COVID-19-Impfung
Corona-Pandemie
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Ursachenforschung: Welche Ereignisse führten zum Impfstopp

Unzählige vorbereitete Impfspritzen auf Metalltablett
Eine Frage eines Journalisten während der EMA-Pressekonferenz richtete den Fokus neben AstraZeneca auch auf die anderen COVID-19-Impfstoffe von Moderna und Biontech. Cooke bestätigte, dass man auf alle Impfstoffe schaue, der Fokus aber auf AstraZeneca liege. | Bild: IMAGO / Eibner Europa

Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) am vergangenen Montag berichtete, hatte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach den Impfstopp mit der COVID-19-Vakzine von AstraZeneca als „großen Fehler“ bezeichnet. Besser sei eine Prüfung bei laufenden Impfungen.

Am gestrigen Dienstag legte der Sozialdemokrat nach: Lauterbach zufolge lassen sich die nach Corona-Impfungen gemeldeten Thrombosen (Blutgerinnsel) der Hirnvenen „mit großer Wahrscheinlichkeit“ auf das Präparat von AstraZeneca zurückführen. „Das sieht man sonst in der Bevölkerung 50 mal im ganzen Jahr in Deutschland“, sagte Lauterbach am Montagmorgen im ARD-„Morgenmagazin“. Interessant dabei: Der Zusammenhang ergebe auch physiologisch Sinn. Nach aktuellem Wissensstand überwiege jedoch der Nutzen die Risiken, insbesondere bei Älteren.

Lauterbach spricht von „Hämolytisch Urämischem Syndrom“

Auf seinem Twitter-Account wurde Lauterbach noch konkreter: „So sehe ich es. Leider sind die Gehirnthrombosen mit Hämolytisch Urämischem Syndrom wahrscheinlich auf AstraZeneca Impfstoff zurückzuführen. Und es trifft auch Jüngere ohne Risikofaktoren. Weil aber das Risiko bei nur 1:250.000 etwa liegt, überwiegt der Nutzen, gerade für Ältere.“

Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hat mittlerweile ein FAQ zur temporären Aussetzung des COVID-19-Impfstoffs von AstraZeneca veröffentlicht. Dort findet das „Hämolytisch Urämische Syndrom“ keine Erwähnung.

Keine „normalen“ und häufigen Thrombosen

In einer Pressekonferenz der EMA am gestrigen Dienstag wurde auch die Direktorin Emer Cooke auf diesen Begriff angesprochen. Es schien, als müsse sie sich kurz mit ihrem Team beraten, ehe sie auf die Journalisten-Frage antwortete. Sie konnte schließlich keine Details dazu preisgeben, sagte aber, dass die Falldefinition sehr wichtig sei. So ist schon seit Montag bekannt, dass es sich bei den Fällen aus Deutschland um keine „normalen“ und häufigen Thrombosen handelt.

Betroffene zwischen 20 und 50 Jahre

Wie das PEI nun aktuell erklärt, handelt es sich dabei um eine spezielle Form von schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen in Verbindung mit einem Mangel an Blutplättchen (Thrombozytopenie) und Blutungen. Das sei eine sehr schwere Erkrankung, die außerdem schwer zu behandeln sei. Von den sieben betroffenen Personen in Deutschland waren drei Personen gestorben.

Wie Lauterbach bereits betonte, waren die betroffenen Personen etwa zwischen 20 und 50 Jahre alt. „Sechs der betroffenen Personen hatten eine besondere Form von Hirnvenenthrombosen, nämlich eine Sinusvenenthrombose“, erklärt das PEI. Alle sechs seien Frauen jüngeren bis mittleren Alters gewesen und ein weiterer Fall mit Hirnblutungen bei Mangel an Blutplättchen und Thrombosen sei medizinisch sehr vergleichbar.

Gut zu wissen: Zerebrale Venen- und Sinusthrombose (CVST)

Laut Leitlinie „Zerebrale Venen- und Sinusthrombose“ (CVST) handelt es sich bei der vom PEI beschriebenen Erkrankung um eine „Thrombose der venösen Blutleiter im Gehirn mit Entwicklung einer venösen Abflussstörung“. Es kann zwischen einer septischen und einer aseptischen zerebralen Sinus-/Venenthrombose unterschieden werden.

