Schwerer Corona-Verlauf bei Rauchern?
Dass Rauchen nicht gesund ist, ist eine Binse – schließlich steht bereits auf den Zigarettenpackungen „Rauchen ist tödlich“. „Wir wissen, dass jede Art von Lungenerkrankung bei Rauchern häufiger und meist schwerer auftritt“, sagt Prof. Dr. Stefan Andreas, Ärztlicher Leiter der Lungenfachklinik Immenhausen und Leiter des Bereichs Pneumologie an der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Uniklinik Göttingen, als Experte für die Deutsche Lungenstiftung.
Und das gilt auch für die durch das Virus SARS-CoV-2 ausgelöste Lungenkrankheit COVID-19. Mehrere Studien, die insbesondere Patientendaten aus China und Italien zu Grunde legten, konnten bereits einen statistischen Zusammenhang darstellen zwischen einem schweren oder gar tödlichen Verlauf der Krankheit und dem Umstand, ob die Patienten Raucher oder Nichtraucher waren.
„Rauchen ist immer ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf“
Laut zweier Metaanalysen, die in den Fachportalen „Tobacco induced diseases“ und „medRxiv“ veröffentlicht wurden, haben Raucher eine um den Faktor 1,4 höhere Wahrscheinlichkeit für einen schwereren Verlauf von COVID-19. Die Wahrscheinlichkeit, intensivmedizinische Betreuung oder Beatmung nötig zu haben oder gar zu sterben, liegt laut der Studie von Varvas et al. sogar um den Faktor 2,4 höher als bei Nichtrauchern. Alle Metaanalysen stützen sich dabei unter anderem auf eine Auswertung von Patientendaten aus China, die im New England Journal of Medicine erschienen ist.
Auch wenn alle Studienautoren einschränken, dass die Evidenz des Zusammenhangs aufgrund der Zahl der ausgewerteten Patientendaten noch nicht abschließend als signifikant eingestuft werden könne – wobei die Studie aus China immerhin 1100 Patientendaten umfasste –, liegt für Experten wie Professor Andreas eine Kausalität auf der Hand. „Rauchen ist immer ein Risikofaktor für einen schweren Verlauf“, sagt er. Studien zu anderen respiratorischen Erkrankungen wie Influenza zeigten dies evident und eindeutig auch auf. Zu COVID-19 könne man sich auf die Erfahrungen aus China stützen. „Unter Pneumologen gilt das höhere Risiko durch Rauchen als eindeutig“, sagt er.
Epithelien bei Rauchern anfälliger für Krankheitserreger
Bei COVID-19 spielen daher bereits bekannte Faktoren des Rauchens ebenfalls eine Rolle. Rauchen schädigt nachweislich die Lunge und die Epithelien der Atemwege. Durch die herabgesetzte Tätigkeit der Zilien, der Flimmerhärchen, in den Bronchien werden Schleim, Staub und auch Krankheitserreger schlechter herausbefördert. Die Sauerstoffsättigung des Blutes in der Lunge ist geringer, dazu hemmen Giftstoffe aus dem Zigarettenrauch wie Kohlenmonoxid nicht nur die Sauerstoffaufnahme, sondern auch alle Sauerstoff und Energie benötigenden Prozesse, zu denen auch die der Immunabwehr gehören. Allgemein sind die Epithelien der Lunge bei Rauchern geschädigt und für Krankheitserreger leichter passierbar als das bei Nichtrauchern der Fall ist.
Auch die durch den Gebrauch der Zigaretten häufigeren Hand-Mund-Kontakte gelten als ein Faktor, der die Wahrscheinlichkeit, sich allgemein mit Erregern zu infizieren, erhöht. Das Robert-Koch-Institut hat im Zusammenhang mit COVID-19 unter anderem aufgrund der bisherigen Studien, Raucher in die Risikogruppe für einen schweren Verlauf subsumiert – mit der Einschränkung der bislang noch geringen Evidenz.
