L-Thyroxin: Immer morgens nüchtern einnehmen?
Mindestens eine halbe Stunde vor dem Frühstück auf nüchternen Magen mit einem Glas Leitungswasser – diesen Einnahmehinweis gibt das pharmazeutische Personal tagtäglich zuhauf bei der Abgabe von L-Thyroxin.
Die Frage nach der Einnahme anderer Arzneimittel darf natürlich auch nicht fehlen. Denn viele Nahrungsmittel und Medikamente wirken sich auf die Aufnahme und Verstoffwechselung von Schilddrüsenhormonen aus.
T3 & T4 – Was man über die Schilddrüsenhormone wissen sollte
Im Körper zirkulieren verschiedene Hormone, die die Schilddrüse steuern bzw. von dieser ausgeschüttet werden. Die Hirnanhangdrüse (Hypophyse) bildet Thyreotropin (TSH, Thyreoidea-stimulierendes Hormon), das wiederum bewirkt, dass die Schilddrüse ein Molekül namens Thyronin mit einem, zwei, drei oder vier Iod-Atomen freisetzt.
Letztere sind die wirksamen Schilddrüsenhormone Liothyronin (T3, Triiodothyronin) und Thyroxin (T4, körpereigen), die im Körper an Stoffwechsel- und Wachstumsprozessen und an der Temperaturkontrolle beteiligt sind.
Liegt krankheitsbedingt (z. B. durch eine Hashimoto-Thyreoiditis) eine Schilddrüsenunterfunktion vor, können diese Hormone künstlich ersetzt werden. Künstlich hergestelltes Levothyroxin (L-Thyroxin) ist dabei dem körpereigenen Thyroxin (T4) identisch und wird vom Körper gleich behandelt.
Obwohl T3 deutlich potenter in der Wirksamkeit ist als T4, wird in der Praxis mit großem Abstand am häufigsten L-Thyroxin verordnet, da es eine deutlich längere Halbwertszeit hat und im Körper durch Abspaltung von Iodid zum wirksamen T3 umgewandelt wird.
L-Thyroxin: Nur geringe therapeutische Breite
Wer ein L-Thyroxin-Rezept beliefert, weiß: Dieser Wirkstoff darf nicht im Rahmen von Rabattverträgen ausgetauscht werden – Stichwort Substitutionsausschlussliste. Warum steht L-Thyroxin auf dieser Liste?
Das Problem: Es addieren sich gleich mehrere Umstände, die eine konstante Wirkstoffaufnahme erschweren: Zum einen wird L-Thyroxin im Dünndarm über Transporter ins Blut aufgenommen. Dabei werden nur circa 70–80 % des Wirkstoffs resorbiert – im besten Fall.
Dazu kommt, dass nur minimale Mengen von diesem künstlichen Hormon für den therapeutischen Zweck eingesetzt werden. 25 bis maximal 200 Mikrogramm befinden sich in den Tabletten. Durch diese kleine Menge, die zwar im Körper eine große Wirkung erzielt, haben Störfaktoren einen großen Einfluss mit teilweise gravierendem Wirkverlust.
L-Thyroxin: Welche Nahrungsmittel vermindern die Wirkung?
Einer dieser Störfaktoren können mehrwertige Kationen aus Nahrungsmitteln oder anderen Medikamenten sein. Ionen, die zwei- oder dreifach positiv geladen sind, wie z. B. Ca2+, Fe2+ oder Fe3+, Al3+, können mit dem L-Thyroxin schwerlösliche Komplexe bilden.
Studien zeigen, dass die Wirkstoffaufnahme stark vermindert ist, wenn die Tabletten mit Nahrung eingenommen werden. Vor allem sollte die Einnahme von L-Thyroxin nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit Milch- oder Milchersatzprodukten erfolgen, da diese einen hohen Calciumgehalt aufweisen.
Schon ein Schluck Milch im Kaffee kann die Resorption aus dem Dünndarm signifikant erschweren, wenn nicht genug Zeit dazwischen liegt. Auch ballaststoffhaltige Nahrung scheint sich negativ auf die Aufnahme auszuwirken.
Daraus resultiert die Empfehlung, die Schilddrüsenhormone auf nüchternen Magen einzunehmen. Theoretisch sollten zu Nahrungsmitteln, die viel Calcium enthalten, sogar 2 Stunden Abstand gehalten werden, was sich allerdings für die meisten bei einer morgendlichen Einnahme schwierig gestaltet. Daher werden 30 Minuten in der Annahme empfohlen, dass zumindest der Großteil des Schilddrüsenhormons schon resorbiert wurde.
