Teil 15: Flohsamenschalen – das schleimige Quellphänomen
Dass die Samenschalen der Wegericharten Plantago ovata und Plantago afra auch als Arzneimittel im Handel sind, unterscheidet sie von anderen Superfoods und macht deutlich, dass Indikationsansprüche durchaus ihre Berechtigung haben. Für die Wirksamkeit verantwortlich ist der hohe Anteil an Ballaststoffen, die durch ihre Quell- und Schleimstoffkomponenten besonders günstige Eigenschaften aufweisen.
Was hat der Samen mit dem Floh zu tun?
Auch auf Internetseiten mit sachlichen Inhalten wird „der lustige Name“ Flohsamen thematisiert. Veganer müssen nicht befürchten, dass es sich hier um ein tierisches Produkt handelt. Der Name entstand, weil die kleinen glänzenden Samen durch ihre Größe und ihr Aussehen sowie die Sprungkraft, mit der sie aus dem Fruchtstand herausschießen, an springende Flöhe erinnern. Die Wegerichart Plantago afra trägt auch die Bezeichnung Plantago psyllium, auf Deutsch Flohkraut oder Flohsamenwegerich. Psyllium (lateinisch: Floh) ist der gebräuchliche Name für verschiedene Vertreter der Gattung Plantago, deren Samen bzw. Samenschalen als Arzneidroge verwendet wird. In Deutschland sind sie unter den Namen Flohsamen(-schalen) und Indische Flohsamen(-schalen) im Handel. Manche Fertigprodukte mit Flohsamen werden unter dem Namen Psyllium vermarktet, der auch im Englischen gebräuchlich ist.
Die Pflanze und ihr Schleim
Die Flohsamenpflanze ist einjährig und erreicht höchstens 20 cm Wuchshöhe. Die langen, flaumig behaarten und schmalen Blätter wachsen aus einer grundständigen Rosette. Der Blütenstängel mit seiner kleinen, länglichen Blütenähre ist sehr unscheinbar. Aus den Ähren entwickeln sich die Flohsamen. Plantago ovata wächst hauptsächlich in Indien und Pakistan. Plantago afra ist in Südeuropa, Nordafrika und Asien zuhause. Die indische Pflanze erzeugt helle, die europäische eher dunkle Samen.
Flohsamen enthalten bis zu 85 % Ballaststoffe, circa 1 % Fett und 2 % Protein. Es sind vor allem die Ballaststoffe und deren spezielle Zusammensetzung, die für die menschliche Gesundheit genutzt werden können. In den äußersten Schichten der Samenschalen, der Epidermis, kommen große Mengen an Schleimstoffen vor. Es handelt sich um komplex zusammengesetzte Schleimpolysaccharide, die aus den Zuckern Xylose, Arabinose und Galacturonsäure aufgebaut sind. Bei Kontakt mit Wasser quellen sie stark auf und erreichen ein hohes Volumen.
Auf die Schalen kommt es an
Zwar lassen sich auch ganze Flohsamen verzehren. Doch für die erwünschte Wirkung im menschlichen Körper werden die Samen in der Regel durch Mahlen zerkleinert, von weniger erwünschten Samenbestandteilen abgetrennt und gereinigt. Die Schalenbruchstücke sind dann hellbeige und durchscheinend, spröde und spelzenähnlich.
Flohsamenschalen sind als Lebensmittel und als freiverkäufliches Arzneimittel im Handel. Es gibt außerdem Flohsamenschalen in Kapseln, auch in Kombination mit anderen Zutaten als Nahrungsergänzungsmittel.
Wirksam als Darmregulans
Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) in London hat Flohsamenschalen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Sicherheit positiv bewertet. Eine Metaanalyse zu traditionellen Therapien der chronischen Obstipation ergab für Flohsamenschalen „moderate evidence“, also einen Nachweis mittlerer Wirksamkeit. Das hohe Quellvermögen und die stuhlaufweichende Fähigkeit haben zu der Bezeichnung Darmregulans geführt. Die in Flohsamenschalen enthaltenen Schleimpolysaccharide können mehr als das 50-fache an Wasser binden. Die Volumenzunahme des Stuhls regt die Peristaltik an und löst den Reflex zur Darmentleerung aus. Die Schleimkomponente sorgt für eine gute Gleitfähigkeit des Stuhls. Gleichzeitig wird aber auch, zum Beispiel bei Durchfallerkrankungen, im Darm vorhandenes Wasser gebunden und so die Darmmotilität normalisiert.
