?
Sollte man bei Kindern mit Magen-Darm-Beschwerden folglich nicht nur an Rota- und Noroviren denken, sondern auch an SARS-CoV-2? Das legt nun eine jüngst bei „JAMA Network Open“ veröffentlichte multizentrische Kohortenstudie mit 685 italienischen Kindern nahe(„Factors Associated With Severe Gastrointestinal Diagnoses in Children With SARS-CoV-2 Infection or Multisystem Inflammatory Syndrome“) .
Die Wissenschaftler betrachteten den Zeitraum von Februar 2020 bis Januar 2021, eingeschlossen waren unter 18-jährige ambulant oder stationär behandelte Kinder, die PCR-positiv auf das Coronavirus getestet worden waren oder bei denen PIMS (nach Kriterien der US-amerikanischen Seuchenbehörde CDC – US Centers for Disease Control and Prevention) vorlag.
Die Wissenschaftler wollten durch klinische, radiologische und histopathologische Untersuchungen bei Kindern mit SARS-CoV-2 oder PIMS herausfinden, welche Faktoren mit schweren gastrointestinalen Manifestationen verbunden sind.
Blinddarmentzündungen und Pankreatitis bei Kindern mit COVID-19?
Dabei definierten die Forscher „schwere gastrointestinale Beteiligungen“ beispielsweise als akutes Abdomen (akute, starke Bauchschmerzen mit Abwehrspannung der Bauchdeckenmuskulatur und Kreislaufdekompensation), Blinddarmentzündung (Appendizitis – kompliziert oder nicht durch Perforation und/oder Bauchfellentzündung [Peritonitis]), Darminvagination (Einstülpung des Darms), Entzündung der Bauchspeicheldrüse (Pankreatitis) oder Flüssigkeitsansammlung im Bauchraum, die während oder innerhalb von vier bis sechs Wochen nach der SARS-CoV-2-Infektion auftraten und teils einen chirurgischen Eingriff erforderten.
Gut zu wissen: Was ist PIMS?
PIMS steht für „Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“, eine andere Bezeichnung lautet MIS-C für „Multisystem Inflammatory Syndrome in Children“ (deutsch etwa: Multisystemisches Entzündungssyndrom bei Kindern).
Es handelt sich dabei um ein neues Krankheitsbild, das im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion bei Kindern und Jugendlichen auftritt und Folge eines überaktivierten Immunsystems ist.
Das Robert Koch-Institut (RKI) beschreibt PIMS als ein „schweres entzündliches Krankheitsbild, das in seltenen Fällen bei Kindern und Jugendlichen in der Regel drei bis vier Wochen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 (auch asymptomatisch) beobachtet wurde“. Die Ursachen seien unklar, häufig gehe PIMS mit einer Schocksymptomatik und vorübergehender Herz-Kreislauf-Insuffizienz einher.
Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) definiert PIMS als Fieber und erhöhte systemische Entzündungswerte und mindestens zwei Organbeteiligungen – und: Alle Symptome stehen im Zusammenhang mit einer akuten oder stattgefundenen SARS-CoV-2-Infektion oder zumindest mit einem Kontakt zu SARS-CoV-2.
Seit 27. Mai 2020 erfasst die DGPI PIMS-Fälle in Deutschland, bislang (Stand 9. Januar 2022) wurden 549 PIMS-Fälle (darunter vier aus Österreich) gemeldet. Der DGPI zufolge lautete die Aufnahmediagnose bei den meisten PIMS-Kindern anders (nicht PIMS). Am häufigsten seien die Organe Haut/Schleimhäute, das Herz-Kreislauf-System und der Gastrointestinaltrakt beteiligt gewesen.
Die Mehrheit der Kinder musste intensivmedizinisch betreut werden. Sie erhielten immunmodulatorische Behandlungen und viele Kinder auch eine antibiotische Therapie. Die gute Nachricht: „Das Outcome der Patienten war günstig. Folgeschäden (vor allem bezogen auf Herz-Kreislauf) wurden in weniger als 10 Prozent der Fälle bei Entlassung beobachtet“, erklärt die DGPI. Todesfälle seien nicht berichtet.
Während die COVID-19-Fälle zwischen Jungen und Mädchen ausgeglichen sind, scheinen jedoch vor allem Jungen ein PIMS zu entwickeln.
Kriterien der CDC für ein PIMS (MIS-C):
- Anhaltendes Fieber
- PLUS mehr als eines der folgenden Merkmale:
- Magenschmerzen
- blutunterlaufene Augen
- Durchfall
- Schwindel oder Benommenheit (Anzeichen für niedrigen Blutdruck)
- Hautausschlag
- Erbrechen
„MIS-C ist eine Erkrankung, bei der sich verschiedene Körperteile entzünden können, darunter Herz, Lunge, Nieren, Gehirn, Haut, Augen oder Magen-Darm-Organe. Wir wissen noch nicht, was MIS-C verursacht. Wir wissen jedoch, dass viele Kinder mit MIS-C das Virus hatten, das COVID-19 verursacht, oder dass sie in der Nähe von Personen mit COVID-19 waren.“
Kriterien der WHO für ein PIMS:
- Kinder und Jugendliche im Alter bis 19 Jahre mit Fieber > 3 Tage
- UND zwei der folgenden Punkte:
- Hautausschlag oder beidseitige nicht eitrige Konjunktivitis (Bindehautentzündung) oder Anzeichen einer Entzündung der Haut (Mund, Hände oder Füße)
- Hypotonie (niedriger Blutdruck) oder Schock
- Anzeichen einer myokardialen Dysfunktion, Perikarditis (Herzbeutelentzündung), Herzklappenentzündung oder koronare Anomalien
- Anzeichen einer Koagulopathie (Gerinnungsstörung)
- Akute gastrointestinale Probleme (Durchfall, Erbrechen oder Bauchschmerzen) und
- erhöhte Entzündungsmarker, zum Beispiel C-reaktives Protein (CRP) oder Procalcitonin,
- keine andere offensichtliche mikrobielle Ursache der Entzündung, einschließlich bakterieller Sepsis (Blutvergiftung), Staphylokokken- oder Streptokokken-Schocksyndromen und ein
- Nachweis von COVID-19 (PCR, Antigentest oder Serologie positiv) oder wahrscheinlicher Kontakt mit Patienten mit COVID-19.
