Impfstoffzulassung: Warum geht es diesmal so schnell?
Als biologische Wirkstoffe nehmen Impfstoffe im Vergleich zu normalen Arzneimitteln hinsichtlich Zulassungs- und Überwachungskriterien eine besondere Rolle ein. Zudem werden Impfstoffe nicht kranken Menschen, sondern Gesunden aller Altersgruppen, also auch Kindern, verabreicht. Der Anspruch an die Sicherheit und Wirksamkeit von Impfstoffen wird deshalb ganz besonders hoch angesetzt.
Zulassung eines Impfstoffs – normalerweise ein langwieriger Prozess
Bevor ein Impfstoff eine Zulassung bekommt, muss er zahlreiche wissenschaftliche und gesetzliche Kriterien erfüllen. Um spezielle Wirksamkeits- und Risikoprofile bereits vor den klinischen Phasen erkennen zu können, werden zunächst tierexperimentelle Tests durchgeführt. Nach dieser präklinischen Phase folgen dann die Phase-I, -II und -III-Studien am Menschen mit dem Ziel, die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Impfstoffs zu bestätigen.
Nach erfolgreichem Durchlaufen der klinischen Phasen können die Zulassungsunterlagen bei den Behörden eingereicht werden. Nach einer Marktzulassung schließen sich dann noch die Nachzulassungsbeobachtungen an. Gravierende Sicherheitsprobleme in Form von schweren, unerwünschten Arzneimittelwirkungen werden meist im Laufe der klinischen Studien bemerkt. Im Laufe der Phase-III-Studie wird der Impfstoff immerhin bereits an mehreren 10.000 Freiwilligen getestet. Aber wie bei anderen Arzneimitteln kann es auch bei einem Impfstoff gegen SARS-CoV-2 sein, dass sehr seltene Nebenwirkungen – also ein Fall bei mehr als 10.000 geimpften Personen – erst im Laufe der Nachzulassungsbeobachtungen auftreten. Solche Impfreaktionen werden in Deutschland unabhängig vom Hersteller zentral vom Paul-Ehrlich-Institut erfasst. Treten während der Anwendung des Impfstoffs schwerwiegende Nebenwirkungen auf, kann eine bereits erfolgte Zulassung vollständig widerrufen werden.
Beschleunigtes Verfahren
In der Europäischen Union muss der Antrag auf Zulassung eines Impfstoffs bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) eingereicht werden. Eine erfolgreiche Zulassung gilt dann für alle Mitgliedsstaaten der EU. Normalerweise kann die Bewertung eines Zulassungsantrags bis zu 210 Werktage dauern.
In dringenden Fällen kann die EMA den Zulassungsprozess in einzelnen Punkten vereinfachen. Die Anforderungen an die Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des betreffenden Impfstoffs bleiben selbstverständlich hoch. So können einzelne Kandidaten mittels einer fortlaufenden Überprüfung im sogenannten Rolling-Review-Verfahren, bereits beurteilt werden. Dabei können die Daten aus präklinischer und klinischer Entwicklung bewertet werden, bevor alle erforderlichen Unterlagen für einen Zulassungsantrag eingereicht sind. Auch durch eine gleichzeitige Durchführung der Phasen I und II bzw. II und III können die klinischen Untersuchungen der möglichen Impfstoffe schneller ablaufen. Eine erfolgreiche Zulassung kann aber immer nur nach Abschluss der Phase-III-Studie erfolgen.
Eine Verkürzung der Untersuchung in Form einer Zulassung bereits nach Ergebnissen aus den Phase-II-Studien kommt für die EMA, genau wie für die amerikanische Zulassungsbehörde FDA (U.S. Food and Drug Administration), nicht in Betracht.
Erfahrung schon mit ähnlichen Viren
Bereits kurz nach Ausbruch der ersten Corona-Fälle hatten chinesische Wissenschaftler das Erbgut des neuartigen Virus entschlüsselt und die Gensequenz veröffentlicht. Auf diesen RNA-Molekülen konnten dann die Baupläne für sämtliche Proteine des Virus abgelesen werden, unter anderem auch für das mittlerweile bekannte Spike-Protein. Dieses für SARS-CoV-2 spezifische Eiweiß induziert im Körper die Bildung schützender Antikörper und ist daher für die Impfstoffentwicklung von hohem Interesse. Bei allen nötigen Vorarbeiten zur Entwicklung einer wirksamen Vakzine konnten die Forscher auf ihre Erfahrung mit ähnlichen Viren wie SARS-CoV zurückgreifen. Dieser ebenfalls zur Familie der Coronaviren gehörende Erreger löste im Jahr 2002 schon einmal eine SARS-Pandemie aus.
