COVID-19: Krankheitsverläufe und mögliche Spätfolgen
Zig Millionen Menschen weltweit haben eine Infektion mit dem Coronavirus bereits überstanden. Die Dunkelziffer gilt als hoch, auch weil Sars-CoV-2 vielfach kaum oder gar keine Symptome verursacht. Wenn die vom Virus verursachte Erkrankung COVID-19 einen schwereren Verlauf nimmt, sind die Patienten allerdings oft nach Wochen noch nicht wieder vollständig genesen. Ob und in welchem Ausmaß mit Spät- und Langzeitfolgen zu rechnen ist, darüber weiß man bislang noch wenig. Mit Fortschreiten der Pandemie finden Forscher jedoch immer mehr über die Krankheitsverläufe und Folgeschäden heraus. Muster und Zusammenhänge werden erkennbar. Hier ein aktueller Überblick:
Milder Verlauf mit und ohne Symptome
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt den Anteil der milden Verläufe auf rund 80 Prozent aller Fälle. Bei den Infizierten, die etwas von dem Virus merken, zählen laut RKI vor allem Husten (49 Prozent) und Fieber (41 Prozent) zu den häufigsten Symptomen.
„Die Patienten, mit denen wir gesprochen haben, berichteten, dass die Symptome mitunter schon sehr heftig waren“, sagt Matthias Kochanek, Oberarzt am Universitätsklinikum Köln. Sie hätten etwa über 10 bis 21 Tage lang angehalten. „Die Dauer fühlte sich bei vielen Patienten länger an als man sie von einer normalen Grippe beispielsweise kennt“, sagt der Intensivmediziner. Noch könne dieser Wert aber nicht als gesichert gelten.
Bekannt ist, dass sich viele Patienten nach einem milden Infektionsverlauf recht zügig wieder fit fühlen. „Die meisten Patienten haben uns danach auch berichtet, dass sie wieder komplett belastbar waren“, so Kochanek. Die Genesung hänge auch vom Einzelfall und möglichen Begleiterkrankungen ab.
Geschmacks- und Riechveränderungen auch bei milden Verläufen
Wenig wissen Mediziner bisher über die Geschmacks- und Riechveränderungen, die einem Teil der Patienten auch bei milden Verläufen auffielen. „Beobachtungsstudien zeigen, dass sich diese Problematik in zwei bis drei Wochen bei der Mehrzahl der Patienten zurückbildet“, sagt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. In etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle bleibe die Störung länger bestehen.
Dass viele Patienten parallel zu Riechstörungen vermeintlich auch über Veränderungen bei der Geschmackswahrnehmung berichten, könnte laut einer Analyse, an der auch das Universitätsklinikum Dresden beteiligt ist, ein Interpretationsfehler sein. Die meisten der Befragten COVID-Patienten können demnach die vier Geschmacksrichtungen süß, sauer, bitter und salzig weiter einigermaßen zuverlässig unterscheiden – nicht aber Aromen, für die es ein Zusammenspiel mit dem Geruchsinn brauche.
20 Prozent der Infizierten benötigen Klinikaufenthalt
Rund 20 Prozent der Corona-Infektionen verlaufen laut WHO so schwer, dass die Patienten im Krankenhaus behandelt werden müssen. Je nach Krankheitsverlauf unterscheidet sich die Behandlung. Manche Patienten brauchen wegen Atemnot zwar Sauerstoff, können aber auf einer Normalstation behandelt werden. „Diese Patienten weisen in etwa einen gleichen Verlauf auf wie die Patienten mit mildem Verlauf“, erklärt Intensivmediziner Kochanek. „Sie brauchen mitunter lediglich etwas länger bei der Genesung.“
Andere Patienten erkranken etwas schwerer und brauchen noch etwas mehr Sauerstoff – etwa über einen kleinen Plastikschlauch unter der Nase. Diese Betroffenen bräuchten im Vergleich zu einem milden Verlauf deutlich länger, etwa drei bis vier Wochen, um wieder richtig fit zu sein, sagt Kochanek. „Nachdem diese Patienten das Krankenhaus verlassen haben, haben sie uns erzählt, dass sie sich noch eine ganze Zeit lang schlapp und müde und nicht so leistungsfähig gefühlt haben.“
Künstliche Beatmung mit erheblichen Risiken verbunden
Ist die Lungenfunktion von COVID-19-Patienten so stark eingeschränkt, dass eine solche Versorgung mit Sauerstoff bei zunehmender Atemnot nicht mehr ausreicht, werden sie auf die Intensivstation verlegt und bekommen in ein künstliches Koma versetzt eine Beatmung über einen Schlauch in der Luftröhre. Eine solche Intubation birgt Risiken.
