Aktuelles
7 min merken gemerkt Artikel drucken

Lippenpflege besser mit Naturkosmetik?: Ökotest checkt Lippenpflegestifte

Ökotest hat zahlreiche Lippenpflegeprodukte aus der Apotheke, Drogerie und dem Supermarkt bewertet. | Bild: zphoto83 / AdoebStock

Neunmal „sehr gut“ urteilt Ökotest bei Naturkosmetik-Lippenpflege, nur ein Stift von dm schneidet mit Note drei ab. Grund für das überwiegend sehr gute Ergebnis bei zertifizierter Naturkosmetik ist, dass diese auf mineralölbasierte Fette und Wachse verzichtet. 

Wer Ökotest kennt, weiß, dass MOSH (Mineral Oil Saturated Hydrocarbons, gesättigte Kohlenwasserstoffe) und MOAH (Mineral Oil Aromatic Hydrocarbons, aromatische Kohlenwasserstoffe) stets für Unmut bei dem Verbrauchermagazin sorgen. Der Grund: MOSH reicherten sich im Körper an, MOAH könnten auch krebserregend sein. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erwartet „nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand“ keine gesundheitliche Risiken für Verbraucher:innen bei Anwendung kosmetischer Mittel mit MOSH und MOAH auf der Haut. Es seien bislang keine Auswirkungen auf die Gesundheit durch Mineralölkomponenten in Kosmetika berichtet worden. 

Allerdings ist das BfR bei Lippenpflege vorsichtiger, da hier neben der dermalen auch die orale Aufnahme eine Rolle spielt. Aus diesem Grund sollten nur Lippenpflegestifte verwendet werden, für deren Mineralölbestandteile die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gemeinsam mit Weltgesundheitsorganisation (WHO) maximale Werte für eine akzeptable tägliche Aufnahmemenge (Acceptable Daily Intake, ADI) definiert hat, findet das BfR – oder eben gleich Lippenpflege ohne Mineralölbestandteile (Näheres dazu am Ende des Artikels in: „Was sagt das BfR zu MOAH?“). In der Tat soll – wer regelmäßig Lippenpflege nutzt – jährlich etwa 20 g Lippenpflege verschlucken können, meint Ökotest. Das sind vier ganze Pflegestifte.

Favorit von Ökotest: Dr. Hauschka Lippengold

Frei von MOSH und MOAH erhalten somit unter anderem Dr. Hauschka Lippengold, Weleda Everon Lippenpflege und Alterra Lippenpflege von Rossmann die Bestnote (vollständige Testergebnisse gibt es bei Ökotest), wobei Dr. Hauschka der einzige Stift ist, bei dem Ökotest keine zusätzlichen Mängel findet. Denn: Hersteller Wala verzichtet als einziger darauf, den Stift in einen Umkarton aus Pappe zu stecken – unnötig, da die Lippenstifte ja nicht aus Glas seien, findet Ökotest. Dass es für Alverde von dm nur zu einem „befriedigend“ reicht, liegt an dem enthaltenen Duftstoff Isoeugenol, der laut Ökotest „ein besonders potentes Allergen“ ist. Der Informationsverbund Dermatologischer Kliniken (IVDK) beschreibt Isoeugenol als „problematischen Duftstoff“.

Estrogenartige Inhaltsstoffe in Bebe, Blistex und Neutrogena

Von den „konventionellen“ Lippenpflegeprodukten – keine zertifizierte Naturkosmetik – schaffen gerade einmal drei von elf Pflegestiften ein „sehr gut“, auch sie sind frei von Mineralölen. Mit dabei die kugelförmige Lippenpflege Eos Moisture Lip Balm Hit Happy Herb. Auch wenn andere Hersteller, wie Beiersdorf mit Labello oder Delta Pronatura mit Blistex, keine Mineralölbestandteile einsetzen, erhält Labello Original Lippenpflege nur „gut“, Blistex sogar nur „mangelhaft“. Warum? Ökotest prüfte neben Mineralölen auch auf hormonell wirksame Bestandteile und wurde hier bei Labello und Blistex (und Neutrogena) fündig: Ethylhexylmethoxycinnamat steht als chemischer UV-Filter im Verdacht, hormonartig zu wirken, zumindest zeigte sich in Tierversuchen eine estrogenartige Wirkung, und Blistex setzt auf Ethylhexylmethoxycinnamat. Labello enthält hingegen Butylhydroxytoluol (BHT), was antioxidativ wirkt und die Inhaltsstoffe vor einer unerwünschten Oxidation schützen soll.