Gentechnik eröffnet neue Möglichkeiten
Ganz entscheidend bei der schnellen Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs sind auch ganz neue Möglichkeiten der Herstellung. Herkömmliche Verfahren mussten zunächst das Virus vermehren, um dann Reste davon oder abgeschwächte Formen als Impfung applizieren zu können. Diese Zubereitung von inaktivierten oder abgeschwächten Viren ist relativ aufwändig und mit hohen Sicherheitsbedingungen verbunden.
Gentechnisch entwickelte Impfstoffe gehen dagegen einen anderen Weg. Vektorimpfstoffe bestehen aus für den Menschen harmlosen Viren, die in ihrem Genom auch einen Bauplan für ein Virusprotein des SARS-CoV-2 Erregers enthalten. Bei den RNA-Impfstoffen wird dieser Bauplan direkt als mRNA in den Körper der geimpften Person eingebracht. In beiden Fällen bildet der Körper aus dem eingeschleusten Bauplan selbst das Virusprotein, auf welches das körpereigene Immunsystem mit einer Bildung von Antikörpern und einer T-Zell-Antwort reagiert.
Plattformtechnologie
Gentechnisch hergestellte Impfstoffe werden mit Hilfe der sogenannten Plattform-Technologie produziert. Das Verfahren dazu basiert auf einem Baukastenprinzip, bei dem jeweils gleiche Methoden und Herstellungsschritte zum Einsatz kommen und nur die Erreger-spezifische Komponente verändert werden muss.
Weltweit beschäftigten sich Forscher schon vor Auftreten der Corona-Pandemie mit dieser Technologie, sodass diese nun schnell angewendet werden kann. Wenn sich bei einem Vektor-Impfstoff ein geeignetes Trägervirus als erfolgreich bewährt hat, lassen sich auf dieser Basis Vakzine gegen verschiedene Erreger entwickeln. Eingefügt werden muss dabei jeweils nur das Gen des Virus, gegen das die Immunantwort erfolgen soll. Ähnlich läuft es auch bei den RNA-Impfstoffen ab. Ist es gelungen, die mRNA eines Virus durch eine Impfung erfolgreich in die Körperzellen zu transportieren, so könnte auf die gleiche Art und Weise auch die mRNA eines anderen Virus verwendet werden.
Sind Impfstoffe mit Erbmaterial sicher?
Grundsätzlich besteht bei der Verabreichung eines Impfstoffs mit mRNA keine Gefahr, dass sich dieses fremde Erbgut in das menschliche Genom integriert. Beim Menschen befindet sich die Erbinformation in Form von DNA im Zellkern, eine Einlagerung von RNA in diese Desoxyribonucleinsäure ist schon allein aufgrund der unterschiedlichen chemischen Struktur nicht möglich. Auch gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass die Körperzellen die fremde mRNA in DNA umschreiben können. Nach kurzer Zeit wird die eingebrachte mRNA durch körpereigene Enzyme zudem wieder abgebaut – es findet dann auch keine Produktion des Antigens mehr statt. Um die Stabilität der Impfstoff-mRNA zu erhöhen, muss diese mit Lipiden umhüllt werden. Auch hier haben zahlreiche Untersuchungen zeigen können, dass die entstehenden Lipid-Nanopartikel nicht zellschädigend und für den menschlichen Körper völlig ungefährlich sind.
Hintergrund: Aktueller Stand der Corona-Impfstoff-Zulassungen
Der US-Pharmakonzern Moderna will als erstes Unternehmen die Zulassung für einen Corona-Impfstoff in der EU beantragen. Der Antrag auf eine bedingte Zulassung soll noch am heutigen Montag bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur Ema gestellt werden. Parallel dazu soll eine Notfall-Zulassung bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA beantragt werden. Derzeit läuft bereits ein Rolling-Review-Verfahren bei der Ema.
Auch der Mainzer Hersteller Biontech hat zusammen mit dem US-Konzern Pfizer ein solches Verfahren laufen. Biontech und Pfizer haben zwar bereits in den USA eine Notfall-Zulassung beantragt, in der EU aber noch nicht.
Noch gibt es keinen zugelassenen Impfstoff gegen SARS-CoV-2. Zwar haben schon Länder wie Russland, China und kürzlich erst Bahrain Impfstoffe mit Einschränkungen freigegeben und impfen damit bereits Teile der Bevölkerung. Aber wie gut diese Impfungen tatsächlich schützen und welche Nebenwirkungen sie haben können, ist derzeit weitgehend offen. Quelle: dpa/sn