Das neue Insulin lispro Lyumjev: Gibt es zu schnelle Insuline?
Es ist noch brandneu: Seit September vermarktet Hersteller Lilly sein neues Insulin lispro Lyumjev®. Zugelassen ist es für erwachsene Typ-1- und Typ-2-Diabetiker. Lyumjev® ist eine Weiterentwicklung von Humalog®. Beide enthalten zwar Insulin lispro, doch wurden Insulin lispro Lyumjev® zwei „neue“ Hilfsstoffe zugesetzt: Citrat und Treprostinil. Sie erhöhen die Permeabilität (Durchlässigkeit) der Gefäße und erweitern sie am Ort der Injektion (subcutan). Dadurch wird das unter die Haut gespritzte Insulin rascher aufgenommen und wirkt besonders schnell.
Insulin lispro
Insulin lispro hat eine rasche und kurze Wirkdauer. Die im Vergleich zu Humaninsulin schnellere Wirkung wird dadurch erreicht, dass die zwei Aminosäuren Lysin (Lys) und Prolin (Pro) an Position 28 und 29 der B-Kette miteinander ausgetauscht sind, woher auch der Name LisPro rührt.
Blutzuckerspiegel nach dem Essen sinken schneller und stärker
Wie schnell Insulin lispro Lyumjev® wirkt, hat Lilly in mehreren Untersuchungen gezeigt. In einer im Mai 2020 im Fachjournal „Diabetes, Obesity and Metabolism“ veröffentlichten kleinen Cross-over-Studie an 68 Typ-1-Diabetikern wurden die vier Insuline Fiasp® (Insulin aspart plus Nicotinamid als Resorptionsverstärker), Humalog® (Insulin lispro), NovoRapid® (Insulin aspart) und Insulin lispro Lyumjev® (Insulin lispro plus Citrat und Treprostinil als Resorptionsverstärker) verglichen. Insulin lispro Lyumjev® wurde vom Körper signifikant schneller aufgenommen als die anderen getesteten Insuline: 13 Minuten nach Injektion erreichte Lyumjev® die halbmaximale Arzneimittelkonzentration – Lyumjev® war 6 Minuten schneller als Fiasp®, 13 Minuten schneller als Humalog® und 14 Minuten schneller als Novorapid®. Auch senkte Insulin lispro Lyumjev® die Glucosespiegel nach der Mahlzeit stärker als die anderen Insuline. Die Blutzuckerspiegel lagen zwei Stunden nach dem Essen 7 mg/dl unter dem von Fiasp®, 21 mg/dl unter dem von mit Humalog® behandelten Typ-1-Diabetikern und 29 mg/dl unter dem von NovoRapid®. Am ähnlichsten war noch Fiasp®, auch das ein „ultraschnelles“ Insulin, das jedoch als Resorptionsverstärker nicht auf Citrat und Treprostinil setzt, sondern auf Nicotinamid (Vitamin B3).
Steigt die Hypoglykämiegefahr?
Doch kann es nicht auch zu schnell gehen? Könnte durch eine zu rasche Insulinwirkung nicht die Gefahr für Hypoglykämien steigen – schließlich benötigen die mit der Nahrung aufgenommenen Kohlenhydrate auch eine gewisse Zeit, bis sie gespalten und aus dem Magen-Darm-Trakt aufgenommen sind? Das scheint nicht der Fall zu sein. In einer weiteren größeren Studie an 1.222 erwachsenen Typ-1-Diabetikern (PRONTO-T1D) zeigten sich hinsichtlich der Hypoglykämierate innerhalb der ersten vier Stunden nach einer Mahlzeit keine signifikanten Unterschiede zwischen Humalog® und Insulin lispro Lyumjev®. Nach vier Stunden ergaben sich sogar Vorteile: Die Hypoglykämierate war bei Lyumjev® um 37 Prozent geringer als bei Humalog®. Zusätzlich lagen Diabetiker mit Lyumjev 44 Minuten länger im angestrebten Zielbereich ihrer Blutglucose.
