So lässt sich der (Misch-) Schmelzpunkt bestimmen
Zur Herstellung von Arzneimitteln in der Rezeptur dürfen nur Ausgangsstoffe verwendet werden, deren ordnungsgemäße Qualität zuvor feststellt wurde. Um Verwechslungen auszuschließen, muss in diesem Kontext zwingend die Identität nachgewiesen werden.
Neben nasschemischen Nachweisen und spektroskopischen bzw. chromatographischen Verfahren spielt dabei die Bestimmung physikalischer Stoffkonstanten eine wichtige Rolle. Bei Flüssigkeiten kommt hier die Messung des Brechungsindex, bei Feststoffen meist die Bestimmung des Schmelzpunkts in Frage.
Was versteht man unter der Schmelztemperatur?
Im Europäischen Arzneibuch findet sich bei zahlreichen Substanzen die Angabe einer Schmelztemperatur. Bei gegebenem Druck, normalerweise Normaldruck, handelt es sich dabei um eine Stoffkonstante. Diese kann zur Feststellung der Identität und zur Überprüfung der Reinheit genutzt werden.
Gut zu wissen: Schmelztemperatur oder Schmelzpunkt?
Die Begriffe Schmelztemperatur und Schmelzpunkt werden meist synonym verwendet, wissenschaftlich ist dies allerdings nicht ganz korrekt.
Die Schmelztemperatur ist die Temperatur, bei der eine Substanz zu schmelzen beginnt, also vom festen in den flüssigen Aggregatszustand übergeht.
Der Schmelzpunkt bezieht sich dagegen auf eine bestimmte Temperatur und einen bestimmten Druck. So wird die, wenn auch äußerst geringe, Druckabhängigkeit der Schmelztemperatur mit berücksichtigt.
Wovon die Schmelztemperatur abhängt
Die Schmelztemperatur hängt von den Bindungskräften zwischen den einzelnen Teilchen ab. So haben anorganische Salze aufgrund der starken ionischen Bindungen eine hohe Schmelztemperatur. Natriumchlorid schmilzt beispielsweise erst bei 801 °C.
Organische Verbindungen, zu denen auch die meisten Arzneistoffe zählen, werden hingegen durch schwächere zwischenmolekulare Kräfte (Van-der-Waals-Kräfte, Dipol-Dipol-Kräfte, Wasserstoffbrücken) zusammengehalten und schmelzen daher bei deutlich niedrigeren Temperaturen zwischen 100 °C und 300 °C.
Ist eine Substanz verunreinigt, so ist die Schmelztemperatur erniedrigt, da die Bindungskräfte durch die Fremdstoffe geschwächt werden.
Schmelzpunktbestimmung mit der Kapillarmethode
Um das Schmelzverhalten von festen Substanzen zu untersuchen, finden sich im Europäischen Arzneibuch drei verschiedene Methoden. Die mit Abstand am häufigsten angewendete Methode ist die Bestimmung der Schmelztemperatur nach der Kapillarmethode (Ph. Eur. 2.2.14).
Ursprünglich wurde hierfür eine Glaskapillare mit der Prüfsubstanz in einer Flüssigkeit mit einer definierten Heizrate erwärmt und das Verhalten visuell beobachtet. Laut Ph. Eur. ist die Schmelztemperatur dann diejenige Temperatur, „bei der das letzte feste Teilchen in einer kompakten Substanzsäule in der Schmelzkapillare in die flüssige Phase übergeht“.
Mittlerweile erfolgt die Auswertung bei den meisten Schmelzpunktbestimmungsgeräten vollautomatisch. In der Regel erfasst dabei ein photometrischer Detektor die Änderung der Lichtdurchlässigkeit (Transmission) in Abhängigkeit von der gemessenen Temperatur. Dies funktioniert, da pulverförmige Substanzen im festen Zustand zwar undurchsichtig sind, im geschmolzenen, flüssigen Zustand jedoch Licht durchlassen.
Auch bei den elektronischen Schmelzpunktbestimmungsgeräten ist ein Sichtfenster zur Beobachtung des Schmelzvorgangs sinnvoll, denn: Sind Luftblasen enthalten oder kommt es zu einer Zersetzung der Substanz, kann es zu Problemen bei der automatischen Bestimmung der Schmelztemperatur kommen.
Wie wird die Kapillarmethode durchgeführt?
Die Bestimmung der Schmelztemperatur mittels Kapillarmethode ist einfach durchzuführen. Um richtige Messergebnisse zu erhalten, müssen dennoch einige Punkte beachtet werden:
- Zunächst muss die Probe sorgfältig vorbereitet werden. Die Substanz muss fein gepulvert vorliegen, da bei kristallinen Feststoffen der Wärmetransport verschlechtert ist und keine reproduzierbaren Messergebnisse erhalten werden. Weiterhin muss die Probe vor dem Vermessen gut getrocknet werden (empfehlenswert sind 24 Stunden im Exsikkator unter Vakuum), da schon geringe Mengen an Feuchtigkeit zu einer Schmelzpunktdepression führen können.
- Die sorgfältig vorbereitete Substanz wird anschließend ungefähr 4 bis 6 Millimeter hoch in eine dünne Glaskapillare gefüllt. Um das eingefüllte Material gut zu verdichten, wird die Glaskapillare mehrmals aufgeklopft oder durch ein größeres Glasrohr auf eine Unterlage fallengelassen.