BfR: Butylhydroxytoluol allenfalls schwach estrogenartig

Das BfR hat sich BHT ebenfalls angeschaut (Stellungnahme vom Februar 2011), die Daten sind widersprüchlich, in manchen Untersuchungen wurden „keine estrogenartigen Effekte beobachtet“, andere Arbeiten gäben „begrenzte Hinweise auf eine endokrine Wirkung“, so wurden mit relativ hohen BHT-Konzentrationen (50 und 100 µmol/L) in embryonalen Nierenfibroblasten geringfügige östrogenartige Effekte nachgewiesen. „Insgesamt kann aus den Daten gefolgert werden, dass BHT keine oder allenfalls sehr schwache östrogenartige Wirkungen entfaltet“, sagt das BfR dazu.

„Ungenügend“ für Neutrogena

Neutrogena will auf beides nicht verzichten, Ethylhexylmethoxycinnamat und BHT – auch auf MOAH nicht. Deswegen urteilt Ökotest mit „ungenügend“. Nur eine Note besser schneidet das Johnson & Johnson-„Geschwisterchen“ Bebe Classic ab. Neben MOAH und Paraffinen fand Ökotest in Bebe noch Kunststoffverbindungen: „ Was diese Stoffe im Körper auslösen können, ist noch nicht klar“, bedenkt Ökotest. Ungeachtet dessen sei Plastik ein Umweltproblem, da sich Kunststoffverbindungen nur schwer abbauten.

Vorsicht vor „synthetischem Bienenwachs“

Ökotest gibt noch einen Hinweis: So darf man sich von „synthetischem Bienenwachs“ nicht in die Irre führen lassen und dieses als Naturprodukt verorten, denn „Synthetic Beeswax“ stamme nicht von Bienen, sondern stelle ein „komplexes Gemisch“ dar, das eben auch MOSH und MOAH enthalten könne. Gefunden wurden MOAH in den mit synthetischem Bienenwachs deklarierten Produkten von Müller Drogeriemarkt (Aveo) und Rewe/Penny (Today).

Aktuelle Testergebnisse bestätigen dien Ökotest-Check von 2018

Bereits 2018 prüfte Ökotest Lippenpflegestifte auf allergieauslösende Duftstoffe, Verunreinigungen mit Mineralöl, Plastik und hormonell wirksame Lichtschutzfilter. PTAheute berichtete in „Ökotest: Welche Lippenpflegeprodukte sind frei von Mineralöl?“ darüber. Zwar ist das nun getestete Portfolio in Teilen anders – 2018 wurden auch die Lippenpflegeprodukte von La Roche Posay und Avène geprüft –, doch lag auch damals Dr. Hauschka an erster Stelle und Johnson & Johnson mit Neutrogena auf den letzten Plätzen. Offensichtlich hat Johnson & Johnson bislang keinen Anlass gesehen, auf Paraffine, MOAH, Ethylhexylmethoxycinnamat und BHT zu verzichten.

Was sagt das BfR zu MOAH?

