Potenzielle, künftige Biomarker: Ceramide: Lassen sich Diabetes und Herzinfarkt vorhersagen?
Typ-2-Diabetes (T2D) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD) zeichnen weltweit für eine hohe Krankheitslast und Sterblichkeit verantwortlich. Wie kann man diesen Erkrankungen primär vorbeugen, sodass sie bestenfalls gar nicht oder zumindest erst verspätet auftreten?
Um dies zu erreichen, wäre es wichtig, die besonders gefährdeten Menschen frühzeitig „herauszufischen“, z. B. durch bestimmte Biomarker, die Stoffwechselveränderungen bereits früh erkennen lassen. Ein solcher Biomarker könnten Ceramide sein.
Zur Erinnerung: Was sind Ceramide?
Ceramide sind eine Untergruppe der Lipide, die im Fettstoffwechsel entstehen. Sie sind zwischen 14 und 30 C-Atome lang und werden von sechs Ceramid-Synthase-Enzymen (CerS1–6) gebildet.
Ceramide im Fokus
Seit Längerem ist bereits bekannt, dass Blutfette bei diesen Erkrankungen und ihren Folgen eine wichtige Rolle spielen. Ceramide sind „entscheidende Botenstoffe […], die kardiometabolische Krankheiten auslösen“, schreiben Forschende vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) in einer im Fachjournal „Nature Communications“ erschienenen Studie („Dihydroceramide- and ceramide-profiling provides insights into human cardiometabolic disease etiology“) .
Verbindung zu Fettleibigkeit und Diabetes
Bei Nagetieren konnte bereits gezeigt werden, dass Ceramide an der Regulierung von Entzündungen, Insulinresistenz und Stress beteiligt sind: Erhöhte man die Expression der Ceramid-Synthese-Enzyme (CerS-6) und stieg Cer-16, wurden die Tiere besonders anfällig für Insulinresistenz. Mäuse ohne CerS-6 waren hingegen vor Fettleibigkeit und Glukoseintoleranz geschützt. Das fanden Wissenschaftler in einer bereits 2014 erschienenen Studie„Obesity-Induced CerS6-Dependent C16:0 Ceramide Production Promotes Weight Gain and Glucose Intolerance“, veröffentlicht in „Cell“ heraus.
„Diese Experimente zeigen, dass die Hemmung von CerS-6 ein spezifischer Ansatz für die Behandlung von Fettleibigkeit und Typ-2-Diabetes mellitus ist“, erklärten die Forschenden schon damals. Und auch für Menschen gibt es bereits Daten aus epidemiologischen Studien(„European Heart Journal“: „Development and validation of a ceramide- and phospholipid-based cardiovascular risk estimation score for coronary artery disease patients“) , die eine Verbindung zwischen Ceramiden, Dihydroceramiden und kardiovaskulären Erkrankungen sowie für die Ceramide Cer-18, Cer-20 und Cer-22 und Diabetes mellitus Typ 2(„The Journal of Nutrition“: „Plasma Ceramide Species Are Associated with Diabetes Risk in Participants of the Strong Heart Study“) herstellen.
Gut zu wissen: Ein paar Zahlen zu Diabetes und CVD
Der „IDF Diabetesatlas 2021“ prognostiziert, dass bis zum Jahr 2045 weltweit 783 Millionen Menschen mit Diabetes leben werden, derzeit sind es 537 Millionen. 2021 starben 6,5 Millionen an Diabetes. Die Erkrankung verursacht zudem Gesundheitskosten von 966 Milliarden US-Dollar.
Bei kardiovaskulären Erkrankungen sieht es eher schlechter als besser aus: Laut dem Bericht „The Global Burden of Cardiovascular Diseases and Risk Factors 2020 and Beyond“veröffentlicht im „Journal of the American College of Cardiology“ verursachten Herz-Kreislauf-Erkrankungen 2017 weltweit 17,8 Millionen Todesfälle. Ischämische Herzkrankheit, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) sowie andere Herz- und Gefäßkrankheiten seien sogar die „Hauptursache für die weltweite Sterblichkeit“.
Ceramide und Ernährung
Ceramide lassen sich durch unsere Ernährung und deren Fettsäurezusammensetzung beeinflussen: Nehmen wir eher die gesättigte Palmitinsäure (C16) zu Ungunsten der zweifach ungesättigten Linolsäure (C18) zu uns, steigen Ceramidkonzentration im Blut und der Fettgehalt der Leber(„Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism“: „Overeating Saturated Fat Promotes Fatty Liver and Ceramides Compared With Polyunsaturated Fat: A Randomized Trial“) . Gleichzeitig scheint sich eine mediterrane Ernährung günstig auf kardiovaskuläre Erkrankungen bei Menschen mit erhöhten Ceramidwerten auszuwirken„Circulation“: „Plasma Ceramides, Mediterranean Diet, and Incident Cardiovascular Disease in the PREDIMED Trial Prevención con Dieta Mediterránea“ .
