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Studie in "Cell": Frühere Infektionen mit Coronaviren schützen nicht vor SARS-CoV-2

3D-Grafik eines Virus in Rottönen
Kann eine überstandene Infektion mit Coronaviren vor einer weiteren SARS-CoV-2-Infektion schützen? | Bild: peterschreiber.media / Adobe Stock

Coronaviren verursachen häufig Infektionen der oberen und unteren Atemwege, vor allem während der Wintermonate von Dezember bis März. Zu den bekannten humanpathogenen und endemischen (dauerhaft gehäuft auftretenden) humanen Coronaviren (hCoV) zählen HKU1 und OC43, die wie SARS-CoV-2 zu den Betacoronaviren gehören, und die Alphacoronaviren 229E und NL63. Bieten im Laufe des Lebens durchgemachte Infektionen mit diesen Coronaviren nicht einen gewissen Schutz vor SARS-CoV-2?

Daten hierzu gibt es bereits – auch zu der Frage, ob Kinder deswegen seltener und weniger schwer an COVID-19 erkranken als Erwachsene. Weil sie aufgrund häufiger Infektionen vielleicht höhere Antikörperkonzentrationen gegen saisonale Coronaviren haben und diese eine gewisse Kreuzreaktivität zu SARS-CoV-2 zeigen könnten.

Kreuzreaktivität: Saisonale Coronaviren und SARS-CoV-2

Welche Hinweise gibt es?

Eine im September 2020 veröffentlichte Studie deutete darauf hin, dass bereits vorhandene Immunantworten auf endemische Coronaviren durch kurz zurückliegende Infektionen zwar SARS-CoV-2-Infektionen nicht verhinderten, jedoch schwere COVID-19-Verläufe mildern könnten. Doch bleiben viele Fragen offen.

Noch ist unbekannt, ob diese scheinbare Kreuzimmunität durch eine antigenspezifische zelluläre (T-Zell-Antwort) oder humorale (B-Zell-Antwort) vermittelt wird. Ob es nur ein kurzfristiger Kreuzschutz ist und ob frühere Coronavirusinfektionen Antikörper produzieren lassen, die sodann SARS-CoV-2-Infektionen verhindern oder ihren Ausgang beeinflussen.

Zudem ist unbekannt, ob das Alter bei der Kreuzimmunität eine Rolle spielt. Bekanntermaßen erkranken ältere Erwachsene häufiger symptomatisch und schwer an COVID-19 als Kinder. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Kinder und jüngere Erwachsene eine stärkere vorbestehende Immunität gegen saisonale humane Coronaviren (hCoVs) haben, die mit SARS-CoV-2 kreuzreagieren und so einen Schutz vor symptomatischen und sogar schweren SARS-CoV-2-Infektionen bieten. So fanden Londoner Wissenschaftler um George Kassiotis (Francis Crick Institute, Imperial College of London) in SARS-CoV-2-negativen Personen Antikörper, die mit einer Untereinheit des SARS-CoV-2-Spikeproteins kreuzreagierten und eine neutralisierende Aktivität zeigten. Kinder hatten diese Antikörper im Vergleich zu Erwachsenen deutlich häufiger.

Um hier weiter Klarheit zu schaffen, haben Wissenschaftler um Scott Hensley, von der Perelman School of Medicine in Philadelphia, Serumproben von Menschen unterschiedlichen Alters untersucht. Diese Proben waren bereits 2017, sprich vor der COVID-19-Pandemie, angelegt worden. Sie bestimmten darin die Antikörperkonzentrationen gegen hCoV und prüften, ob diese Antikörper auch auf SARS-CoV-2 passen und vor COVID-19 schützten. Ihre Arbeit veröffentlichten die Forscher Anfang Februar im Fachjournal „Cell“.

Jede fünfte Probe enthält kreuzreaktive Antikörper – doch sind sie auch neutralisierend?

