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Warum PTA bei Loperamid einen Blick in die Fachinfo werfen sollten

Bild: princeoflove / Adobe Stock

Zu Arzneimitteln mit dem Wirkstoff „Loperamid“ und der Wirkstoffkombination „Loperamid/Simeticon“ ist ein europäisches, die periodischen Sicherheitsberichte bewertendes Verfahren durchgeführt worden. Der Pharmakovigilanzausschuss PRAC der EMA (European Medicines Agency) ist dabei auf Grundlage einer Überprüfung der Literatur und spontaner Meldungen zu dem Schluss gelangt, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der Verlängerung des QRS-Komplexes und Loperamid nicht ausgeschlossen werden kann. Diese Erkenntnis soll nun in die Abschnitte 4.4 und 4.9 der Fachinformationen aufgenommen werden. Die Koordinierungs­gruppe der Behörden der Mitgliedstaaten (CMDh, Coordination group for Mutual recognition and Decentralised procedures – human) hat den wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des PRAC zugestimmt, sodass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Bescheid vom 2. April 2019 den einstimmigen Beschluss der Koordinierungsgruppe umsetzt. Wird die „Verlängerung des QRS-Komplexes“ nun wie folgt in die Produktinformationen eingefügt, gilt das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Loperamid-Präparate als unverändert:

  • In Verbindung mit Überdosierung wurde über kardiale Ereignisse, einschließlich QT-Verlängerung und Verlängerung des QRS-Komplexes und Torsade de pointes, berichtet. Einige Fälle verliefen tödlich (siehe Abschnitt 4.9). Patienten dürfen die empfohlene Dosis und/oder die empfohlene Behandlungsdauer nicht überschreiten.“ 
  • „Bei Personen mit Überdosierungen von Loperamid wurden kardiale Ereignisse, wie QT-Intervallverlängerung und Verlängerung des QRS-Komplexes, Torsades de pointes, sonstige schwere ventrikuläre Arrhythmien, Herzstillstand und Synkopen, beobachtet (siehe Abschnitt 4.4). Auch über Todesfälle wurde berichtet.“

QRS-Komplex

Die Zacken und Wellen eines EKG (Elektrokardiogramm) lassen sich in Verbindung zum Erregungsablauf im Herzen setzen: Die Spitze der größten Zacke (nach oben) heißt „R“ und wird durch die zwei kleinen Zacken „Q“ und „S“ (nach unten) begrenzt. Diese QRS-Gruppe entsteht durch die Erregungsausbreitung im Ventrikelmyokard. 

Die Q-Zacke entsteht, wenn das Kammerseptum von links unten nach rechts oben depolarisiert wird. Die R-Zacke tritt auf, wenn die Erregung auf die Herzspitze zuläuft. An die R-Zacke schließt sich die kleine S-Zacke an. Sie entsteht, weil ein kleiner Bezirk im linken Ventrikel noch nicht erregt ist. (Quelle: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen, 7. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart)

Die Änderung soll durch die Zulassungsinhaber bis 15. Mai 2019 eingereicht werden. In manchen Fachinformationen findet sich aber die Verlängerung des QRS-Komplexes bereits (zum Beispiel Loperamid 2 Heumann).

Bei Überdosierung: Nebenwirkungen an ZNS und Herz

In der Fachinformation liest man zudem, dass im Falle einer Überdosierung – auch aufgrund einer hepatischen Dysfunktion – Beeinträchtigungen des ZNS auftreten können, wie Somnolenz und Atemdepression. Beim Auftreten einer Überdosierung könne Naloxon versuchsweise als Antidot eingesetzt werden. In der Fachinformation zu Imodium® (in der die QRS-Verlängerung noch fehlt) ist zu lesen, dass aufgrund des First-pass-Metabolismus die systemische Bioverfügbarkeit von Loperamid nur 0,3 Prozent beträgt. Loperamid bindet an die Opioidrezeptoren in der Darmwand und mindert so die propulsive Peristaltik des Darms. Eigentlich soll es unter Loperamid selbst bei signifikanten Vielfachen (bis zu 47-fach) des therapeutisch relevanten Dosisbereichs keine signifikanten kardialen elektrophysiologischen Wirkungen gegeben haben (in nichtklinischen In-vitro- und In-vivo-Auswertungen). Jedoch soll Loperamid im Zusammenhang mit Überdosierungen mit extrem hohen Konzentrationen kardiale elektrophysiologische Wirkungen haben: Sie sollen in der Hemmung von Kalium- (hERG) und Natriumströmen sowie Arrhythmien bestehen. „Bei Personen mit Opioidabhängigkeit sind Missbrauch und Fehlanwendung von Loperamid als Opioidersatz beschrieben worden“, heißt es auch in der Fachinformation.

Während das BfArM im Jahr 2007 offenbar noch davon ausging, dass ein Loperamid-Missbrauch unwahrscheinlich ist, empfahl die AMK (Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker) 2016 den Apotheken, Patienten „auf die bestimmungsgemäße Anwendung und Dosierung von Loperamid bei Durchfall hinzuweisen, um Risiken durch (un)beabsichtigte Überdosierungen zu vermeiden“. Verdachtsfälle von Missbrauch und unerwünschten Wirkungen sollten gemeldet werden. Anlass war die Warnung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA „vor schwerwiegenden kardialen Nebenwirkungen nach Einnahme von Loperamid in höheren als den empfohlenen Dosierungen, einschließlich durch Missbrauch und Fehlgebrauch“. Von 1976 bis 2015 sollen bei der FDA nämlich 48 Berichte über schwere kardiale Ereignisse eingegangen sein – über die Hälfte der Fälle wurde jedoch erst nach 2010 berichtet. Die Warnungen von 2016 schienen in den USA jedoch nicht viel zu nutzen, sodass die FDA Ende Januar 2018 erneut vor Loperamid-Missbrauch warnte.