Wie man die Corona-Krise psychologisch meistert
Die Psychologie hinter Hamsterkäufen
Dass wir mitten in Europa kollektiv von einer unbeherrschbaren Krankheit bedroht werden, schien bis vor Kurzem unvorstellbar. Die gänzlich neue Lage zu Beginn der Pandemie löste daher bei der Bevölkerung nicht nur Bestürzung, sondern auch Angst und Hilflosigkeitsgefühle aus. Man konnte ja selbst nichts Wirkungsvolles gegen die Bedrohung ausrichten. Diese ohnmächtige Situation verursachte bei vielen Menschen ein erhöhtes Erregungsniveau. Bei manchen entwickelte sich daraus sogar ein regelrechter Aktionismus. Diese Menschen versuchten, durch Tatendrang dem Virus etwas entgegenzusetzen. Sie tätigten beispielsweise Hamsterkäufe oder bereiteten sich durch andere Aktionen auf eine ungewisse Zukunft vor.
Mangelnde Ressourcen fördern Depressionen
Die Entspannung der Lage während der Sommermonate wurde quasi als Belohnung für die Einschränkungen wahrgenommen. Doch nun ist die SARS-CoV-2-Bedrohung wieder massiv zurückgekehrt. Das Erleben von Hilflosigkeit ist nun umso präsenter, ebenso wie das Gefühl, Sicherheit und Kontrolle gänzlich verloren zu haben. Das führt bei vielen Menschen zu depressiven Reaktionen. Hinzukommt, dass nun einige Kompensationsstrategien aus dem Frühjahr wegfallen. Man kann jetzt nicht mehr in der aufblühenden Natur Kraft schöpfen oder Freizeitaktivitäten nach draußen verlagern. Die dunkle Jahreszeit wird ohnehin oft als bedrückend empfunden. Fehlende psychische Bewältigungsmechanismen lassen manchen zu Alkohol oder anderen Suchtmitteln greifen. Doch die Folge davon: Die Betroffenen können die Situation noch weniger bewältigen.
Persönliche Kraftquellen erschließen
Damit man in der Krise eine psychische Ressource hat, empfehlen Psychologen, sich kleine persönliche Kraftquellen zu schaffen. Das kann zum Beispiel eine schöne Lektüre oder ein neues Hobby sein. Mancher findet vielleicht Freude daran, das tägliche Kochen bewusst zu zelebrieren, eine neue Sprache zu erlernen oder alte Kontakte via Telefon wiederzubeleben.
Lebenssinn und Selbstkontrolle als Stresspuffer
Und noch etwas hilft, um die gegenwärtigen psychischen Belastungen gut zu überstehen: Lebenssinn und Selbstkontrolle. Das haben Psychologen in einer Studie zu Anfang der Pandemie mit mehr als 1.500 Teilnehmern herausgefunden. So litten Menschen, die einen starken Sinn in ihrem Leben sahen, unter geringeren psychischen Belastungen. Vor allem bei älteren Menschen sahen die Studienautoren diesbezüglich eine höhere Resilienz, denn das Sinnerleben steige mit dem Alter an. Ältere Menschen seien oft besser in der Lage, eine Metaperspektive – also eine übergeordnete Sichtweise – einzunehmen. Auch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle stellte in der Studie eine wichtige Ressource dar: Wer in der Lage war, eigene Bedürfnisse einzuschränken und sich an die Ausnahmesituation anzupassen, war besser gegen Corona-Stress gefeit.
Wie sich Corona-Rebellion deuten lässt
Irritiert blickt der Großteil der Bevölkerung auf den kleineren Teil, der einen speziellen Umgang mit der Corona-Krise praktiziert: Das Virus bzw. seine Gefährlichkeit leugnen. Eine psychologische Erklärung für das Verhalten der Corona-Leugner hat Dr. Alexandra Mihm, Direktorin der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Darmstadt: Es könne als eine Abwehr tiefer existenzieller Ängste verstanden werden. Indem man die Schuld an der gegenwärtigen Lage der Politik und den Wissenschaftlern zuschreibe, müsse die Angst nicht mehr im eigenen Inneren ausgehalten werden. Sie könne jetzt bei anderen bekämpft werden. Das erzeuge ein neues Weltbild, bei dem statt unerträglicher Verzweiflung der Glaube an vermeintlich einfache Antworten und Verheißungen stehe.
Vermeidungsverhalten ist kontraproduktiv
Im Umgang mit der Pandemie und ihren Bedrohungen entwickeln zahlreiche Menschen ein Vermeidungsverhalten: Sie vermeiden belastende Informationen über COVID-19 und blenden das Thema bewusst aus. So schalten sie etwa den Fernseher aus oder blättern die Zeitung weiter, wenn Corona-Nachrichten erscheinen. Psychologen halten jedoch solche Vermeidungsstrategien generell für problematisch. Gehe man belastenden, angstauslösenden Situationen aus dem Weg, würden die Ängste dadurch meist noch gesteigert. Auch die Vermeidung von Informationen könne sich ähnlich negativ auswirken.
Gestärkt durch innere Auseinandersetzung und versöhnliches Annehmen
Psychotherapeutin Mihm aus Darmstadt plädiert dafür, den Weg der inneren Auseinandersetzung zu beschreiten. Das beinhalte, die aktuellen Herausforderungen anzuerkennen. Wir sollten das Virus in gewisser Weise versöhnlich in unser Leben integrieren. Vielleicht müssten wir es ja sogar als einen bleibenden Teil annehmen. Diese Lebensveränderung gelte es zu akzeptieren. Wir müssten uns mit den eigenen existenziellen Themen beschäftigen. Ein gewisses depressives Durchleben und Hinterfragen sei hierbei ein natürlicher Teil der Bewältigung. Dies könne aber zu innerem Wachstum und einer neuen Zuversicht führen. Quellen: Klinikum Darmstadt; Universität Innsbruck; Universität Mannheim