Engpässen wegen Corona-Krise vorbeugen: BfArM begrenzt versorgungsrelevante Arzneimittel
Am Freitagnachmittag hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine „Allgemeine Anordnung an die pharmazeutischen Unternehmer und die pharmazeutischen Großhändler zur Lagerhaltung und bedarfsgerechten Belieferung von Humanarzneimitteln (Kontingentierung)“ veröffentlicht. Die oberste Arzneimittelbehörde Deutschlands will damit „ersten Phasen einer Ungleichverteilung entgegenwirken“, erklärt ein BfArM-Sprecher gegenüber der Redaktion.
Warum ist diese Maßnahme notwendig? Weil die Coronakrise nicht nur für Probleme bei der Herstellung und dem Transport von Arzneimitteln sorgt, sondern zusätzlich „Hamsterkäufe“ eine stabile Arzneimittelversorgung belasten. Die Folge von Hamsterkäufen: Während sich manche Marktteilnehmer die Lager mit Medikamenten vollstopfen, fehlen die Präparate an anderer Stelle.
Ungleichverteilung bei Arzneimitteln
Dies hat auch das BfArM beobachtet: Es „findet aktuell verstärkt eine übermäßige Bevorratung bei einzelnen Marktteilnehmern mit Arzneimitteln statt, die in direkter Folge zu einer Ungleichverteilung führt“. Um diesem Prozess von Beginn an entgegenzuwirken, dürfen pharmazeutische Unternehmer sowie der pharmazeutische Großhandel fortan „Arzneimittel nicht über den normalen Bedarf hinaus beliefern“. Die Anordnung trifft die Lieferketten pharmazeutische Unternehmer an Großhändler, öffentliche Apotheken, Krankenhaus- und krankenhausversorgende Apotheken und den Großhandel, der die jeweiligen Apotheken versorgt.
Was ist „bedarfsgerecht“?
Was aber ist ein „normaler Bedarf“, wie ihn das BfArM plant? Denn: Großhändler oder Krankenhaus- und krankenhausversorgende Apotheken müssen sicherlich mehr Patienten mit Arzneimitteln versorgen als „normale“ öffentliche Apotheken und haben folglich auch einen höheren Lagerbedarf. Diesen Aspekt hat das BfArM berücksichtigt: Wie viele Arzneimittel pharmazeutische Unternehmen und Großhandel ausliefern dürfen, hängt genau davon ab, ob es sich um eine Klinikapotheke, eine krankenhausversorgende oder öffentliche Apotheke handelt oder um einen Pharmagroßhandel.
Welche Arzneimittel werden kontingentiert?
Es werden jedoch nicht alle Arzneimittel kontingentiert, die Anordnung trifft die sogenannten „versorgungsrelevanten Arzneimittel“, so der BfArM-Sprecher gegenüber der Redaktion.
Für welche Arzneimittel diese Anordnung genau gilt, wird jedoch nicht ganz deutlich. Zwar soll das BfArM künftig im Hinblick auf Lieferengpässe versorgungsrelevanter Arzneimittel Maßnahmen – auch zur Kontingentierung – ergreifen können. Doch diese im Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz vorgesehenen Maßnahmen sind noch nicht in Kraft getreten. Angesichts der derzeitigen Situation dürfte die Anordnung jedoch als Appell zu verstehen sein, der auch andere Arzneimittel, inklusive OTC, einbezieht, um einer flächendeckenden Ungleichverteilung von Arzneimitteln entgegenzuwirken.
Was gilt für öffentliche Apotheken?
Pharmazeutische Großhändler und pharmazeutische Unternehmen müssen die ordnungsgemäße Versorgung der Apotheken zur gesetzlichen Mindestbevorratung sicherstellen. Diese liegt für öffentliche Apotheken bei einer Woche. Grundlage für die jetzige Belieferung der Arzneimittel ist die Abgabemenge des Vorjahres. Allerdings räumt das BfArM auch in begründeten Einzelfällen Ausnahmen und ein Abweichen von der Abgabemenge des Vorjahres ein – allerdings nur, wenn es „nicht der Überbevorratung dient“.