Mehr als ein Drittel der Kinder mit Magen-Darm-Symptomen
Von den 685 in die Studie eingeschlossenen Kindern (56,4 Prozent Jungen, 43,6 Prozent Mädchen) waren fast alle (n = 628, 91,7 Prozent) SARS-CoV-2-positiv, 57 Kinder erhielten die Diagnose PIMS (8,3 Prozent).
Mehr als ein Drittel (37,5 Prozent, n = 257) dieser Kinder litten an gastrointestinalen Symptomen. Auffallend war, dass Kinder, die gastrointestinale Beschwerden berichteten, häufiger ins Krankenhaus aufgenommen (2,64-fach erhöhtes Risiko) und intensivmedizinisch betreut (3,9-fach erhöhtes Risiko) werden mussten.
Vor allem Durchfall, Erbrechen und Bauchschmerzen
Doch welche gastrointestinalen Beschwerden traten am häufigsten auf? Lagen nur leichte bis mittelschwere Magen-Darm-Symptome vor, waren dies vor allem Durchfall, gefolgt von Erbrechen oder Bauchschmerzen. Kinder, die später eine PIMS-Diagnose erhielten, hatten zu 77,2 Prozent eine Magen-Darm-Beteiligung gezeigt.
Vor allem ältere Kinder haben schwere Magen-Darm-Beteiligungen
Bei 65 Kindern (9,5 Prozent) ordneten die Wissenschaftler die Magen-Darm-Beteiligungen als „schwer“ ein: Knapp 40 Prozent der Kinder entwickelten entzündliche Veränderungen des Fettgewebes, ein Drittel (33,5 Prozent) eine Blinddarmentzündung. Jeder Fünfte wies Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum auf (21,3 Prozent). Daneben wurden Entzündungen der Bauchspeicheldrüse (6,9 Prozent) und Einstülpungen des Darms (4,6 Prozent) diagnostiziert. Dabei sahen sich die Ärzte im Mittel bei zwei von fünf Kindern gezwungen, zu operieren.
Das Alter scheint hierbei als ein wichtiger Risikofaktor schwere Magen-Darm-Beteiligungen zu beeinflussen: Kinder mit schweren GI-Symptomen waren älter (9,9 Jahre) als Kinder mit lediglich leichten bis mittelschweren (6,5 Jahre) oder keinen (6,6 Jahre) GI-Symptomen. Und Kinder zwischen fünf und zehn Jahren hatten ein 8,33-fach erhöhtes Risiko für schwere GI-Folgen verglichen mit Kindern im Vorschulalter.
Bauchschmerzen und Entzündungswerte
Als weitere Risikofaktoren für schwerwiegende Magen-Darm-Beteiligungen machten die Wissenschaftler Bauchschmerzen (87,7 Prozent) und Erbrechen (60 Prozent) aus. Hingegen litten SARS-CoV-2-infizierte Kinder mit schwerer Magen-Darm-Folge seltener an Fieber, Husten und Schnupfen als Kinder ohne GI-Beteiligung.
Die Forscher weisen zudem darauf hin, dass „eine klinische Präsentation, die durch Bauchschmerzen, Lymphopenie (verringerte Anzahl an Lymphozyten, einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen) und erhöhte C-reaktive Protein- und Ferritinwerte gekennzeichnet ist“, mit einer neun- bis 30-fach erhöhten Wahrscheinlichkeit für schwere gastrointestinale Folgen verbunden war.
Interessant ist auch der Zusammenhang zwischen PIMS und schweren Magen-Darm-Beteiligungen: Bei mehr als der Hälfte aller PIMS-Kinder (56,1 Prozent) wurden auch schwere Magen-Darm-Beteiligungen festgestellt.
Bei älteren Kindern mit Bauchschmerzen wachsam sein
Ihr Fazit: Die Wissenschaftler vermuten, dass etwa eines von zehn Kindern mit COVID-19 schwere GI-Folgen entwickeln kann, die eine hohe Rate an Krankenhausaufenthalten und die Aufnahme in die Intensivstation erfordern. Aus diesem Grund könne das Wissen um Faktoren, die mit schweren GI-Folgen einhergehen, Ärzten helfen, diese Kinder direkt zu erkennen und zu behandeln.
Bei Kindern und Jugendlichen im Schulalter sowie bei allen Kindern mit Bauchschmerzen, Leukopenie (verringerte Anzahl weißer Blutkörperchen) und erhöhten Entzündungsmarkern oder PIMS, bei denen eine rasche Bildgebung des Bauchraums und ein chirurgischer Eingriff erforderlich sein können, sollte ein hoher Verdachtsgrad beibehalten werden, so der Rat der Studienautoren.