Warum geht „zu schnell“ nicht bei subcutaner Insulininjektion?
Lilly wirbt für sein neues Insulin, dass Lyumjev® „der physiologischen Insulinwirkung stoffwechselgesunder Menschen noch näher“ komme. Denn das Problem aller subcutan applizierten Insuline im Vergleich zur körpereigenen Insulinfreisetzung aus der Bauchspeicheldrüse ist: Bei Gesunden wird das Insulin nach einer Mahlzeit vor allem in die Pfortader freigesetzt, die es direkt der Leber zuführt. Das Insulin flutet dadurch in der Leber besonders rasch an. Subcutanes Insulin wird eigentlich an den „falschen Ort“ gespritzt. Es dauert länger, bis das Insulin die Leber erreicht, da es zunächst aus dem Depot unter der Haut aufgenommen und abtransportiert werden muss.
Glucoseabweichung mit der von Gesunden vergleichbar
Nach wie vor sind Blutzuckerspitzen nach dem Essen (postprandiale Hyperglykämien) eine Herausforderung in der Behandlung des Diabetes mellitus. Sie gelten als Risikofaktor für spätere Folgeerkrankungen, beispielsweise der Augen (Retinopathie) oder Nieren (Nephropathie). Ziel einer guten Insulintherapie ist, diese Glucoseabweichungen im Rahmen von Gesunden zu halten. Lilly gibt sich hier selbstbewusst: „Mit Lyumjev® steht nun ein solches Insulin zur Verfügung“, teilt der Hersteller mit. In der Tat kamen auch die Wissenschaftler der von Lilly finanzierten kleinen Vergleichsstudie (s. o.) zu dem Schluss, dass unter Insulin lispro Lyumjev® die Glucoseabweichungen in den ersten drei Stunden nach der Mahlzeit mit derjenigen bei gesunden Teilnehmern vergleichbar waren.
Für wen eignet sich das neue Insulin?
PTAheute hat mit Professor Baptist Gallwitz, stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik IV an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und früherer Präsident der DDG (Deutsche Diabetes Gesellschaft), gesprochen. Für welche Diabetiker könnte sich das neue Insulin eignen? Sollte man Diabetiker umstellen, damit sie von den Vorzügen von Insulin lispro Lyumjev® profitieren können? Vorteile sieht Gallwitz vor allem für Diabetiker mit kontinuierlicher Gewebsglucosemessung und Insulinpumpe. „Wünschenswert wäre zudem, dass Anwendungsdaten irgendwann zeigen, dass es unter dem neuen, schnellen Insulin zu weniger Blutglucoseschwankungen kommt, die sich sodann positiv auf Retinopathien oder Nephropathien auswirken.“ Diese Daten fehlen bislang, da sich Effekte auf Langzeitfolgen wie Retinopathien oder Nephropathien erst in Jahren zeigen werden. Zu einer Insulinumstellung erklärt Gallwitz: „Ich stelle keinen Patienten um, der gut eingestellt ist und mit seiner aktuellen Insulintherapie zufrieden ist. Never change a winning team.“ Wenn es jedoch Situationen gebe, in denen der Diabetiker mit seiner augenblicklichen Therapie nicht zufrieden sei, könne man alternativ Insulin Lyumjev® versuchen.
Nachteilig bei fetthaltiger Ernährung?
Welche Nachteile könnte eine Insulintherapie mit besonders schnell wirksamen Insulinen wie Insulin lispro Lyumjev mit sich bringen? Gallwitz erklärt hierzu: „Wenn Patienten Mahlzeiten bevorzugen, die zu einer langsameren Glucoseaufnahme führen, wie mit einem hohen Fettanteil, ist ein solches Insulin nicht unbedingt vorteilhaft.“
Gut geschulte Patienten
„Sicher löst dieses neue Insulin nicht alle Probleme für alle Diabetiker. Doch es ist immer gut, wenn wir weitere Therapiemöglichkeiten bekommen, und diese dann für geeignete Patienten nutzen können, wie gut geschulte Patienten“, so Gallwitz abschließend.