Was gilt für Krankenhaus- und krankenhausversorgende Apotheken?
Bei Krankenhausapotheken und öffentlichen Apotheken, die ein Krankenhaus versorgen, unterscheidet das BfArM zwei große Medikamenten-Kategorien: Handelt es sich um Corona-relevante Arzneimittel oder nicht? Für Arzneimittel, die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie angewendet werden, soll die Bevorratung den durchschnittlichen Bedarf von acht Wochen nicht übersteigen. Für alle anderen Arzneimittel gilt ein durchschnittlicher Bedarf von vier Wochen.
Was gilt für den pharmazeutischen Großhandel?
Das BfArM will auch verhindern, dass sich pharmazeutische Großhändler übermäßig bevorraten: Die Hersteller sind angewiesen, die Großhändler ordnungsgemäß zu beliefern, so dass deren gesetzliche Mindestbevorratung von zwei Wochen erfüllt ist. Wie auch bei öffentlichen Apotheken gilt: Man orientiert sich an der Liefermenge des Vorjahres, und auch hier darf in begründeten Einzelfällen davon abgewichen werden, so es eben nicht der Überbevorratung dient.
So lange die Corona-Pandemie dauert
Diese nun geltenden, begrenzten Liefermengen sieht das BfArM bis zum Ende der Corona-Pandemie vor. Für die Dauer dieser Zeit sollen diese Maßnahmen nicht zuletzt auch die Arzneimittelversorgung in Krankenhäusern sichern, damit diese „prioritär“, also bevorzugt, die benötigten Arzneimittel auch in erforderlichem Umfang erhalten.
Zudem unterstützt das BfArM eigenen Angaben zufolge bereits initiierte Maßnahmen des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Denn erst in der vergangenen Woche hatte sich das BMG an Ärzte und Apotheker gewandt. Ziel: Ärzte sollen mit Augenmaß verordnen, PTA und Apotheker OTC-Arzneimittel „bedarfsgerecht“ abgeben. Beides soll – wie auch die Kontingentierung seitens des BfArM – Versorgungsengpässen bei Arzneimitteln vorbeugen. Beispielsweise sollen Ärzte bei chronisch Kranken zwar nach wie vor N3-Packungen verschreiben, aber darüber hinaus keine Privatrezepte über die gleichen Präparate zusätzlich ausstellen.
Corona-Krise und Arzneimittelversorgung
Dass sich die Corona-Pandemie früher oder später auf die Arzneimittelversorgung auswirken könnte, war absehbar. Viele Wirkstoffe stammen aus China, dem Ursprung des neuartigen SARS-CoV-2, und bereits vor kurzem verhängte Indien – als wichtiger Lieferant generischer Arzneimittel – eine Ausfuhrbeschränkung für zahlreiche Wirkstoffe und Medikamente, da der Nachschub aus China stockte. Durch die Exportbeschränkung will Indien zumindest die Arzneimittelversorgung seiner eigenen Bevölkerung sichern.
Produktions- und Lieferprobleme und „Hamstern“
Bereits im Februar beobachtete der Indische Verband Pharmazeutischer Unternehmer die gleichen Phänomene, die nun auch das BfArM zur Kontingentierung trieben. Produktions- und Transportprobleme und übermäßige Bevorratung Einzelner. Indien argumentierte damals, dass die pharmazeutische Lieferkette aus China durch den dortigen Arbeitskräftemangel aufgrund von Quarantäneregelungen unter erheblichem Druck steht. Zusätzlich behinderten Reisebeschränkungen den Transport- und Logistikapparat. Und: Auch „Hamstern“ wurde bereits beobachtet. Einige Arzneistoffhändler verschärften die Lage dadurch, dass sie einen „künstlichen Mangel“ erzeugten, indem sie – in Erwartung der epidemiebedingten Verknappung – Wirkstoffe horteten, so der Indische Verband Pharmazeutischer Unternehmer schon vor Wochen.