Leseprobe PTAheute 22/2021: Festgesaugt – Blutegeltherapie
Bereits in vorchristlicher Zeit wurden Blutegel als Heilmittel eingesetzt und vor allem im Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert waren sie äußerst beliebt, allerdings meist nicht unter sonderlich hygienischen Bedingungen. Dadurch geriet die Blutegeltherapie für einige Jahre in Verruf. Inzwischen wird sie jedoch wieder häufiger eingesetzt.
Blutgerinnungs- und entzündungshemmend
Legt man Blutegel an, saugen sie sich fest, beißen ein Y-förmiges Loch in die Haut und beginnen, Blut zu saugen. Dabei gelangt ihr Speichel in den menschlichen Körper. Im Speichel sind etwa 20 verschiedene Substanzen enthalten, die die Blutgerinnung und Entzündungen hemmen und Thromben auflösen. Zudem wirken sie gefäßerweiternd, schmerzstillend und regen den Lymph-fluss an. Der Blutegeltherapie wird sowohl eine lokale als auch eine systemische Wirkung nachgesagt. Einer der bekanntesten Inhaltsstoffe des Speichels ist Hirudin, das in die Blutgerinnung eingreift, indem es an Thrombin bindet und dieses so blockiert. Bis vor einigen Jahren wurden Hirudin und seine gentechnisch hergestellten Analoga bei Patienten mit einer Heparinunverträglichkeit eingesetzt.
Einsatzgebiete
Daraus ergeben sich verschiedene Einsatzgebiete für eine Blutegeltherapie, vor allem bei Krankheitsbildern mit Entzündungsprozessen und beeinträchtigter Blutgerinnung. So kommen sie unter anderem bei rheumatischen Erkrankungen wie Arthrose und Arthritis zum Einsatz. Weitere Indikationen sind Ödeme sowie Venenentzündungen und Ulcus cruris. In der plastischen Chirurgie und Unfallchirurgie werden sie verwendet, um die Blutzirkulation in verletztem oder transplantiertem Gewebe zu verbessern. Heilpraktiker wenden Blutegel an, aber auch manche Kliniken als Ergänzung zur Schulmedizin. Auch in der Tiermedizin werden sie eingesetzt, jedoch nicht bei Lebensmitteltieren.
Bislang fehlen evidenzbasierte Belege oder positive Leitlinienempfehlungen zur Blutegeltherapie. Dennoch liegen vor allem für die Indikation Arthrose mehrere Studien und Fallberichte vor, in denen die Patienten nach einer Blutegeltherapie bis zu einem Jahr schmerzfrei waren und keine analgetische Medikation benötigten. Dennoch müssen die Kosten für eine Behandlung in der Regel selbst getragen werden. Zwar sind Blutegel nicht verschreibungspflichtig, die Anwendung sollte jedoch nicht durch medizinische Laien erfolgen.
Ablauf der Behandlung
Patienten, die sich einer Blutegeltherapie unterziehen möchten, sollten die entsprechende Stelle etwa drei Tage vor der Behandlung nur noch mit Wasser waschen. Seife oder Parfüms können bewirken, dass die Egel nicht beißen. Auch bei Gewitter, grellem Licht oder starker Unruhe der zu behandelnden Person kann es vorkommen, dass die Tiere nicht beißen. Kurz bevor es losgeht, werden die Blutegel mit frischem Wasser abgespült, um eine Kontamination mit Erregern zu verhindern. Dann werden sie auf die zu behandelnde Stelle gesetzt. Damit sie nicht abwandern, wird ein kleines Glas über sie gestülpt, bis sie gebissen haben. Beim Biss werden betäubende Substanzen freigesetzt, sodass der Patient nur wenig davon merkt, viele vergleichen es mit einem Insektenstich oder einem leichten Brennen. Hat sich der Egel festgebissen, wird das Glas nicht mehr benötigt, denn der Blutegel bleibt, bis er gesättigt ist, an dieser Stelle und fällt dann von selber ab. Eine Behandlung dauert zwischen 30 und 180 Minuten. Meist werden zwei bis sechs Egel verwendet, die jeweils etwa zehn bis 20 Milliliter Blut und Lymphflüssigkeit saugen. Dabei gelangen Proteine aus dem Speichel in die Wunde, die für die positiven Effekte verantwortlich sind. Auch wenn sich die Blutegel länger als gewünscht ansaugen, sollten sie keinesfalls grob abgelöst werden. Denn das kann zur Folge haben, dass sich die Tiere in die Wunde erbrechen und so Keime übertragen werden oder dass Reste des Blutegelkiefers in der Wunde bleiben.