Insgesamt wurden 431 Serumproben untersucht – 263 von Kindern im Alter von 1 bis 17 Jahren (vom Children's Hospital of Philadelphia) und 168 von Erwachsenen zwischen 18 und 90 Jahren (Penn Medicine Biobank). Um bei der Penn Medicine Biobank ausgewählt zu werden, durften die Personen keine Organtransplantation oder Krebs in der Vorgeschichte aufweisen, in den letzten neun Monaten nicht schwanger gewesen sein und keine Infektionskrankheit innerhalb der letzten 28 Tage vor Blutentnahme durchgemacht haben. Die ausgewählten Seren wurden mit Laborviren versetzt, die Oberflächenstrukturen (u. a. SARS-CoV-2-Spikeprotein) trugen, und es wurde geprüft, ob eine Antigen-Antikörper-Reaktion stattfand.

Die Wissenschaftler fanden in etwa 20 Prozent dieser 2017 entnommenen Proben kreuzreaktive Antikörper (IgG) gegen SARS-CoV-2.

  • 4,2 Prozent der Serumproben enthielten Antikörper, die mit dem SARS-CoV-2-Spikeprotein (S) in voller Länge reagierten.
  • Bei 0,93 Prozent der Proben reagierten die früheren Coronavirus-Antikörper mit der Rezeptorbindungsdomäne (RBD) des SARS-CoV-2-Spikeproteins.
  • Die meisten Proben (16,2 Prozent) enthielten jedoch Antikörper, die mit dem SARS-CoV-2-Nukleokapsidprotein (N) reagierten, also auf die Proteinhülle von SARS-CoV-2 passten.

Bedeutsam ist hier – Antikörper gegen das Nukleokapsid wirken selten neutralisierend. Am ehesten erwartet man eine neutralisierende Wirkung von Antikörpern, die sich gegen die Rezeptorbindedomäne von SARS-CoV-2 richten – diese benötigt SARS-CoV-2, um in die menschliche Zelle zu gelangen. Ist diese jedoch durch Antikörper besetzt, kann SARS-CoV-2 nicht in die Zelle eindringen (neutralisierende Antikörperwirkung).

Die Wissenschaftler schreiben: „Im Gegensatz zu Serum-Antikörpern von bereits an COVID-19 Erkrankten (PCR-bestätigt) wiesen Serum-Antikörper von Personen vor der Pandemie sehr niedrige oder nicht nachweisbare Konzentrationen von SARS-CoV-2-neutralisierenden Antikörpern auf, unabhängig davon, ob die Probe kreuzreaktive Antikörper gegen SARS-CoV-2-Spike- und -Nukleokapsidproteine besaß oder nicht.“ Das bedeutet, die Wissenschaftler fanden zwar kreuzreaktive Antikörper, diese waren jedoch nicht neutralisierend.

Gleiche Coronavirus-Antikörperkonzentration bei Kindern und Erwachsenen

Am häufigsten hatten die präpandemischen Serumproben Antikörper gegen das Spikeprotein der humanen Coronaviren 229E, NL63 und OC43, wobei die höchsten Antikörperspiegel für hCoV-OC43 festgestellt wurden. Auch fanden die Wissenschaftler keine Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen hinsichtlich der Antikörperkonzentrationen (entgegen anderen Studien: siehe Infokasten). Doch abgesehen von diesen reinen Labortests – verhindern diese saisonalen Coronavirus-Antikörper vielleicht unter realen Bedingungen COVID-19? Das war die Frage hinter einer weiteren Studie.

Verhindern kreuzreaktive Antikörper COVID-19 oder mildern schwere Verläufe?

In einer weiteren Untersuchung verglichen die Wissenschaftler sodann 251 präpandemische Serumproben von mittlerweile an COVID-19 Erkrankten (und wieder Genesenen) mit 251 präpandemischen Serumproben von Personen, die sich bislang nicht mit SARS-CoV-2 infiziert haben. Erkranken Menschen mit kreuzreaktiven Antikörpern gegen saisonale Coronaviren seltener oder weniger schwer an COVID-19? Die Ergebnisse ähneln der ersten Studie:

  • In 23,9 Prozent der präpandemischen Proben fanden sich Antikörper, die mit dem SARS-CoV-2-Nukleokapsidprotein reagierten.
  • 2,2 Prozent der Serumproben enthielten Antikörper, die gegen das SARS-CoV-2-Volllängen-Spikeprotein reaktiv waren.
  • Nur 0,6 Prozent der Proben besaß präpandemische Antikörper, die mit der SARS-CoV-2-Rezeptorbindedomäne interagierten.

