Giftnotruf: Mehr Anrufe wegen Desinfektionsmitteln
Eine steigende Zahl von Notrufen und Anfragen geht derzeit bei den Mitarbeitern der landesweit tätigen Vergiftungs-Informations-Zentrale Baden-Württemberg in Freiburg ein. Mit der Corona-Krise hätten sich die Themenschwerpunkte verändert, sagte die Leiterin der Einrichtung, Maren Hermanns-Clausen. Es gehe beim Giftnotruf nun häufiger als sonst um Desinfektionsmittel, Seifen, Geschirr- und Glasreiniger und ähnliche Substanzen. Am häufigsten seien – wie immer – Kinder betroffen. Haushaltsprodukte wie Reiniger oder Desinfektionsmittel würden von diesen getrunken oder gelangten in die Augen. Kleinkinder probierten in häuslicher Umgebung auch Arzneimittel und Pflanzenteile.
Gefahren vermeiden: Richtiger Umgang mit Desinfektionsmitteln
Folgende Hinweise sollten Sie Ihren Kunden bei der Abgabe von Händedesinfektionsmitteln mit auf den Weg geben:
- Desinfektionsmittel gehören – wie Medikamente – in einen abschließbaren Hausapotheken-Schrank, um diese für Kinder unerreichbar aufzubewahren
- Da gerade Händedesinfektionsmittel in der Handtasche aufbewahrt werden, sollten auch diese kindersicher aufbewahrt werden.
- Augenkontakt sollte in jedem Fall vermieden werden.
- Da die Händedesinfektionsmittel Alkohol enthalten, sind sie leicht entflammbar und müssen vor Zündquellen ferngehalten werden.
- Den Vorrat an giftigen Substanzen wie Hände- und Flächendesinfektionsmitteln möglichst gering halten und nur wirklich Nötiges kaufen.
- Erste-Hilfe-Kurs für Kinder besuchen.
- Rufnummern von der Rettungsleitstelle und dem Giftnotruf am Telefon bereithalten.
Gestiegene Nachfrage
Die an der Uniklinik Freiburg angesiedelte Einrichtung ist für ganz Baden-Württemberg zuständig. Sie betreibt rund um die Uhr einen Giftnotruf. Seit Jahresbeginn wurden 1.400 Anrufe mehr als im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres verzeichnet, sagte Hermanns-Clausen. Die Corona-Krise sei nicht alleiniger Auslöser. Sie habe zur steigenden Zahl der Anrufe aber wesentlich beigetragen, vor allem durch eine Zunahme von Giftunfällen in privaten Haushalten. Die Zahl der Anrufe wegen Suizidversuchen und Drogenmissbrauch sei dagegen annähernd gleich geblieben.
40 Prozent mehr Anrufe wegen Desinfektionsmitteln
„Wir spüren, dass die Menschen daheim bleiben und dass nun Mittel in den Haushalten sind, die es früher in dieser Menge dort nicht gab“, sagte die Medizinerin. Die Gefahr, dass Giftiges nicht korrekt verwendet werde oder in die Hände von Kindern gelange, sei so gestiegen: „Meist geht es um Kinder zwischen sechs Monaten und vier Jahren, die Mittel eingenommen haben und so möglicherweise zum Notfall werden.“ In der Regel riefen die besorgten Eltern an. Anrufe wegen Desinfektionsmitteln seien in den vergangenen Wochen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund 40 Prozent gestiegen, im April habe sich die Zahl sogar verdoppelt.
Erste Hilfe bei Vergiftungsunfällen
Die Vergiftungs-Informations-Zentrale berät Bürger, aber auch medizinisches Personal vor allem aus Krankenhäusern und von Rettungsdiensten. Der Anteil der Bürger, die wegen Vergiftungsfällen anrufen, habe sich in der Corona-Krise deutlich erhöht, sagte die Leiterin. Zudem riefen diese nun häufiger in den Abend- und Nachtstunden an. Im vergangenen Jahr zählte der Giftnotruf den Angaben zufolge 28.500 Anrufe, zwei Drittel der Anrufer waren Laien. Nur in zwei Prozent der Fälle 2019 ging es um Desinfektionsmittel. „Wer bei uns anruft, sollte die Packung des Mittels zur Hand nehmen“, sagte Hermanns-Clausen. Die Experten müssten genau wissen, um welches Produkt es sich handele. So könnten sie die Gefahr besser einschätzen und im Notfall schnell helfen.
Diese Informationen werden benötigt
Wenn man den Giftnotruf anruft, sollten möglichst genau Angaben zu folgenden Fragen gemacht werden können:
Wer? | Kind oder Erwachsener? Alter, Geschlecht, ungefähres Körpergewicht sind hilfreiche Informationen für die Einschätzung der Situation. |
Was? | Möglichst genaue Angabe, was eingenommen wurde: Arzneimittel, Haushaltsprodukt, Chemikalie, Pflanze, Pilze, Tier, Lebensmittel, Drogen – möglichst genaue Bezeichnung von der Verpackung angeben. |
Wann? | Zeitpunkt der Einnahme oder Einwirkung und Dauer der Einwirkung angeben. |
Wie? | Angaben, auf welchem Weg Ihr Kind die giftige Substanz aufgenommen hat – geschluckt, eingeatmet oder über die Haut. |
Wie viel? | Möglichst genaue Mengenangabe, zum Beispiel Anzahl der Tabletten, Tropfen, Pflanzenteile, Flaschengröße und fehlende Menge und Ähnliches. |
Nach Möglichkeit sollte auch möglichst genau angegeben werden können,
- wie es dem Kind geht, zum Beispiel Atmung, Kreislauf, Bewusstseinslage, sonstige Symptome,
- wo sich der Unfall ereignet hat und unter welcher Nummer der Anrufer zu erreichen ist,
- ob und welche Maßnahmen bereits unternommen wurden.
Auch Senioren betroffen
Bundesweit gibt es acht solcher Vergiftungsinformationszentralen. Arzneimittel und Haushaltsprodukte bilden nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit den Hauptanteil der Anfragen. Von Unfällen mit diesen Mitteln sind neben Kindern auch Ältere betroffen.