Die Leitlinie verrät, dass es eine Vielzahl potenzieller Ursachen beziehungsweise mit CVST assoziierter Krankheitsbilder gibt. Deshalb müsse darauf hingewiesen werden, dass eine Komorbidität vor allem mit häufigeren Erkrankungen keineswegs auch immer Kausalität bedeute. Unter den häufigsten Ursachen werden aufgelistet:

  • idiopathisch (20–35 Prozent der Fälle)
  • orale Kontrazeptiva (in 10 Prozent der Fälle alleiniger Auslöser), postpartal, selten im letzten Trimenon der Schwangerschaft
  • Gerinnungsstörungen

Impfungen sind dort nicht aufgeführt.

PEI sieht klare Häufung der Fälle

Alle Fälle traten zwischen vier und 16 Tage nach der Impfung mit dem COVID-19-Impfstoff von AstraZeneca auf, was sich als ein vergleichbares Muster dargestellt habe. Es handle sich um eine klare Häufung: „Etwa ein Fall wäre zu erwarten gewesen, sieben Fälle waren gemeldet worden.“ Zudem sei der von den schwerwiegenden Hirnvenenthrombosen mit Blutplättchenmangel betroffene Personenkreis in jüngerem bis mittlerem Alter nicht der Personenkreis, der von einem hohen Risiko für einen schweren oder gar tödlichen COVID-19-Verlauf betroffen ist. All das erklärt, warum man sich in Deutschland zur AstraZeneca-Pause entschieden hat.

EMA: Impfstoff-Nutzen überwiegt weiterhin die Risiken

Doch was steckt nun hinter den beschriebenen schweren Thrombosen oder dem „Hämolytisch Urämischen Syndrom“? Handelt es sich am Ende vielleicht doch um ein Chargen- oder Produktionsproblem europäischer Standorte? All das ist derzeit Gegenstand der laufenden Untersuchungen der EMA, die sich nicht vor Donnerstagnachmittag wieder zum Thema äußern möchte. Noch sei nicht klar, ob es sich um echte Nebenwirkungen oder eine zufällige Korrelation handelt, erklärte Cooke bei der heutigen Pressekonferenz. Das öffentliche Interesse an dem Fall habe nun die Meldung weiterer Nebenwirkungsverdachtsfälle gefördert, was gut für den laufenden Erkenntnisprozess sei. Jeder, dem Nebenwirkungen auffallen, solle diese auch melden.

Damit bleibt die EMA aber bei ihrem ursprünglichen Statement: „The benefits of the AstraZeneca vaccine in preventing COVID-19, with its associated risk of hospitalisation and death, outweigh the risks of side effects.“ Auf die Frage, ob die Impfpause in den Mitgliedsländern übereilt gewesen sei, wollte Cooke nicht eingehen. Doch sie betonte, dass der Nutzen des Impfstoffs weiterhin die Risiken überwiege.

„Immunthrombozytopenien“ und die anderen COVID-19-Impfstoffe

Eine Frage eines Journalisten während der EMA-Pressekonferenz richtete den Fokus neben AstraZeneca auch auf die anderen COVID-19-Impfstoffe von Moderna und Biontech. Cooke bestätigte, dass man auf alle Impfstoffe schaue, der Fokus aber auf AstraZeneca liege. Das ging auch bereits vergangenen Freitag aus den „Meeting Highlights“ des Pharmakovigilanzausschusses (PRAC) der EMA hervor: „PRAC prüft Signal für niedrige Blutplättchenkonzentration bei COVID-19-Impfstoffen“, hieß es dort. Dabei ist die Rede von „Immunthrombozytopenien“. Der PRAC habe eine Überprüfung gestartet, um Berichte über dieses Sicherheitssignal bei Patienten zu bewerten, die einen der drei COVID-19-Impfstoffe erhalten haben: Comirnaty, COVID-19-Impfstoff AstraZeneca und COVID-19-Impfstoff Moderna.

Könnten COVID-19-Impfstoffe eine Autoimmunreaktion auslösen?