Nachblutung normal und erwünscht
Nach der Behandlung blutet die Wunde noch etwa zwölf Stunden nach. Das bewirkt das blutgerinnungshemmende Calin aus dem Speichel der Blutegel. Die Nachblutung ist erwünscht, da sie der Reinigung dient, deswegen sollte nur ein lockerer Verband angelegt werden. Durch die Nachblutung verliert der Patient nochmals etwa zehn bis 20 Milliliter Blut pro Egel, die Behandlung entspricht also einem kleinen Aderlass. Einen Tag nach der Behandlung kontrolliert der behandelnde Arzt die Bissstelle und wechselt den Verband. Nach etwa einer Woche wird die Wunde erneut kontrolliert.
Nebenwirkungen und Kontraindikationen
Die Behandlung mit Blutegeln ist im Allgemeinen gut verträglich, die häufigsten Nebenwirkungen sind leichte Hautreaktionen wie Rötungen, Blutergüsse und Schwellungen. Durch den Blutverlust kann es kurz nach der Behandlung zu Kreislaufproblemen kommen, den Patienten wird daher empfohlen, viel zu trinken und sich ausruhen. Manchmal tritt während der Wundheilung ein Juckreiz auf. Allerdings sollte nicht gekratzt und entstandene Krusten nicht entfernt werden, damit sich die Wunde nicht entzündet. Meistens heilt die Wunde nach einigen Tagen vollständig ab, nur selten bleibt eine kleine Narbe zurück.
Nicht geeignet sind Blutegel bei Patienten mit schwerwiegenden Störungen der Blutgerinnung, zum Beispiel bei Hämophilie (Blutern), bei Anämie oder wenn in wenigen Tagen eine (Zahn-)OP ansteht. Relative Kontraindikationen sind Immunschwäche, Störungen der Wundheilung oder Schäden des zu behandelnden Gewebes zum Beispiel nach einer schweren Verletzung. Sollen die Blutegel beispielsweise zur Förderung der Durchblutung nach einer schweren Verletzung eingesetzt werden, kann der Patient prophylaktisch Antibiotika gegen eine mögliche Wundinfektion erhalten. Bei Patienten, die Antikoagulanzien wie Marcumar oder andere Hemmer der Blutgerinnung einnehmen, kann die Blutungszeit verlängert sein. Sie sollten verstärkt überwacht werden und nach Rücksprache mit dem Arzt das Arzneimittel ein paar Tage vor und nach der Behandlung pausieren. Selten reagieren Patienten allergisch auf Inhaltsstoffe im Speichel, dann ist eine erneute Behandlung kontraindiziert.
In der Apotheke
Auch wenn Blutegel nach dem Arzneimittelgesetz als Fertigarzneimittel definiert sind, kann man sie nicht wie eine Schachtel Tabletten behandeln. Bestellen kann man sie beim Großhandel oder beim Hersteller. Man unterscheidet zwischen Zuchtegeln, die von deutschen Herstellern gezüchtet werden, und Importegeln, die als Jungtiere meist aus der Türkei importiert werden. In der Apotheke sollten sie dunkel an einem ruhigen Ort und bei Raumtemperatur gelagert werden, nur im Sommer ist die Lagerung im Kühlschrank bei Temperaturen von mindestens fünf Grad Celsius besser. Werden sie kurz nach der Lieferung abgeholt, können sie in dem Vorratsbehälter bleiben (Herstellerangaben beachten). Werden die Egel für einen längeren Zeitraum in der Apotheke gelagert, sollte man sie in einem durchsichtigen Behälter, zum Beispiel einem Einmachglas, aufbewahren. Pro Egel sollten etwa 50 ml Wasser zur Verfügung stehen, das Gefäß darf wegen des Gasaustauschs nur zu zwei Dritteln gefüllt sein und sollte Löcher im Deckel haben. Das Wasser muss etwa alle zwei Tage gewechselt werden, dafür eignet sich kalkarmes Leitungswasser oder kohlensäurefreies Mineralwasser. Füttern muss man die Blutegel nicht.