So ist das Aufheben der Beatmung ein schwieriger Prozess – je länger sie dauerte, desto stärker sind neben anderen auch die zum Atmen benötigten Muskeln abgebaut. Gerade bei Älteren ist es schwierig, sie wieder bis zum Zustand zuvor aufzubauen. Auch reagiert die Lunge empfindlich auf Überdruck und auch auf den Sauerstoff, der der Beatmungsluft zugesetzt wird. Lungengewebe kann irreparabel geschädigt werden. Auch in anderen Organen kann eine künstliche Beatmung zu Schäden führen.
Über die Schläuche kann zudem zusätzlich zur Viruserkrankung eine bakterielle Infektion in der Lunge entstehen. Bei fast allen COVID-19-Patienten am Kölner Universitätsklinikum sei eine solche zweite oder gar dritte von Bakterien ausgelöste Lungenentzündung festzustellen, berichtet Kochanek.
Schwere COVID-19 Fälle benötigen länger für die Genesung
Über Langzeitfolgen etwa solcher Lungenentzündungen lassen sich Experten zufolge noch keine gesicherten Aussagen machen. Bei heftigeren Verläufen, etwa mit schwerem Lungenversagen und langer Beatmungsdauer, seien durchaus Restsymptome wie ein vermindertes Lungenvolumen zu erwarten, sagt der Mediziner Sven Gläser vom Vivantes-Klinikum Neukölln.
Es sei ein Muster zu erkennen, sagt Kochanek: Schwer erkrankte COVID-19-Patienten bräuchten im Vergleich zu Patienten mit anderen Formen der Lungenentzündung sehr viel länger für ihre Genesung. Eine seiner ersten Patientinnen, 80 Jahre alt, wurde erst vor kurzem in eine Rehaklinik entlassen. Sie war etwa drei Wochen nach Karneval in die Klinik gekommen – also Mitte März.
Auch neurologische Einschränkungen als Langzeitfolgen denkbar
Bei einigen Patienten werden zudem schwere neurologische Erkrankungen sichtbar – sogenannte Enzephalopathien, also Schädigungen im Gehirn. „Das drückt sich in Unruhe und Verwirrtheit aus, auch die Leistung des Gedächtnisses kann beeinträchtigt sein“, erklärt Berlit. Noch fehle es auch dazu an Langzeiterkenntnissen. Zu befürchten sei aber, dass solche Einschränkungen über längere Zeit bleiben könnten.
Ein weiteres Risiko seien die Langzeitfolgen durch Schlaganfälle, die laut Berlit nicht nur bei schwer erkrankten COVID-19-Patienten bedingt durch eine höhere Thromboseneigung gehäuft beobachtet werden. Welche Symptome zurückblieben, hänge vor allem vom betroffenen Hirnareal ab.
Unklar sind auch noch die Folgen epileptischer Anfälle, die im Zusammenhang mit einem Zytokinsturm, einer Immunantwort auf die Coronainfektion, beobachtet wurden. Ob eine Epilepsie als dauerhafte Folge nach der Infektion zurückbleiben kann? „Das ist denkbar, aber wir wissen es noch nicht“, sagt Berlit. Quelle: dpa/sn