ACE2-Rezeptor im Visier
Unterdessen hat eine jetzt im European Respiratory Journal erschienene Arbeit einen für das SARS-CoVirus-2 möglichen direkten ursächlichen Zusammenhang zwischen Rauchen und dem schweren bis tödlichen Verlauf von COVID-19 ermittelt. Die Forscher um Janice Leung von der Universität von British Columbia und dem St. Paul's Hospital in Vancouver haben die Expression des Proteins ACE2 (Angiotensin-konvertierendes Enzym 2) im Lungengewebe bei Rauchern und COPD- (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) Patienten mit der von Nichtrauchern verglichen.
ACE2 ist bekannt als der Rezeptor, über den das Virus SARS CoV-2, aber auch die Erreger von MERS und SARS, ebenfalls Viren aus der Familie der Coronaviren, an die Zellen des Lungenepithels andocken und darüber in die Zelle gelangen. Physiologisch spielt ACE2 eine Rolle bei der Regulation des Blutdrucks und stellt unter anderem vasodilatative, also gefäßweitende Faktoren zur Verfügung.
Raucher und COPD-Patienten exprimieren mehr ACE2
Bei Rauchern und den COPD-Patienten fanden die Forscher eine „signifikant erhöhte“ Expression des Rezeptors. Erhoben hatten sie ihre Ergebnisse zunächst an Zellen aus einer Kohorte von 21 COPD-Patienten, die im St. Paul's Hospital bronchoskopiert wurden. Dabei stammten die Zellproben aus den tieferen Atemwegen. Als Vergleich diente eine ebenso große Kontrollgruppe Gesunder.
Die Forscher fanden bei COPD-Betroffenen eine um den Faktor 2,52 höhere Expression des Proteins. Außerdem verglichen sie in einer weiteren Versuchsreihe die Expression im Gewebe einer Gruppe von Rauchern mit der bei Nichtrauchern und fanden ebenfalls eine signifikante Erhöhung. Die Forscher validierten ihre Ergebnisse mit zwei größeren Vergleichsgruppen mit 211 und 238 Patienten. Damit, so schreiben die Wissenschaftler, habe man erstmals beim Menschen einen Zusammenhang zwischen Rauchen und vermehrter Expression von ACE2 nachweisen können, auch wenn weitere Studien das noch untermauern müssten. Im Tiermodell, so sagen die Forscher, habe man bereits zuvor diese Beobachtung machen können: Expression und Aktivität von ACE2 waren bei kleinen Tieren nach der Exposition mit Rauch erhöht.
WHO, Politiker und Lungenexperten raten zu Rauchstopp
Daraus, so die Forscher, könne man schließen, dass das höhere Risiko für Raucher und COPD-Patienten, an der schweren Form von COVID-19 zu erkranken, unter anderem in der erhöhten ACE2-Expression bei diesen Gruppen begründet liege. Peter Liese, Arzt, Abgeordneter für die CDU im Europäischen Parlament und gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, kommt aufgrund dieser Studie zu dem Schluss: „Wer jetzt noch raucht, sollte sofort damit aufhören.“ Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt Rauchern angesichts der COVID-19-Pandemie, umgehend mit dem Rauchen aufzuhören.
Experten fordern: Tabakentwöhnung sollte finanziert werden
„Wenn man die großen finanziellen Kollateralschäden der Pandemie bedenkt, wäre es nun eigentlich ein guter Zeitpunkt, Rauchern in Deutschland endlich eine Tabakentwöhnung zu finanzieren“, sagt der Lungenexperte Professor Andreas, der auch Sprecher für das Aktionsbündnis Nichtrauchen e.V. (ABNR) ist. Es müssten konkrete Programme und Hilfen unter anderem mit Medikamenten etwa durch die Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden, um Rauchern beim Aufhören zu helfen, sagt er. Die Empfehlung der WHO könne man nur unterstützen. Rauchen sei somit eine zusätzliche mögliche Belastung für das Gesundheitssystem und mit entsprechender organisierter Hilfe ein vermeidbares Risiko, sagt der Experte.