Allerdings muss man dazu sagen: Die Substitution von L-Thyroxin ist ein relativ träges System, das nicht so leicht akut zu stören ist. Ein einmaliger „Ausrutscher“ stört die Therapie also nicht. Sich wiederholende Beeinträchtigungen erschweren aber die Einstellung auf einen konstanten Spiegel.
L-Thyroxin besser abends einnehmen?
Daher kommt immer wieder die Frage auf: Muss die Einnahme zwingend morgens erfolgen? Mittlerweile untersuchten einige Studien, ob eine abendliche Einnahme eine sinnvolle Alternative wäre und inwieweit der Einnahmezeitpunkt Auswirkungen auf den Hormonspiegel und den Therapieerfolg hat.
Die Ergebnisse: Findet die Einnahme nach wie vor nüchtern, also 30 Minuten vor dem Abendessen oder 2 Stunden danach statt, sind die erreichten Wirkspiegel vergleichbar mit einer nüchternen Morgeneinnahme und damit genauso effektiv. Einige Experten raten sogar explizit zur abendlichen Einnahme, da die Adhärenz größer und die Störfaktoren ggf. geringer sind.
Egal wann – L-Thyroxin immer nüchtern und konstant einnehmen
Die Einnahme kurz vor dem Schlafengehen bzw. 2 Stunden nach der letzten Mahlzeit erfreut sich wachsender Beliebtheit. Manche Patienten klagen über Morgenmüdigkeit und Übelkeit, wenn sie die Schilddrüsenhormone morgens einnehmen, andere wiederum berichten von Einschlafstörungen durch das L-Thyroxin.
Ob das Hormon morgens oder abends eingenommen werden soll, ist Teil eines langwierigen Einstellungsprozesses zwischen Arzt und Patient. Denn den optimalen Wirkspiegel zu erreichen (Euthyreose = „normale Schilddrüsenfunktion“), kann Wochen bis Monate dauern.
Das Allerwichtigste für eine Therapie mit Schilddrüsenhormonen ist: ausreichend Abstand zum Essen halten und eine regelmäßige, konstante Einnahme möglichst annähernd zur gleichen Uhrzeit.
Und was ist mit Arzneimitteln?
L-Thyroxin interagiert mit vielen Wirkstoffen. Bei einigen lässt sich das durch Abstand zur L-Thyroxin-Einnahme verhindern, zum Beispiel:
- Polyvalente Kationen können durch die Bildung von schwerlöslichen Komplexen die Resorption von L-Thyroxin vermindern, sodass Schilddrüsenhormone mindestens zwei Stunden vorher eingenommen werden sollten.
- Bei Substanzen, die L-Thyroxin im Gastrointestinaltrakt binden, sollte ein Abstand von vier bis fünf Stunden zur L-Thyroxin-Einnahme eingehalten werden. Das gilt für die Ionenaustauscherharze wie Colestyramin und Colestipol sowie den Gallensäurenkomplexbildner Colesevelam.
Darüber hinaus können zum Beispiel Glucocorticoide, Betablocker, Mittel zur Empfängnisverhütung oder Hormone zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden die Wirkung von L-Thyroxin vermindern. L-Thyroxin kann wiederum den blutzuckersenkenden Effekt von Metformin, Insulin oder Glibenclamid abschwächen. Diese Wechselwirkungen gilt es bei der Einstellung zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sich an der Medikation etwas ändert.
Wichtig dabei ist nur, dass die Tablette immer etwa unter den gleichen Umständen eingenommen wird. Wenn also ein Patient, der mit abendlicher Einnahme gut eingestellt ist, seinen Einnahmezeitpunkt wechselt, ist es wegen der veränderten Resorption möglich, dass der Spiegel nicht mehr im Normbereich ist.
Nicht selten ist bei der Beratung zu hören: Echt? Nehm‘ ich aber immer schon zum Essen? Ist der Patient gut eingestellt, sollte am Einnahmeschema auf gar keinen Fall etwas geändert werden.
Durch eine plötzliche Umstellung auf Nüchterneinnahme und dadurch eine verbesserte Resorption von L-Thyroxin läuft der Patient Gefahr, Symptome einer Hyperthyreose zu entwickeln. Wird allerdings der Spiegel neu eingestellt und dementsprechend kontrolliert, kann man die Umstellung der Einnahme empfehlen. In diesen Fällen ist durch die Nüchterneinnahme und die verbesserte Resorption eventuell eine Dosisreduktion möglich.