COVID-19-Therapieoptionen
Corona-Pandemie
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Colchicin vorteilhaft bei COVID-19

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Colchicin bei COVID-19. | Bild: IMAGO / Belga

In einer kleinen Studie mit 75 Teilnehmern untersuchten Wissenschaftler um Maria Isabel Lopes von der University of São Paulo (Brasilien) mögliche positive Effekte von Colchicin auf COVID-19. Alle Patienten hatten eine PCR-bestätigte SARS-CoV-2-Infektion und zeigten typische Zeichen einer COVID-19-Pneumonie im CT. Sie waren mittelschwer (Fieber, Atemnot) bis schwer (Sauerstoffsättigung höchstens 92 Prozent, Atemfrequenz  mindestens 30 pro Minute) an COVID-19 erkrankt und wurden deswegen im Krankenhaus behandelt. Die Studie lief placebokontrolliert und doppelblind.

Zusätzlich zur Standardtherapie

Die Teilnehmer wurden per Zufall der Colchicin- oder Placebogruppe zugeteilt (randomisiert) und erhielten entweder Colchicin (0,5 mg dreimal täglich für fünf Tage, dann 0,5 mg zweimal täglich für fünf Tage, bei einem Körpergewicht von 80 Kilogramm und mehr lag die Anfangsdosis bei 1 mg, während die Einzeldosis bei Nierenfunktionsstörungen auf 0,25 mg verringert wurde) oder wirkstofffreie Tabletten, jeweils zusätzlich zur Standardbehandlung – sprich: das Antibiotikum Azithromycin 500 mg einmal täglich (sieben Tage), Hydrochychloroquin 400 mg (zweimal täglich für zwei Tage, einmal täglich für bis zu acht Tage), unfraktioniertes Heparin 5.000 IE dreimal täglich.

Methylprednisolon wurde nach Veröffentlichung positiver Wirkungen des Glucocorticoids für Patienten mit einem Sauerstoffbedarf von mindestens 6 l/Minute zusätzlich in das Studienprotokoll aufgenommen. Das mittlere Alter der Patienten lag bei etwa 55 Jahren, in der Colchicingruppe waren etwas mehr Männer (19) als in der Placebogruppe (14).

Fast alle Patienten waren stark übergewichtig

Als primäre Endpunkte der Studie definierten die Wissenschaftler die benötigte Zeit einer Sauerstoffbehandlung, die Dauer des Krankenhausaufenthaltes und der intensivmedizinischen Versorgung sowie die Sterberate. 72 Patienten – je 36 in der Placebo- und in der Colchicingruppe – wurden ausgewertet. 25 Colchicinpatienten und 24 Placebopatienten hatten zusätzlich zur Standardbehandlung noch Methylprednisolon erhalten. Erwähnenswert ist, dass nahezu alle Probanden übergewichtig waren: Der mediane BMI lag in der Colchicingruppe bei 33,5 kg/m2 und in der Placebogruppe bei 29,7 kg/m2. Nur einer von 36 Patienten in der Colchicingruppe war normalgewichtig (maximaler BMI 25 kg/m2), in der Placebogruppe waren es nur vier. Übergewicht zählt zu den bekannten Risikofaktoren bei COVID-19.

Gut zu wissen: Übergewicht und COVID-19

Übergewicht ist ein bekannter Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe. So rät die Ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut in ihrer aktualisierten STIKO-Empfehlung zur COVID-19-Impfung, Adipöse ab einem BMI von 30 kg/m2 in Gruppe drei (von sechs) gegen COVID-19 zu impfen – gemeinsam mit über 70-Jährigen oder Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen. Die Coronavirus-Impfverordnung differenziert sogar und berücksichtigt Adipöse ab einem BMI von 40 kg/m2 bereits in der zweiten Stufe mit „hoher Priorität“, stark Übergewichtige mit einem BMI zwischen 30 kg/m2 und 40 kg/m2 in der dritten Stufe („erhöhte Priorität“).

