Potenzmittel: Nahrungsergänzungsmittel mit Sildenafil im Umlauf
Der Markt der Nahrungsergänzungsmittel (NEM) ist maximal unreguliert, sie zählen zu den Lebensmitteln. Strenge Anforderungen und Kontrollen hinsichtlich Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit, wie sie bei Arzneimitteln Gesetz sind, sucht man bei NEM vergeblich. Diese Tatsache nutzen manche schwarzen Schafe unter den Nahrungsergänzungsmittelherstellern bedauerlicherweise immer wieder aus. Beliebt sind hier vor allem Diätpräparate oder potenzsteigernde Mittel. So auch im aktuellen Fall „Rammbock“.
Das Regierungspräsidium Tübingen warnt seit Ende letzter Woche vor dem als „rein natürlich“ deklarierten Potenzpräparat „Rammbock“. Grund zur Sorge hegt das Präsidium, weil der „Rammbock“-Hersteller die Wirksamkeit seines Potenzmittels wohl unerlaubterweise mit Sildenafil unterstützt hat – und den Viagra®-Wirkstoff teilweise in nicht unerheblichen Mengen dem NEM zugesetzt hat. Sildenafil ist in Deutschland verschreibungspflichtig, und das in jeder Dosierung.
Wie viel Sildenafil wurde in „Rammbock“ gefunden?
Das Regierungspräsidium (RP) erklärt in einer Mitteilung: „Das Produkt enthält entgegen den angegebenen Inhaltsstoffen den Wirkstoff ,Sildenafil', der zur Behandlung von Erektionsstörungen des Mannes eingesetzt wird und der nur nach vorheriger ärztlicher Verordnung eingenommen werden darf“. Zusätzlich sei der Wirkstoff „in einer erhöhten Dosierung" gefunden worden – das könne zu erheblichen „gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen und schlimmstenfalls tödliche Wirkung haben“, heißt es in dem Schreiben des RPs. Auf Nachfrage der Redaktion erklärt ein Sprecher des Regierungspräsidiums, dass in einzelnen Produkten bis zu 105 mg Sildenafil nachgewiesen wurden. Es laufe ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, der Gesamtüberblick über die jeweils enthaltene Menge an Sildenafil fehle derzeit noch.
Sildenafil bei erektiler Dysfunktion: maximal 100 mg pro Tag
Sildenafil ist in zwei Indikationen in Deutschland zugelassen, die wohl prominentere ist die der erektilen Dysfunktion bei erwachsenen Männern. Unter erektiler Dysfunktion versteht man „die Unfähigkeit, eine für einen befriedigenden Geschlechtsverkehr ausreichende Erektion zu erreichen oder aufrechtzuerhalten“, definiert die Fachinformation zu den in dieser Indikation zugelassenen Sildenafil-Arzneimitteln. Daneben wird Sildenafil noch bei pulmonaler arterieller Hypertonie (Bluthochdruck im Lungenkreislauf) eingesetzt, Handelsname ist Revatio®.
Die maximale Höchstdosis von Sildenafil liegt bei 60 mg täglich zur Behandlung der pulmonalen arteriellen Hypertonie. Zur Therapie der erektilen Dysfunktion dürfen Männer höchstens 100 mg pro Tag einnehmen. Das bedeutet: Teilweise enthielt das rezeptfreie Nahrungsergänzungsmittel „Rammbock“ mehr Sildenafil als die maximal zugelassene Menge in den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln.
Nicht mit Nitraten!
Sildenafil gehört – wie Tadalafil (Cialis® und Generika) und Vardenafil (Levitra®) – in die Gruppe der Phosphodiesterase-5-Hemmer (PDE-5). Diese wirken gefäßerweiternd (vasodilatierend). Durch diese Vasodilatation der Gefäße im Penis werden die Schwellkörper besser durchblutet, eine erwünschte Erektion erfolgt schneller und bleibt auch über eine längere Zeit aufrechterhalten. Die Gefäßerweiterung ist jedoch nicht auf den Penis beschränkt, sondern betrifft auch andere Gefäße – was zu einer Senkung des Blutdruckes führen kann. Medizinisch ausgenutzt wird dieser Effekt bei Revatio® in der Behandlung der pulmonalen Hypertonie.
Allerdings eignen sich PDE-5-Hemmer aufgrund dieser Nebenwirkung nicht für alle Patienten. Kontraindiziert ist Sildenafil bei Patienten, die zur Blutdrucksenkung Nitrate einnehmen. Auch Patienten mit schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie instabiler Angina pectoris (Brustenge, Schmerz im Brustkorb, ausgelöst durch eine Sauerstoffmangelversorgung des Herzens) oder schwerer Herzinsuffizienz (Herzschwäche), denen von sexueller Aktivität abzuraten ist, dürfen Sildenafil nicht anwenden. Grund hierfür ist, dass schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse – unter anderem Herzinfarkt, plötzlicher Herztod, ventrikuläre Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen der Kammer), zerebrovaskuläre Blutung (Blutungen an Blutgefäßen im Gehirn), Hypertonie und Hypotonie – nach der Markteinführung im zeitlichen Zusammenhang mit dem Gebrauch von Sildenafil gemeldet wurden. Viele Ereignisse traten laut Fachinformation während oder kurz nach Geschlechtsverkehr auf, wenige kurz nach dem Gebrauch von Sildenafil ohne sexuelle Aktivität.
Was sollen „Rammbock“-Anwender tun?
Das Regierungspräsidium Tübingen empfiehlt in seiner Mitteilung, „Rammbock“ über den Hausmüll zu entsorgen. Vertrieben wurde das Potenzmittel wohl über das Internet, auch in Wettbüros ist es erhältlich gewesen. Die Homepage von „Rammbock" ist mittlerweile nicht mehr erreichbar: „Der Wartungsmodus ist eingeschaltet“, wird hier erklärt. Man wolle jedoch bald wieder zurück sein, so der Betreiber der Homepage. Dann jedoch hoffentlich ohne illegale Präparate.