Das BfR äußerte sich letztmals 2018 zu Mineralölen in Kosmetika. Der Begriff Mineralöl wird häufig gleichbedeutend mit Erdöl verwendet, im engeren Sinne entstehen Mineralöle erst durch Destillation von Erdöl. Die BfR-Risikobewertung von 2018 berücksichtigt nur Mineralöle, die hinsichtlich ihrer Qualität den Reinheitsanforderungen an Arzneimittel und an zugelassene Mineralöl-Lebensmittelzusatzstoffe entsprechen. Das Bundesinstitut unterscheidet gesättigte Kohlenwasserstoffe (kurz MOSH) und aromatische Kohlenwasserstoffe (kurz MOAH). Das BfR schreibt: „MOAH könnten potentiell krebserregende Substanzen wie polyzyklische aromatische Verbindungen enthalten.“

Laut EU-Kosmetikverordnung sind Mineralöle in kosmetischen Mitteln nur erlaubt, wenn der Ausgangsstoff nicht krebserregend ist und auch der Raffinationsprozess vollständig bekannt ist. Durch das technische Verfahren der Raffination werden Rohstoffe – wie Erdöl – gereinigt und unerwünschte Schwefel-, Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen sowie Alkene entfernt, um die Qualität des Öls zu verbessern. Die EU-Kosmetikverordnung sieht zudem vor, dass das Destillat mit bestimmten Methoden (IP346) geprüft wurde. IP346 ist eine „Eingangsprüfung“ zur prinzipiellen Eignung der Mineralöle für kosmetische Mittel, die Mineralöle werden anschließend noch weiteren Aufreinigungsschritten unterzogen. Ziel ist, dass keine gesundheitlich bedenklichen Mineralöle in der Kosmetik landen.

BfR sieht keine gesundheitlichen Risiken
Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat die Aufnahme über die Haut von MOSH und MOAH aus Mineralölen in Kosmetika gesundheitlich bewertet. Dem BfR zufolge werden in kosmetischen Produkten zur dermalen Anwendung Mineralöle und mikrokristalline Wachse eingesetzt, die hochraffiniert sind und den Reinheitsanforderungen für Arzneimittel entsprechen. Eine technologische Aufreinigung reduziere die MOAH-Gehalte in diesen Mineralölen, MOSH würden durch die Haut kaum aufgenommen und gelangten daher bei dermaler Anwendung mineralölhaltiger kosmetischer Mittel nicht in den Körper, so das BfR. Sein Fazit: „Nach aktuellem wissenschaftlichem Kenntnisstand sind aus Sicht des BfR gesundheitliche Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher bei Anwendung kosmetischer Mittel auf der Haut nicht zu erwarten.“ Es seien bislang keine Auswirkungen auf die Gesundheit durch Mineralölkomponenten in Kosmetika berichtet worden. Und das, obwohl diese „langjährig und oft täglich“ angewendet würden.

Vorsicht bei Lippenpflege mit Mineralöl
Ein bisschen kritischer ist das BfR, wenn es um Lippenpflegeprodukte mit Mineralöl geht – hier kann neben der dermalen Aufnahme auch die orale eine Rolle spielen. Niedrigviskose Mineralöle würden vom Körper leicht aufgenommen, weswegen sie bei Lippenpflegeprodukten zum Einsatz kommen. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat bestimmte hochaufgereinigte Mineralöle (mittel- und hochviskos) für deren Verwendungen in Lebensmitteln – und dazu zählen Kosmetika – gesundheitlich bewertet und zugelassen. Sie hat gemeinsam mit dem gemeinsamen FAO/WHO-Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe (JECFA) maximale Werte für eine akzeptable tägliche Aufnahmemenge (ADI-Werte) bestimmt. Der Europäische Verband der Kosmetikhersteller Cosmetics Europe rät Herstellern von Lippenpflegeprodukten, sodann nur solche Mineralölfraktionen einzusetzen, für die ADI-Werte abgeleitet sind. Insgesamt sei die über Lippenpflegeprodukte oral aufgenommene Dosis an Mineralölen weniger als 10 Prozent der insgesamten ADI-Auslastung des Menschen. Bei Einhaltung der Empfehlung von Cosmetics Europe erwartet das BfR keine gesundheitlichen Effekte durch die orale Aufnahme von Mineralöl.