Antikörper saisonaler Coronaviren verhindern keine SARS-CoV-2-Infektion

Allerdings beeinflusste das Vorhandensein der kreuzreaktiven Antikörper nicht, ob sich ein Patient mit SARS-CoV-2 infizierte oder nicht. Die Wissenschaftler fanden keinen Zusammenhang zwischen Antikörpern (gegen das Spikeprotein des saisonalen Coronavirus OC43) und der Häufigkeit einer Infektion mit SARS-CoV-2, dem Schweregrad von COVID-19, Krankenhauseinweisungen, der Behandlung auf Intensivstationen oder Beatmungen.

Waren die Serumproben zu „alt“?

Nun könnte es sein, bedenken die Studienautoren, dass die Antikörper der teilweise mehrere Jahre alten Serumproben (gesammelt 2013 bis 2020) nicht die tatsächlich vorhandenen saisonalen Coronavirus-Antikörperspiegel der Patienten zum Zeitpunkt der Pandemie widerspiegelten. Denn die Antikörperspiegel verändern sich über die Zeit. So deutet eine frühere Studie, veröffentlicht im September 2020 im Fachjournal „Nature Medicine“, darauf hin, dass eine schützende Immunität gegen saisonale Coronaviren kurzlebig ist oder über die Jahre – vermutlich durch wiederholte Exposition – schwanken kann. Um auch diesen Effekt besser zu berücksichtigen, verglichen die Wissenschaftler eine Untergruppe von Serumproben von April 2019 bis März 2020. Doch auch hier fanden sie keinen schützenden Effekt durch Antikörper saisonaler Coronaviren: Die Menschen besaßen präpandemische kreuzreaktive, nicht neutralisierende Antikörper gegen SARS-CoV-2-Spike- und -Nukleokapsidproteine, aber diese Antikörper waren weder mit dem Schutz vor SARS-CoV-2-Infektionen noch der Verringerung von Krankenhausaufenthalten nach SARS-CoV-2-Infektionen verbunden.

Schützen SARS-CoV-2-Antikörper vor saisonalen Coronaviren?

Allerdings machten die Wissenschaftler eine andere Beobachtung. So erhöhte eine SARS-CoV-2-Infektion die Antikörpertiter gegen das saisonale Coronavirus OC43 – sowohl OC43 als auch SARS-CoV-2 zählen zu den Betacoronaviren. Dies untersuchten die Wissenschaftler an COVID-19-Erkrankten. Zuvor hatten sie eine Doppelinfektion mit OC43 parallel zu SARS-CoV-2 ausgeschlossen. Anderen hCoV-Antikörpertitern verschaffte eine SARS-CoV-2-Infektion hingegen keinen „Boost“. Diese Daten deuteten darauf hin, dass präpandemische SARS-CoV-2 reaktive Antikörper wahrscheinlich durch zuvor zirkulierende Betacoronavirus-Stämme wie OC43 hervorgerufen wurden, schlussfolgern die Forscher. Allerdings beeinflussten die erhöhten hCoV-OC43-Antikörperspiegel nicht den Ausgang der COVID-19-Erkrankung. „Die Ergebnisse liefern Hinweise, dass kreuzreaktive Antikörper, die durch frühere hCoV-Infektionen ausgelöst werden, nicht mit dem Schutz vor SARS-CoV-2-Infektionen assoziiert sind, sondern nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 verstärkt werden.“ Ob nun diese erhöhten Antikörperspiegel sodann auch vor Erkältungen durch das saisonale Coronavirus OC43 schützen, untersuchten die Wissenschaftler nicht.

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