Auch verändern rotes Fleisch und Kaffee den Fettstoffwechsel und das kardiometabolische Risiko. Dabei scheint Kaffee auf kardiovaskuläre Erkrankungen(„Circulation“: „Long-Term Coffee Consumption and Risk of Cardiovascular Disease: A Systematic Review and a Dose–Response Meta-Analysis of Prospective Cohort Studies“) und Diabetes mellitus(„Diabetes Care“: „Caffeinated and Decaffeinated Coffee Consumption and Risk of Type 2 Diabetes: A Systematic Review and a Dose-Response Meta-analysis“) eher protektiv zu wirken, rotes Fleisch scheint hingegen das Risiko für kardiovaskuläre und Krebsergkrankungen sowie die Gesamtsterblichkeit(„Archives for Internal Medicine“: „Red Meat Consumption and Mortality: Results from Two Prospective Cohort Studies“) zu erhöhen.
Nur wie geschieht dies? Vermitteln Ceramide diese Effekte? Dem kamen die Wissenschaftler vom DIfE nun näher.
Lassen sich Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen vorhersagen?
Dafür beobachteten sie Teilnehmer der EPIC-Potsdam-Studie über mehrere Jahre. Sie prüften, ob durch die Ernährung beeinflussbare Ceramide das Risiko der Studienteilnehmer für Diabetes mellitus Typ 2 oder kardiovaskuläre Erkrankungen vorhersagen können.
Zu Studienbeginn waren die Teilnehmer weder kardiovaskulär noch diabetisch erkrankt. Allerdings entwickelten 775 Teilnehmer (von 1.886 Risikopatienten) über die Jahre einen Diabetes und 551 Teilnehmer (von 1.671 Risikopatienten) erkrankten am Herz-Kreislauf-System. Zum Zeitpunkt des Studienstarts machten die Probanden zudem Angaben zu ihren Ernährungsgewohnheiten und ließen ihr Blut untersuchen. Anhand dessen erstellten die Wissenschaftler ein Ceramid- und Dihydroceramidprofil.
Manche Ceramide mit höherem Diabetes-Risiko assoziiert
Den Wissenschaftlern fiel auf, dass Teilnehmer mit höheren Ceramid- und Dihydroceramidkonzentrationen im Blut eher älter waren, einen höheren Taillenumfang aufwiesen und einen „ungesunden Lebensstil“ verfolgten. Erwartungsgemäß ließen sich diese Risikofaktoren eher bei später kardiometabolisch Erkrankten feststellen als bei Studienteilnehmern, die gesund blieben.
Konkret fanden die Wissenschaftler heraus, dass vor allem die Ceramide C18:0 und C22:0 sowie die Dihydroceramide C20:0 und C22:2 mit einem höheren Risiko für Diabetes mellitus Typ 2 verbunden waren. Ceramid C20:0 und Dihydroceramid C26:1 hingen eher mit einem niedrigeren Diabetes-Risiko zusammen. Bei kardiovaskulären Erkrankungen scheinen der Studie zufolge vor allem Ceramid C16:0 und Dihydroceramid C22:2 deren Risiko zu erhöhen.
Ceramide könnten nachteilige Wirkung von Fleisch vermitteln
Zudem interessierten sich die Wissenschaftler dafür, ob die mit kardiovaskulären Erkrankungen oder Diabetes in Verbindung gebrachten Ceramide/Dihydroceramide auch mit bestimmten Nahrungsmitteln zusammenhängen könnten, die die Studienteilnehmer zu sich nahmen.
Auch hier wurden sie fündig: Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass Ceramide und Dihydroceramide „teilweise die vermeintlich nachteilige Wirkung eines hohen Verzehrs von rotem Fleisch und die Vorteile des Kaffeekonsums auf das Typ-2-Diabetes-Risiko vermitteln“, schreiben die Forschenden.
„Menschen, die viel Fleisch essen, haben ein höheres Diabetesrisiko. Wir konnten jetzt erstmals zeigen, dass ein hoher Verzehr von rotem und verarbeitetem Fleisch mit ungünstigen Spiegeln diabetesbezogener Ceramide verbunden war. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass der Zusammenhang von Fleischverzehr und Diabetesrisiko durch den Einfluss auf Ceramidspiegel im Blut vermittelt werden könnte.“
Somit könnte Ceramiden eine „entscheidende“ Rolle zukommen, wenn es darum geht, die genetische Veranlagung und Ernährungsgewohnheiten mit dem Risiko für kardiometabolische Erkrankung zu verknüpfen.
Ceramide als Biomarker für Ernährungsempfehlungen
Perspektivisch hofft man, dass bestimmte Ceramide als mögliche Biomarker identifiziert werden können, die es dann erlauben, konkrete Ernährungstipps zu geben, um Erkrankungen wie Diabetes, Herzinfarkt oder Schlaganfall vorzubeugen.