Auszeichnung geht auch an einen Deutschen: Nobelpreis in Chemie für Organokatalyse
Für die Entdeckung der genetischen Schere CRISPR/Cas9 erhielten die Wissenschaftlerinnen Emmanuelle Charpentier (l.) und Jennifer Doudna im vergangenen Jahr den Nobelpreis in Chemie. Es war der erste Wissenschafts-Nobelpreis, den sich ausschließlich Frauen teilten. Nicht immer hat der Chemie-Nobelpreis wie im Jahr 2020 direkte Berührungspunkte zur Medizin und Pharmazie, aber meistens. So auch in diesem Jahr. Dieses Mal geht er wieder an zwei Männer: den Deutschen Benjamin List und den in Schottland geborenen US-Forscher David MacMillan. Das teilte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm mit.
Auszeichnung für Entwicklung der Organokatalyse
Die beiden Wissenschaftler hätten ein neues und geniales Werkzeug für den Aufbau von Molekülen entwickelt – die Organokatalyse. Diese werde nicht nur für die Erforschung neuer Arzneimittel eingesetzt, sondern habe auch dazu beigetragen, die Chemie umweltfreundlicher zu machen. Die Organokatalyse habe sich zudem mit erstaunlicher Geschwindigkeit entwickelt und mache nicht nur die Arzneimittelherstellung effizienter, sondern etwa auch die von Molekülen, die Licht in Solarzellen einfangen können. Was aber ist die Organokatalyse?
Dritte Art der Katalyse
Professor List ist am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr Direktor im Bereich „Homogene Katalyse“. Seine Forschungsarbeit und die von David MacMillan (Princeton University, USA) werden geehrt, weil beide unabhängig voneinander im Jahr 2000 eine „dritte Art der Katalyse“ entwickelt haben, heißt es in der Pressemitteilung der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften. Pharmazeuten wissen, dass Katalysatoren ein grundlegendes Werkzeug in der Arzneimittelsynthese sind, aber natürlich auch eine wichtige Rolle bei allen Stoffwechselprozessen in unserem Körper spielen. Viele dürften dabei zunächst nur an Metalle und (im Körper) an Enzyme denken.
Die von den beiden Nobelpreisträgern entwickelte Katalyse basiert aber auf kleinen organischen Molekülen und wird ausführlich als „asymmetrische Organokatalyse“ bezeichnet. Das Konzept sei so einfach wie genial: Die organischen Katalysatoren bestehen aus einem stabilen Gerüst aus Kohlenstoffatomen, an das sich andere chemische Gruppen anlagern können – wie Sauerstoff, Stickstoff, Schwefel oder Phosphor. Damit sei diese Art von Katalysatoren nicht nur umweltfreundlich, sondern auch billig in der Herstellung.
Zur Erinnerung: Wie funktionieren Katalysatoren?
Katalysatoren senken die für eine Reaktion notwendige Aktivierungsenergie und beschleunigen so den Ablauf der jeweiligen Reaktion. Dies ist möglich, da die chemische Reaktion mit Katalysator auf einem anderen, energiärmeren „Weg“ verläuft. Nach Abschluss der Reaktion liegen Katalysatoren selbst unverändert vor, weshalb sie im Anschluss wieder verwendet werden können.
Katalyseforscher wurden in der Vergangenheit schon oft geehrt
Ein Blick zurück verrät, dass der Chemie-Nobelpreis immer wieder an Katalyseforscher verliehen wurde. 2001 etwa an die US-Amerikaner William Knowles und Barry Sharpless und den Japaner Ryoji Noyori. Interessant ist das, weil sie damals für die Entwicklung der „katalytischen, asymmetrischen Synthese“ ausgezeichnet wurden. Dabei ging es darum, reine Enantiomere als Arzneistoffe und Chemikalien zu erzeugen.
Die Brønstedsäure-Katalyse und die Organische Lewissäure-Katalyse
Zwei Enantiomere desselben Moleküls verhalten sich wie Spiegelbilder zueinander und können sich deshalb in ihrer Wirkung grundlegend unterscheiden, wenn nur eines der beiden in einen entsprechenden Rezeptor passt. Ein einfaches Beispiel aus der Praxis wären Levocetirizin und Cetirizin: Weil nur das (R)-Enantiomer wirksam ist, wird lediglich die halbe Dosis von Levocetirizin im Vergleich zu Cetirizin benötigt, um eine äquivalente antiallergische Wirkung zu erzielen. Wie die DAZ berichtete, kommen heute „faktisch keine Racemate mehr auf den Markt“ (Enantiomeren-Gemische). Und so heißt es auch in der aktuellen Verkündung des Chemie-Nobelpreises, dass die rasche Zunahme der Verwendung organischer Katalysatoren in erster Linie auf ihre Fähigkeit zurückzuführen sei, eine solche asymmetrische Katalyse durchzuführen.