Wie erkläre ich es meinem Kunden?
- „Vor der Behandlung sollten Sie die Stelle drei Tage nur mit Wasser waschen. Seife oder Parfüm hält die Blutegel vom Beißen ab.”
- „Den Biss des Blutegels merkt man kaum.”
- „Nach der Behandlung kann die Wunde mehrere Stunden nachbluten. Ruhen Sie sich aus und trinken Sie viel.”
Dokumentation
Apotheken, die Blutegel beziehen, brauchen das nicht zu dokumentieren, denn Blutegel gelten nicht als Blutprodukte und fallen nicht unter das Transfusionsgesetz. Vorgeschrieben ist die Chargendokumentation für den Hersteller und den Anwender, wobei alle Blutegel, die in demselben Teich oder Behälter gelagert wurden, als Charge gelten. Außerdem muss der Hersteller die Charge des Schweineblutes, das er zur Fütterung verwendet hat, dokumentieren und nachweisen, dass zwischen der letzten Fütterung und dem Einsatz beim Patienten mindestens 32 Wochen liegen. Importegel dürfen erst nach einer Quarantäne von mindestens 32 Wochen eingesetzt werden. Nach diesem Zeitraum gilt die Blutmahlzeit als vollständig ausgeschieden und die Übertragung von Infektionskrankheiten, einschließlich bislang unbekannter, kann ausgeschlossen werden.
Nach dem Einsatz an einem Patienten dürfen die Blutegel nicht erneut verwendet werden, auch nicht bei derselben Person, um eine Verwechslung auszuschließen. Das Aussetzen von Blutegeln in der freien Natur ist nicht erlaubt. Verwendete Blutegel müssen entweder mit hochprozentigem Alkohol oder durch Einfrieren getötet werden. Alternativ können sie nach Rücksprache an die Biebertaler Blutegelzucht gesandt werden, wo sie zunächst für mehrere Monate in Quarantäne gehalten werden. Nach dem Ablauf verbringen sie den Rest ihres Lebens in einem sogenannten Rentnerteich.
Natürliches Vorkommen
In der freien Wildbahn leben Blutegel in schlammigen, stark verkrauteten, nicht fließenden Gewässern. In Deutschland sind sie wegen des massiven Einsatzes vor allem im 19. Jahrhundert nahezu ausgestorben und stehen unter Naturschutz. Medizinische Blutegel (Hirudo medicinalis) werden bis zu 15 cm lang, sind grünlich bis bräunlich gefärbt und haben am Rücken sechs rötliche Streifen. Jungtiere ernähren sich von Fischen und Fröschen, erwachsene Egel von Säugetierblut. Mithilfe ihrer Tastorgane nehmen sie wahr, ob Beute in der Nähe ist, denn sie können die Bewegungen des Wassers spüren und orten. Sie schwimmen mit schlängelnden Bewegungen dorthin und saugen sich mit ihren Saugnäpfen fest. Da sie drei Kiefer haben, können sie auch widerstandsfähige Rinderhaut mühelos durchdringen. Bei einer Mahlzeit können sie das Drei- bis Fünffache ihres Eigengewichts an Blut aufnehmen, denn sie dicken es während des Saugens an und scheiden Wasser aus. Wenn sie gesättigt sind, fallen sie ab. Anschließend brauchen sie bis zu einem Jahr keine Nahrung mehr, da das Blut nur sehr langsam abgebaut wird. In freier Wildbahn werden Blutegel 20 bis 30 Jahre alt.
Das Wichtigste in Kürze
- Bei einer Behandlung mit Blutegeln gelangen Substanzen aus dem Speichel der Egel in den menschlichen Körper, die unter anderem entzündungshemmend, entstauend und thrombolytisch wirken.
- Eingesetzt werden sie zum Beispiel bei Arthrose und bei Durchblutungsstörungen nach schweren Verletzungen.
- In der Apotheke ist keine Dokumentation der Chargen erforderlich.