- Das Schmelzpunktbestimmungsgerät kann auf eine Temperatur etwa 5 °C unterhalb der zu erwartenden Schmelztemperatur aufgeheizt werden. Anschließend wird sich mit einer Heizrate von 1 °C pro Minute der Schmelztemperatur genähert.
Bei sehr reinen Substanzen kann ein scharfer Schmelzpunkt erhalten werden, meist wird jedoch ein Schmelzintervall von 2 °C bis 3 °C beobachtet.
Gut zu wissen: Heizrate für Ergebnis entscheidend
Einzelne Schmelztemperaturen können nur dann miteinander verglichen werden, wenn sie mit derselben Aufheizrate durchgeführt werden. Das liegt daran, dass während der Bestimmung die Temperatur im Ofen höher ist als in der Probe. Gemessen wird aber die Ofentemperatur. Der erhaltene Schmelzpunkt hängt daher stark von der durchgeführten Heizrate ab.
Weitere Methoden: Steigschmelzpunkt und Sofortschmelzpunkt
Als weitere Methode kommt bei Stoffen mit wachsartiger Konsistenz die Bestimmung des Steigschmelzpunkts mit offener Kapillare (Ph. Eur. 2.2.15) zum Einsatz. Substanzen wie Hartfett oder Kakaobutter werden dabei in einer auf beiden Seiten offenen Glaskapillare so lange in einem Wasserbad erhitzt, bis die Substanz schmilzt und daraufhin in der Kapillare zu steigen beginnt. Der Steigschmelzpunkt wird dabei als Mittelwert aus fünf einzelnen Messungen ermittelt.
Eine Bestimmung des Sofortschmelzpunkts (Ph. Eur. 2.2.16) wird dagegen nur in wenigen Monographien gefordert. Bei dieser Methode wird ein aufheizbarer Metallblock auf 10 °C unter der zu erwartenden Schmelztemperatur aufgeheizt und dann mit einer Aufheizgeschwindigkeit von 1 °C pro Minute weiter erhitzt. Kleine Teilchen der zu vermessenden Substanz werden in festen Zeitabständen auf den Block gestreut und die Temperatur, bei der die Substanz sofort nach Berührung des Metallblocks schmilzt, wird aufgeschrieben.
Schmelztemperaturtabelle aus dem DAC
Im DAC ist in der Anlage M eine Tabelle zu finden, die die Schmelztemperaturen der in den Monographien des Europäischen Arzneibuchs, des DAB und des DAC beschriebenen Stoffe enthält. Auch sind die Schmelztemperaturen angegeben, wenn der Feststoff über eine alternative Prüfmethode des DAC identifiziert werden kann.
Zudem gibt die Anlage M im DAC Auskunft darüber, welche konkrete Methode jeweils durchgeführt werden soll – meist handelt es sich um die Kapillarmethode.
Gut zu wissen: Schmelzpunkt zur Identitätsprüfung
Zur Feststellung der Identität ist die Bestimmung des Schmelzpunkts nur dann sinnvoll, wenn der Referenzwert in der Monographie unter der Bestimmung der Identität genannt wird und nicht nur bei der Beschreibung der Eigenschaften.
Identitätsnachweis durch Mischschmelzpunktbestimmung
Neben den Arzneibuchmethoden ist im DAC noch eine weitere Methode zum Identitätsnachweis beschrieben: die Bestimmung des Mischschmelzpunktes nach DAC Probe 3. Die Methode beruht auf der Tatsache, dass Verunreinigungen einer Substanz zu einer Erniedrigung des Schmelzpunkts führen.
Zunächst wird die Schmelztemperatur der zu überprüfenden Substanz nach der Kapillarmethode bestimmt. Danach werden gleiche Anteile der Prüfsubstanz und einer identischen Referenzsubstanz fein verrieben und die Schmelztemperatur dieser Mischung ebenfalls nach der Kapillarmethode bestimmt.
Wenn die beiden erhaltenen Temperaturwerte nicht mehr als 2 °C voneinander abweichen, handelt sich bei beiden Substanzen um den gleichen Stoff („Prüfung entspricht“). Ist dagegen der Schmelzpunkt der Probe nach dem Mischen mit der Referenzsubstanz niedriger, sind es zwei verschiedene Substanzen.
Die Schmelztemperaturen werden hier im Übrigen mit ungetrockneten Substanzen ermittelt, sofern es in der Prüfvorschrift nicht anders angegeben ist.
Die verwendeten Referenzsubstanzen müssen noch innerhalb ihrer Verwendbarkeitsfrist zur Herstellung von Arzneimitteln liegen, ansonsten kann die Bestimmung des Mischschmelzpunkts verfälscht sein, da sich bereits Zersetzungsprodukte gebildet haben können.
Bestimmung der Schmelztemperatur aussagekräftig
Zur Feststellung der Identität von Ausgangsstoffen ist die Bestimmung der Schmelztemperatur eine praktikable und aussagekräftige Methode. Wird dazu noch der Mischschmelzpunkt mithilfe einer identischen Vergleichssubstanz überprüft, kann normalerweise auf weitere Prüfungen verzichtet werden. Quellen:
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2020/daz-21-2020/bis-zum-dahinschmelzen
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2012/daz-33-2012/schmelzpunktbestimmung-richtigkeit-sicherstellen
https://www.mt.com/de/de/home/applications/Application_Browse_Laboratory_Analytics/Thermal_Values/melting-point-determination.html#top