Was ist eigentlich Prosopagnosie?
Für den komplizierten Begriff Prosopagnosie gibt es auch einen deutschen Namen: Gesichtsblindheit. Möglicherweise kennen Sie sogar jemanden, der von dieser merkwürdigen Störung betroffen ist. Immerhin sollen ein bis zwei Prozent aller Menschen unter Prosopagnosie leiden.
Gesichter sehen, aber nicht erkennen
Kommt man als Europäer erstmalig in ein asiatisches Land, ist man schnell verwirrt: Die Gesichter dort sehen sich so verblüffend ähnlich. Erst nach einiger Zeit bilden sich Unterschiede heraus und man kann Personen leichter auseinanderhalten.
Ähnlich wie wir uns anfänglich mit den asiatischen Gesichtern schwertun, ergeht es Menschen mit Prosopagnosie. Sie können sich Gesichter nicht merken und sie nur schwer wiedererkennen. Der individuelle Gesichtsausdruck ist für sie nicht identifizierbar.
Betroffene entwickeln Strategien
Haben Sie vielleicht eine Bekannte, die Ihnen auf der Straße oder im Supermarkt begegnet ist und nicht gegrüßt hat? Eventuell steckt ja gar keine Unhöflichkeit dahinter, sondern diese spezielle Störung. Nicht immer tritt die Prosopagnosie offen zu Tage, denn Betroffene entwickeln mögliche Kompensationsstrategien.
Vertraute Personen erkennen sie zum Beispiel an der Stimme, am Gang, an der Figur oder an bestimmten Gesten. Sie prägen sich von Freunden und Bekannten beispielsweise die Kopfform oder bestimmte Merkmale von Lippen oder Augen ein. Probleme bereiten dann allerdings Charakteristika, die sich ändern können, etwa Haarfarbe, Frisur, Bart oder Brille.
Wenn das eigene Kind nicht erkannt wird
Manche Menschen mit Prosopagnosie haben jedoch Schwierigkeiten ihre unmittelbaren Verwandten, sogar das eigene Kind, zu erkennen. Eine betroffene Mutter berichtet: „Wenn ich Lisa von der Kita abholen will und die haben ihr dort nach dem Mittagsschlaf eine andere Frisur gemacht, dann stehe ich erst mal dumm da.“ Ein Vater mit Prosopagnosie beklagt: „Ich kann mich an die Tapete und Einrichtung in meinem Kinderzimmer erinnern, kann mir das Innere meines ersten Autos ganz genau vorstellen, aber nicht die Gesichter meiner Töchter, als sie klein waren.“
Betroffene ziehen sich oft zurück
Wer von Gesichtsblindheit betroffen ist, hat in der Regel nur diese begrenzte Störung und keine weiteren kognitiven Einschränkungen. Die Prosopagnosie hat außerdem nichts mit Autismus oder eingeschränkter sozialer Kompetenz zu tun.
Dennoch besteht die Gefahr des sozialen Rückzugs. So gehen Betroffenen eventuell nicht mehr zu Veranstaltungen, weil sie fürchten, in der Menschenmenge Freunde und Bekannte nicht zu erkennen. Auch der Spaß an Kino und Fernsehen kann getrübt sein: Wenn ein Schauspieler innerhalb des Streifens die Kleidung wechselt, fällt es mit einer Prosopagnosie schwer, ihn wiederzuerkennen.
Prosopagnosie: Relevant für bestimmte Berufe
Besonders relevant kann die Gesichtsblindheit auch in bestimmten Berufen sein, etwa als Lehrer. Auch in der Apotheke oder in anderen Berufen mit Kundenverkehr erschwert eine solche Beeinträchtigung die tägliche Arbeit. Quellen: www.prosopagnosie.de, www.prosopagnosie.info, Charité – Universitätsmedizin Berlin; Universität Bamberg
Prosopagnosie in Kürze
- Störung im visuellen Erkennen vertrauter Gesichter, obwohl die Sehfähigkeit nicht beeinträchtigt ist.
- Schätzungsweise 1 bis 2 Prozent der Bevölkerung sind betroffen.
- „Prosopagnosie“ setzt sich aus den beiden griechischen Wörtern „prosopon“ = „Gesicht“ und „agnosis“ = „Nichterkennen“ zusammen.
- Ein Gesicht wird zwar als Gesicht wahrgenommen, aber nicht als das einer bestimmten Person wiedererkannt („Gesichtsblindheit“).
- Die Betroffenen entwickeln Kompensationsstrategien (Einprägen anderer personenbezogener Merkmale).
- Die Störung ist meist angeboren, kann aber auch nach einem Gehirnschaden (schwere Schädelverletzung, Schlaganfall etc.) auftreten. Über die zugrunde liegenden Mechanismen weiß man noch wenig.