Tausendsassa Ballaststoffe
Die darmregulierende Wirkung ist unumstritten und erlaubt auf Verkaufspackungen, die als Arzneimittel im Handel sind, den Hinweis „Zur Behandlung von Verstopfung und Bildung von weichem Stuhl“. Die vielen weiteren beanspruchten Wirkungen lassen sich weitgehend aus den Erfahrungen und dem Wissen ableiten, das heute über Ballaststoffe sowie deren Aktivität im Magen-Darm-Trakt generell bekannt ist.
Man unterscheidet unlösliche und lösliche Ballaststoffe, auch wenn es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, dass ein Ballaststoff sich auflöst. Unlösliche Ballaststoffe bestehen aus für den menschlichen Organismus unverdaulicher Zellulose oder Lignin. Sie sind keinesfalls „unnötiger Ballast“, sondern spielen eine wichtige, gesundheitsfördernde Rolle in der Ernährung und bei der Verdauung. Sie regen bereits in der Mundhöhle zum Kauen an und aktivieren so die Verdauungssäfte, vergrößern das Volumen des Speisebreis, erzeugen ein anhaltendes Sättigungsgefühl, regulieren die Resorption von Nährstoffen und verhindern auf diese Weise Blutzuckerspitzen.
Zu den löslichen Ballaststoffen zählen die Quellstoffe, wie sie besonders reichlich in Flohsamenschalen zu finden sind. Sie absorbieren große Mengen an Wasser und erhöhen damit das Volumen des Speisebreis. Bereits im Dünndarm sollen sie Gallensäuren und Cholesterin in ihre Schleimkomplexe einbinden können und damit deren intestinale Rückresorption verhindern. Im Dickdarm werden lösliche Ballaststoffe durch die Darmbakterien zu kurzkettigen Fettsäuren und Gasen abgebaut. Die Gasbildung lockert den Stuhl. Wie neue Studien zeigen, können kurzkettige Fettsäuren im gesamten Körper positive Effekte in Gang setzen: Sie besitzen entzündungshemmende Eigenschaften, zeigen günstige Einflüsse auf den Energiestoffwechsel und die Blutgefäße, und wirken ausgleichend auf die Cholesterinbildung in der Leber.
Blickpunkt Darmflora
Immer mehr Forschungen betreffen zurzeit auch das „Ökosystem“ der menschlichen Darmflora. Und es wächst die Erkenntnis, dass eine ballaststoffreiche Ernährung das beste „Futter“ für schützende, gesundheitsfördernde Darmbakterien darstellt. Erhalten diese nämlich keine für sie geeignete Nahrung, beginnen sie die Schleimschicht der Darmschleimhaut abzubauen, was unerwünschten Krankheitserregern Tür und Tor in den Körper eröffnet.
Immer öfter liest man in der letzten Zeit daher auch, dass Flohsamenschalen das beste Substrat zum Aufbau einer gesunden Darmflora darstellen. Das ist im Grundsatz richtig, berücksichtigt aber nicht, dass Flohsamenschalen nicht zu den Lebensmitteln gehören, die in großen Mengen unbedenklich verzehrt werden können – nach dem Motto „je mehr Flohsamenschalen, umso gesünder die Darmbakterien“. Aufgrund seiner hohen Quellfähigkeit ist unbedingt auf eine sachgemäße Einnahme von Flohsamenschalen zu achten!
Achtung, richtig anwenden!
Die korrekte Anwendung geht so: Zweimal täglich ein Teelöffel Flohsamenschalen in circa 100 ml Wasser einrühren und zügig austrinken. Dazu über den Tag verteilt mindestens 2 l Flüssigkeit aufnehmen. Am besten sollte die Einnahme 30 bis 60 Minuten vor einer Mahlzeit oder zwei Stunden danach erfolgen. Pro Tag dürfen maximal 40 g (ungefähr acht Teelöffel) Flohsamenschalen zugeführt werden. Die Menge sollte nicht überschritten werden, das ausreichende Trinken ist unverzichtbar.