Kürzerer Sauerstoffbedarf, schnellere Entlassung

Mindestens die Hälfte der Colchicinpatienten benötigte nach vier Tagen keinen zusätzlichen Sauerstoff mehr. In der Placebogruppe waren die Patienten hingegen durchschnittlich 6,5 Tage auf Sauerstoff angewiesen: An Tag sieben hatten 9 Prozent der Colchicinpatienten noch Sauerstoff, aber 42 Prozent in der Placebogruppe. Colchicinpatienten konnten im Schnitt nach sieben Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden, Placebopatienten verblieben im Schnitt zwei Tage länger hospitalisiert und verließen das Krankenhaus nach neun Tagen. „Diese beiden primären Endpunkte haben Relevanz für die tägliche Praxis der COVID-19-Pandemie: Sie verkürzen die Dauer des Krankenhausaufenthalts und reduzieren damit den Bedarf an Krankenhausbetten und dadurch Kosten. Darüber hinaus ist die Behandlung mit Colchicin an sich nicht teuer“, erklären die Wissenschaftler.

Zwei Tote in der Placebogruppe

Zwei Colchicinpatienten und vier aus der Placebogruppe mussten für zwölf Tage (Colchicin) beziehungsweise elf Tage (Placebo) auf die Intensivstation. Das zeige, erklären die Wissenschaftler, dass Colchicin die systemische Entzündung nicht bei allen Patienten ausreichend reduziert. Insgesamt waren die Patienten sodann 23 Tage (Colchicin) beziehungsweise 26 Tage (Placebo) im Krankenhaus. Zwei Patienten (männlich) aus der Placebogruppe verstarben an einer beatmungsassoziierten Pneumonie. In der Colchicingruppe überlebten alle COVID-19-Patienten. Aufgrund der geringen Fallzahlen werteten die Wissenschaftler die Aufnahme auf die Intensivstation und Sterberate statistisch nicht aus.

Wie wurde Colchicin vertragen?

Die Wissenschaftler bewerten die Mehrzahl der unerwünschten Ereignisse als mild, keine Behandlung wurde aufgrund von Nebenwirkungen abgesetzt. Es kam zur Erhöhung von Leberwerten in beiden Gruppen. Durchfälle traten unter Colchicin (17 Prozent) häufiger neu auf oder verschlimmerten sich als unter Placebo (6 Prozent), allerdings war die Nebenwirkung mit Racecadotril gut behandelbar. Überprüft wurden auch kardiale Ereignisse – bekannte Nebenwirkungen einer Therapie mit Hydroxychloroquin und Azithromycin –, hier hatte Colchicin keinen Effekt.

Wie wirkt Colchicin?

Auf welchem Weg Colchicin Krankenhausdauer und Sauerstoffversorgung verkürzte, ist nicht klar. Eine direkte antivirale Wirkung ist nach Einschätzung der Wissenschaftler „sehr unwahrscheinlich“. Sie gehen von antientzündlichen Wirkungen aus, was mit dem signifikanten Abfall des CRP (C-reaktives Protein, ein Entzündungsmarker) an Tag vier in der Colchicingruppe und Tag sieben in der Placebogruppe im Einklang stünde. „Unabhängig vom Wirkmechanismus – Hemmung des Inflammasoms (Multiproteinkomplexe des angeborenen Immunsystems, die Entzündungsreaktionen aktivieren) oder Verringerung der Migration und Aktivierung von Neutrophilen oder Verhinderung von Endothelschäden – Colchicin scheint bei der Behandlung von hospitalisierten Patienten mit COVID-19 nützlich zu sein“, erklären die Studienautoren.

Nur wenige Probanden

Als größte Schwäche der Studie nennen sie die kleine Teilnehmerzahl und somit die fehlende Möglichkeit, den Effekt von Colchicin auf die Einweisung auf die Intensivstation und auf die Sterblichkeit zu beurteilen.

Vorteil von Colchicin bei Sauerstoffbedarf und Krankenhausaufenthalt

Ihr Fazit bleibt positiv: „Patienten, die in dieser doppelblinden, placebokontrollierten klinischen Studie Colchicin erhielten, erholten sich hinsichtlich zusätzlichem Sauerstoffbedarf und Dauer des Krankenhausaufenthalts besser“, wobei Serum-CRP ein Labor-Marker für die klinische Verbesserung war. Und: „Colchicin war sicher und gut verträglich.“ Größere klinische Studien sollten durchgeführt werden, um die Wirksamkeit und Sicherheit als Zusatztherapie für hospitalisierte Patienten mit mittelschwerer bis schwerer COVID-19 weiter zu untersuchen.
Ihre Arbeit veröffentlichten die Wissenschaftler in „Rmd Open“, einem zum BMJ (British Medical Journal) gehörenden Journal und eine offizielle Fachzeitschrift der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR).

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