Müssen Minusstunden jetzt nachgearbeitet werden?
„Welche Arbeitsrechtlichen Themen beschäftigen aktuell die Apothekenmitarbeiter?“, auf diese Frage gab es von der Apothekengewerkschaft Adexa auf Anfrage von DAZ.online eine eindeutige Antwort: „Wir haben aktuell sehr viele Anfragen zu den Minusstunden in der Adexa-Rechtsberatung“, erklärt Rechtsanwältin Christiane Eymers. Diese Fragen scheinen vor allem auf den vorübergehend eingeführten Schichtsystemen in den Apotheken zu gründen. Durch kleinere Teams, die nicht miteinander arbeiten, soll oder sollte gewährleistet werden, dass bei COVID-19-Infektion eines Mitarbeiters nicht das ganze Apothekenteam (sondern nur eine Schicht) in Quarantäne muss: „Viele Apotheken stellen jetzt wieder auf die normalen Dienstpläne um. Und plötzlich stellt sich heraus, dass die fehlenden Stunden nachgearbeitet werden sollen.“ Doch darf das der Apothekenleiter überhaupt fordern?
Die Adexa meint dazu, dass auch durch die Situation der Pandemie die arbeitsvertraglichen Regelungen nicht außer Kraft gesetzt werden. Wenn also jemand eine feste Wochenstundenzahl habe, müsse diese auch abgerufen werden. Es entstehe ansonsten ein Annahmeverzug auf Arbeitgeberseite. Das wiederum bedeute, dass die Stunden vom Arbeitgeber bezahlt und vom Arbeitnehmer nicht nachgearbeitet werden müssen. Bei einem tariflichen Jahresarbeitszeitkonto gibt es ein wenig mehr Spielraum, aber auch dort müsse zumindest die Untergrenze der Wochenstundenzahl nach Bundesrahmentarifvertrag (BRTV) eingehalten werden (gemäß § 4 BRTV bei Vollzeit: 29 Stunden; bei Teilzeit: 75 Prozent der vertraglichen Arbeitszeit). Auch dann ist die Menge der möglichen zu sammelnden Minusstunden also begrenzt.
Im Bundesrahmentarifvertrag ist die Möglichkeit eines Jahresarbeitszeitkontos verankert. Damit haben Arbeitgeber mehr Flexibilität bei saisonalen Schwankungen beim Personalbedarf, während Mitarbeiter trotzdem mit einem gleichmäßigen Gehalt rechnen können. Wörtlich heißt es im Bundesrahmentarifvertrag dazu:
„Abweichend von § 3 kann mit Vollzeitmitarbeitern einvernehmlich eine flexible wöchentliche Arbeitszeit von 29-48 Stunden vereinbart werden, wenn die Arbeitszeit im Ausgleichszeitraum von zwölf Monaten durchschnittlich 40 Stunden beträgt. Der Ausgleichszeitraum sollte dem Kalenderjahr entsprechen.“
Wie die Adexa im August 2018 berichtete, setzt sich das Jahresarbeitszeitkonto-Modell immer mehr durch: Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatten im Jahr 1990 erst 18 Prozent aller Betriebe ein Arbeitszeitkonto, 2016 waren es schon 35 Prozent. Im gleichen Zeitraum erhöhte sich der Anteil Beschäftigter mit Arbeitszeitkonto von 35 Prozent auf 56 Prozent.
Natürlich sei es richtig gewesen, dass viele Apotheken die Pandemie-Schichten umgesetzt haben, betont die Adexa. Das Problem sei aber, dass viele dies getan hätten, ohne eine gesonderte Vereinbarung mit den Mitarbeitern zu treffen, „zum Beispiel über eine begrenzt flexible Arbeitszeit. Auch Kurzarbeit wäre eine Möglichkeit gewesen.“ Im Nachhinein nun aber zu verlangen, dass alles (Minusstunden) nachgearbeitet wird, sei unzulässig.
Frustrierte Arbeitnehmer
Wie aus der Stellungnahme der Adexa hervorgeht, geht es den Apothekenmitarbeitern offenbar nicht nur darum, was rechtlich sein darf, sondern auch, wie gerecht sie sich von ihren Arbeitgebern behandelt fühlen: „Viele ADEXA-Mitglieder sind auch frustriert, weil sie sehr flexibel waren in den letzten Monaten, alles mitgemacht und möglich gemacht haben (auf Urlaub verzichtet, auf die normalen Arbeitstage) und jetzt so eine ‚Quittung‘ erhalten.“ Gemeint ist das Nacharbeiten von Minusstunden.
Zur oben erwähnten Kurzarbeit: Nicht in jedem Fall ist diese wohl nur aufgrund der Einführung eines Schichtsystems möglich gewesen. DAZ.online schrieb dazu bereits im April, dass durch den Schichtbetrieb in kleineren Teams Minusstunden entstehen können. Ob in diesem Fall die Voraussetzungen für eine Gewährung von Kurzarbeitergeld vorliegen, galt damals in den Augen der Apothekengewerkschaft Adexa allerdings als fraglich: „Das Arbeitsaufkommen sei mindestens gleich geblieben, wenn es nicht sogar höher sei als sonst“, hieß es damals. Aber: Wenn die Öffnungszeiten zum Beispiel verkürzt wurden, könnte ein tatsächlicher Arbeitsausfall vorliegen, hieß es damals auch. Ob die Voraussetzungen für Kurzarbeit gegeben sind, entscheidet letztlich die Bundesagentur für Arbeit.
Übrigens: Früher waren Minusstunden Voraussetzung für Kurzarbeit
Wegen der Coronakrise hat die Bundesregierung erleichterte Voraussetzungen für Kurzarbeitergeld per Verordnung rückwirkend zum 1. März 2020 und befristet bis zum 31. Dezember 2020 eingeführt. Auf www.agv-bw.de (Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände e.V.) kann man in diesem Zusammenhang die Forderung lesen:
„Ein Aufbau von Minusstunden ist nach den Neuregelungen nicht mehr erforderlich. Der Gesetzgeber sollte diese Sonderregelung, wie sie bereits während der Wirtschaftskrise 2009 bis 2011 galt, aber dauerhaft in den Gesetzestext übernehmen und das Kurzarbeitergeld auch unabhängig von der derzeitigen Krise ohne den Aufbau von negativen Arbeitszeitsalden gewähren.“
Die Adexa erklärt seit dem 6. April auf ihrem Internetauftritt auch, dass kein/e Mitarbeiter/in der Einführung von Kurzarbeit zustimmen muss (es sei denn, die Anordnung ist laut Arbeitsvertrag schon ohne Zustimmung möglich). Die Zustimmung solle man daher daran knüpfen, dass die Bundesagentur für Arbeit Kurzarbeitergeld genehmigt. So sei gewährleistet, dass eine staatliche Stelle überprüft, ob tatsächlich ein Arbeitsausfall vorliegt, und dass der finanzielle Schaden abgemildert wird. Die Zustimmung sollte immer zeitlich befristet sein.