Wie lässt sich eine solche Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen) mit einem erhöhten Thromboserisiko logisch vereinbaren? Eventuell gar nicht, und es handelt sich um verschiedene Fallkonstellationen. Laut dpa hält es der Immunologe Professor Carsten Watzl aber für möglich, dass eine COVID-19-Impfung in sehr seltenen Fällen eine Autoimmunreaktion auslösen kann. Bezüglich der ausgesetzten AstraZeneca-Impfungen sei dies auf Grundlage der bekannten Informationen aber „reine Spekulation“, so der Leiter der Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der Technischen Universität Dortmund.

Grundsätzlich müsse eine genetische Vorbelastung (Prädisposition) für eine Autoimmunerkrankung vorhanden sein. „Ein Umweltfaktor wie ein Infekt oder eine Impfung kann sie alleine nicht verursachen“, erklärte Watzl der dpa. Eine solche Autoimmunreaktion könne dafür sorgen, dass der Körper Antikörper gegen die eigenen Blutplättchen (Thrombozyten) bilde. Nach dem Auslösen dauert es dem Wissenschaftler zufolge ein bis zwei Wochen, bis sich Auto-Antikörper gebildet haben. Der Immunologe betont: „Selbst wenn das eine kausale Nebenwirkung der Impfung wäre, wäre sie sehr selten.“

Das hämolytisch-urämische Syndrom

Doch Lauterbach twitterte ja, dass es auch Jüngere ohne Risikofaktoren treffe. Also doch das „Hämolytisch-Urämische Syndrom“ (HUS)? Laut DocCheck handelt es sich dabei um eine seltene, postinfektiöse Erkrankung der Endothelzellen. Es zähle zu den thrombotischen Mikroangiopathien und sei charakterisiert durch die Symptomkombination aus

  • mikroangiopathischer hämolytischer Anämie (durch Zerfall von Erythrozyten bedingte Blutarmut),
  • Thrombozytopenie (Mangel an Blutplättchen)
  • und akutem Nierenversagen mit Urämie (Verunreinigung des Blutes mit harnpflichtigen Substanzen).

Allerdings sind vom HUS vor allem Kinder betroffen und es sind zahlreiche Ursachen (infektiöse und nichtinfektiöse) zu unterscheiden. Das Nachrichtenportal Medscape führt zur Ätiologie tatsächlich auch mögliche Impfungen auf (Influenza-Dreifachantigen-Impfstoff, Typhus-Paratyphus A- und B-Impfstoff (TAB), Polio-Impfstoff), allerdings ohne weitere Ausführungen.

Das „atypische“ hämolytisch-urämische Syndrom

In der „Gelben Liste“ wiederum wird das „atypische“ hämolytisch-urämische Syndrom beschrieben (aHUS). Dort heißt es: „Kinder, Jugendliche und Erwachsene können gleichermaßen an aHUS erkranken. Die Erkrankung wird häufig durch einen komplementverstärkenden Faktor wie zum Beispiel Infektionen, Durchfall, Impfungen, Organtransplantationen, Verletzungen, operative Eingriffe, Bluthochdruck, Schwangerschaft, Entbindung, Knochenmarks- oder Stammzelltransplantationen, Immunsuppressiva und andere Medikamente, Krebserkrankungen, Kokainkonsum sowie systemischem Lupus erythematodes (SLE) ausgelöst.“

Beim aHUS wäre die Thrombozytopenie eine Folge der Erkrankung, bei der sich laut gesundheitsinformation.de das Komplementsystem gegen den Körper richtet und sich im ganzen Körper Blutgerinnsel bilden, die insbesondere die kleinen Blutgefäße (Kapillaren) verstopften. Dadurch werde die Durchblutung lebenswichtiger Organe, zum Beispiel der Nieren, eingeschränkt. Außerdem würden rote Blutkörperchen zerstört. Was nun genau zu den beobachteten Sinusvenenthrombosen geführt hat – in Verbindung mit einer Thrombozytopenie – bleibt für die Öffentlichkeit trotz Recherchen Gegenstand von Spekulationen.

EMA prüft nun gemeldete Verdachtsfälle

Die EMA untersucht nun die gemeldeten Nebenwirkungsverdachtsfälle nicht nur statistisch, sondern auch die Einzelfälle auf ihre Besonderheiten hin, Subpopulationen finden also Beachtung. Das Thema der Herstellung ist ebenfalls Teil der Ursachensuche, wird als Grund der Nebenwirkungen derzeit aber als unwahrscheinlich erachtet. 

Quelle: dpa/dm 

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