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„Ella ist ein besonderes Kind“ – Leben mit dem Phelan-McDermid-Syndrom

Ella hat das Phelan-McDermid-Syndrom. | Bild: privat

Seltene Erkrankungen bedeuten für betroffene Kinder und ihre Familien nicht nur erhebliche Einschränkungen im Alltag, sondern oftmals auch eine quälende Zeit der Ungewissheit: „Was stimmt mit meinem Kind nicht?“ Auch Ärzten fehlen regelmäßig die Antworten auf diese Fragen, weil sie die dahinterliegende Krankheit nicht kennen oder das Krankheitsbild noch nie gesehen haben. Das Phelan-McDermid-Syndrom (PMS) gehört zu diesen seltenen Erkrankungen.

Ella ist das erste Kind von Anne Theiss-Berlinger. Die Schwangerschaft verlief unkompliziert. Erst als die Kleine etwa ein Jahr alt war, bemerkte sie Unterschiede zu Gleichaltrigen, was das Sprechen und die Mobilität angeht. Dass ein Kind mal früher, mal später anfängt zu laufen und zu sprechen, ist nicht ungewöhnlich. Trotzdem ließen die Eltern Ella untersuchen. Nach einem Jahr bei verschiedenen Ärzten und Spezialisten wurde dann bei der heute Fünfjährigen das Phelan-McDermid-Syndrom (PMD) festgestellt.

Was ist das Phelan-McDermid-Syndrom?

Das Phelan-McDermid-Syndrom (PMD) ist ein seltener genetischer Defekt. Weltweit sind ca. 3.000 Fälle bekannt. Den Betroffenen fehlt ein Segment am Ende des langen Armes des Chromosoms 22. Es wird angenommen, dass das Fehlen dieses Teils die neurologischen Probleme bei den Betroffenen verursacht. Sie weisen unterschiedliche Merkmale auf, von Muskelschwäche über eine verzögerte motorische Entwicklung (verspätetes Aufsetzen, Krabbeln und Gehen), verzögerte Sprachentwicklung bis hin zu autistischen Verhaltensweisen.

Festgestellt wird PMD durch eine Blutanalyse. Behandeln lässt sich der genetische Defekt nicht. Allerdings gibt es Fördermöglichkeiten wie unterstützte Kommunikation, Physiotherapie, Ergotherapie oder Therapien mit Tieren. Erst 1985 wurde dieser Gendefekt bei einem Patienten mit geistiger Behinderung entdeckt.

2014 wurde eine Spezialklinik in Ulm gegründet. Dort wurde ein Konzept zur Therapie des Syndroms ausgearbeitet. Bis heute ist die Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Ulm die einzige Spezialklinik im deutschsprachigen Raum für das Syndrom. Ergänzend wurde der gemeinnützige Verein Phelan-McDermid-Gesellschaft e.V. gegründet, um die Eltern betroffener Kinder zu unterstützen und Ärzte sowie die Öffentlichkeit über das Syndrom aufzuklären. Mittlerweile hat der Verein über 100 Mitglieder. Eltern mit einer Neudiagnose können sich nun schnell und umfassend zur Krankheit informieren, zum Beispiel über die Webseite. Auch ein deutschsprachiger Wikipedia-Artikel mit Hintergründen ist mittlerweile verfügbar.

Zur Erinnerung: Der menschliche Chromosomensatz

Jeder Mensch hat insgesamt 46 Chromosomen: Jeweils zwei Exemplare von Chromosom 1, von Chromosom 2 und so weiter bis Chromosom 22 (44 Autosomen) sowie zwei Geschlechtschromosomen (2 Gonosomen), nämlich zwei X-Chromosomen bei Frauen oder ein X- und ein Y-Chromosom bei Männern.

„Ella soll so selbstständig wie möglich leben können – darauf arbeiten wir hin!“

Ella, so berichtet die Mutter, lache viel, sei sehr kommunikativ und gehe auch auf andere zu. Vielen Menschen würde im ersten Moment gar nicht auffallen, dass Ella nicht bzw. nur äußerst wenig spricht. Irgendwann 2019 waren dann sogar erste Worte gekommen – vielleicht das Ergebnis einer Delfintherapie, die die Familie mit Ella gemacht hat. Die Mutter berichtet, dass Ella seit der Therapie noch viel wacher, lebendiger und lernbereiter sei. Die Familie will die Delfintherapie deshalb – sobald die Corona-Pandemie das ermöglicht – unbedingt wiederholen. Neben der Delfintherapie erhält Ella regelmäßig Reittherapie und wird sprachlich und motorisch gefördert. „Wir glauben, dass Ella ein selbstständiges Leben führen kann, darauf arbeiten wir hin“, sagt Anne Theiss-Berlinger. „Zwar werde sie immer gewisse Einschränkungen haben. Wie positiv sie damit umgehen werde, hänge auch mit ihrem Umfeld zusammen und deshalb sei es so wichtig, über seltene Erkrankungen und besondere Menschen zu berichten.