Es besteht die Gefahr, dass bereits kleine Mengen Flohsamenschalen in der Speiseröhre verklumpen und einen unauflösbaren Pfropf bilden. Dieser kann so fest an der Innenseite der Speiseröhre haften, dass er nur im Krankenhaus beseitigt werden kann. Auch im Dickdarm können unerwünschte Verklumpungen auftreten, bis hin zum Darmverschluss. In den USA wurden durch falsche Einnahme bereits Erstickungen nach Gabe von Flohsamenschalen dokumentiert. Dabei waren die Flohsamenschalen auf inhalativem Weg in die oberen Bronchien gelangt und hatten dort die Atemwege verkleistert.
Kontraindikationen und unerwünschte Wirkungen
Wer aufgrund einer Nierenerkrankung nur beschränkt Flüssigkeit zu sich nehmen darf, sollte auf Flohsamen verzichten. Auch Menschen, die bereits einen Darmverschluss hatten, unter akuten Entzündungen im Gastrointestinaltrakt oder einer Verengung der Speiseröhre leiden, sollten Flohsamen meiden.
Die Quellwirkung kann bei empfindlichen Menschen zu Völlegefühl, Bauchschmerzen oder Blähungen führen, vor allem in Verbindung mit Zucker. Häufig gewöhnt sich der Darm nach einigen Tagen an die vermehrte Ballaststoffzufuhr. Andere Arzneimittel am besten eine Stunde vorher einnehmen, denn die starke Quellwirkung von Flohsamenschalen kann die Resorption von Arzneistoffen aus dem Darm verzögern bzw. behindern.
In der Regel sind Flohsamenschalen, richtig angewendet, gut verträglich und für eine langfristige Einnahme geeignet. Sie erzeugen keinen Gewöhnungseffekt.
Flohsamen – ein Power-Lebensmittel?
Marketing- und Werbeartikel mit ihren vollmundigen Aussagen sind immer kritisch zu hinterfragen. Flohsamen und Flohsamenschalen haben, wie beschrieben, gesundheitsfördernde Eigenschaften und regulieren die Darmtätigkeit. Sie sind aber weder „Power-Lebensmittel“ noch Superfood und erst recht kein „Zaubermittel zum Abnehmen“. Wie andere Quellmittel und Ballaststoffe erzeugen sie ein erwünschtes Sättigungsgefühl und können die Resorption von Zucker verlangsamen. Die positiven Auswirkungen auf den Cholesterinspiegel sind im Grundsatz einleuchtend, aber nicht durch klinische Studien belegt. Aufgrund möglicher unerwünschter Begleiterscheinungen bei nicht sachgemäßem Verzehr sollten Flohsamenschalen in der Küche eher vorsichtig eingesetzt werden – vor allem niemals nach dem Motto „viel hilft viel“.
Auf einen Blick
- Flohsamenschalen zählen zu den wenigen Phytotherapeutika, für die bislang ein europäisches Zulassungsverfahren bei der EMA erfolgreich abgeschlossen wurde.
- Das Wirkprinzip: Die in Flohsamenschalen enthaltenen Schleimpolysaccharide können mehr als das 50-Fache an Wasser binden. Die Volumenzunahme des Stuhls regt die Peristaltik an und löst den Reflex zur Darmentleerung aus, die Schleimkomponente sorgt für eine gute Gleitfähigkeit des Stuhls.
- Flohsamenschalen eignen sich zur Therapie der Obstipation, wirken aber durch ihr hohes Wasserbindungsvermögen auch bei Durchfällen als Darmregulans. Als gutes Substrat für die Darmbakterien fördern sie eine gesunde Darmflora.
- Korrekte Anwendung: Zweimal täglich ein Teelöffel Flohsamenschalen in ca. 100 ml Wasser einrühren und zügig austrinken. Dazu über den Tag verteilt mindestens 2 l Flüssigkeit aufnehmen. Pro Tag dürfen maximal 40 g (ungefähr acht Teelöffel) Flohsamenschalen zugeführt werden.
- Bei falscher Anwendung können Flohsamenschalen in der Speiseröhre verklumpen und einen unauflösbaren Pfropf bilden, der nur im Krankenhaus beseitigt werden kann. Auch im Dickdarm können unerwünschte Verklumpungen auftreten, bis hin zum Darmverschluss.