Mechanistisch lässt sich die Organokatalyse in die Brønstedsäure-Katalyse und die Organische Lewissäure-Katalyse einteilen. Mit ihren Arbeiten im Jahr 2000 haben List und MacMillan den Grundstein für die Entwicklung der Organokatalyse gelegt.
Nobelpreis-Übergabe im Dezember
Die feierliche Übergabe der Nobel-Preise findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. Am Montag war der Nobelpreis für Medizin David Julius (USA) und dem im Libanon geborenen Forscher Ardem Patapoutian für Arbeiten zum Temperatur- und Tastsinn zugesprochen worden. Am Dienstag war der Physik-Nobelpreis unter anderem dem Hamburger Meteorologen Klaus Hasselmann zuerkannt worden. Er teilt sich die eine Hälfte des Preises mit dem in Japan geborenen US-Amerikaner Syukuro Manabe. Beide haben eine solide physikalische Grundlage für unser Wissen über den Klimawandel geschaffen. Die andere Hälfte geht an den Italiener Giorgio Parisi für seine Arbeit zum Verstehen komplexer Systeme. Quelle: dpa/dm
Gut zu wissen: Die Chemie-Nobelpreisträger seit 2010
Die seit 1901 verliehenen Chemie-Nobelpreise gingen vor allem an amerikanische Forscher. Die erste Auszeichnung erhielt der Niederländer Jacobus van't Hoff für die Entdeckung von Gesetzen der Osmose. Die Preisträger der vergangenen Jahre sind:
2020: Die seit Jahren in Deutschland arbeitende Genforscherin Emmanuelle Charpentier (Frankreich) und Jennifer Doudna (USA) für die Entwicklung einer Genschere zur gezielten Erbgut-Veränderung.
2019: Der US-Amerikaner John Goodenough, der in Großbritannien geborene Stanley Whittingham und der Japaner Akira Yoshino. Sie waren entscheidend an der Entwicklung von wiederaufladbaren Lithium-Ionen-Batterien beteiligt.
2018: Die US-Amerikanerin Frances Arnold, ihr Landsmann George Smith und der Brite Gregory Winter haben Methoden entwickelt, mit denen es möglich ist, etwa Biokraftstoffe, Arzneimittel und therapeutisch wirkende Antikörper umweltfreundlich herzustellen.
2017: Der Deutsch-Amerikaner Joachim Frank, der Schweizer Jacques Dubochet und der Brite Richard Henderson für die Kryo-Elektronenmikroskopie. Damit lassen sich Biomoleküle im Detail untersuchen – sie zeigt etwa dreidimensionale Bilder von Proteinen.
2016: Der Franzose Jean-Pierre Sauvage, der gebürtige Brite James Fraser Stoddart und der Niederländer Bernard Feringa. Sie bauten aus nur wenigen Molekülen etwa künstliche Muskeln und ein Mini-Auto.
2015: Tomas Lindahl (Schweden), Paul Modrich (USA) und Aziz Sancar (USA/Türkei), die Erbgut-Reparatursets beschrieben hatten. Diese Erkenntnisse dienen unter anderem zur Suche nach Krebsmedikamenten.
2014: Der deutsche Forscher Stefan Hell sowie die US-Amerikaner Eric Betzig und William Moerner für die Erfindung superauflösender Mikroskope. Damit kann man in lebende Zellen blicken und Abläufe bei Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson beobachten.
2013: Martin Karplus (USA/Österreich), Michael Levitt (USA/Großbritannien) und Arieh Warshel (USA/Israel) für Methoden, mit denen sich auch komplexe chemische Reaktionen virtuell nachvollziehen lassen.
2012: Robert Lefkowitz und Brian Kobilka aus den USA für die Entdeckung von Rezeptoren, die zahlreiche Signale von außen in die Körperzellen übermitteln.
2011: Dan Shechtman (Israel), der Quasikristalle entdeckt hatte, die zuvor von vielen Chemikern für unmöglich gehalten wurden.
2010: Richard Heck (USA) sowie die Japaner Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki, die komplexe Substanzen aus Kohlenstoff herstellten. Sie bauten so unter anderem natürliche Wirkstoffe gegen Krebs nach.